Ein langer Winter geht zu Ende
Ein langer Winter geht zu Ende
Kloster Storchsklausen endlich wieder geweiht'
GEISTMARK, Efferd 1045 BF. Allenthalben sieht man heuer Frömmigkeit die schönsten Blüten treiben in der Provinz, wie mancher Artikel dieser Ausgabe belegt. Besonders freut mich berichten zu können, dass in meiner Heimat, der Geistmark, eine alte Wunde des Orkzugs endlich geschlossen werden konnte. Das Perainekloster Storchsklausen, am Zwölfgötterweg bei Bibernells Blütengrund gelegen, wurde am 4. Efferd in einer ergreifenden Zeremonie neu geweiht.
Zu der Feier strömten zahlreiche Gäste in die Baronie. Neben dem Grafenpaar von Wengenholm waren vor allem die bedeutendsten Spender anwesend, deren Großzügigkeit den Wiederaufbau ermöglicht hatte, so etwa die Ratsherren Stippwitz und Markwardt aus Angbar, die Baronin von Garnelhaun und Arsenius von Mersingen in Vertretung seiner Gattin, der Baronin von Nadoret. Herold Hernobert von Falkenhag vertrat gar zugleich das Fürstenhaus, den Grafen vom See und die Baronie Zwischenwasser. Aus Rondrasdank, das dem Kloster zinspflichtig ist, führte die Sendrin Lorine Bartelbank eine zwölfköpfige Delegation nach Storchsklausen. Baron Kordan von Sighelms Halm zu Geistmark war durch wichtige Geschäfte am Reichsgericht zu Elenvina verhindert, doch waren die Gäste bei Baronin Mechtessa von Lutzenstrand bestens aufgehoben.
Die Weihe des Klostertempels wurde von allen vier Hütern der Jahreszeiten des Kosch gemeinsam vollzogen. Dolfried Trutzhaun ist als Abt von Storchsklausen selbst Hüter des Frühlings, aus Gôrmel und Borking kamen die Hüterinnen von Sommer und Herbst und aus Harkingen der Hüter des Winters. Die hochbetagte Gôrmeler Hochgeweihte Josmene Grünkapp lehnte die bequeme Kutsche ab, die ihr der Graf vom See angeboten hatte, und ließ sich in einem Heuwagen in die Geistmark fahren. Wenn sie schon reise, wolle sie dem Land so nah wie möglich sein, sagte sie, und die Wiederauferstehung von Storchsklausen dürfe sie auf keinen Fall verpassen.
Begonnen wurde die Weihfeier mit einem Umzug. Klerus und Laien des Klosters sowie die versammelten Gäste umschritten viermal die Mauern der Anlage, unter wehenden Ähren- und Storchenbannern, sangen dazu Loblieder der Göttin und streuten Blumensamen nach allen Seiten. Dann schritt man zum Tempel, wo die Statuen der Heiligen an der Außenwand von Kindern mit Blütengirlanden geschmückt und mit artigen Verslein beehrt wurden. Anschließend baten die Priester die Gäste in die Tempelhalle, wo als erstes Ihre Gnaden Iralda von Bodrin eine Predigt hielt über die göttliche Gnade des Blühens und Wachsens. Von ihren Worten trefflich gerührt, verfolgte man darauf einen Tanz der Novizinnen und Novizen, der das Frühlingserwachen darstellte. Den Statuen der vier Jahreszeiten, welche die Innenwände schmücken, wurden passende Opfergaben dargebracht. Endlich traten die vier Hüter zusammen vor den Altar zur eigentlichen Weihe. Unter Schalen voll Kräuteressenzen wurden Kerzen entzündet, sodass sich bald vielfacher aromatischer Dampf in der Halle verbreitete, während die Priester, Choräle in Bosparano singend, langsam um einen mit Erde gefüllten Tonkrug schritten. Erst hielten sie sich mit gestreckten Armen bei den Händen, dann traten sie nahe zusammen, legten einander alsbald die Arme um die Schultern, und dann, im Höhepunkt des Chorals, umarmten sie sich aufs Innigste. Und schau! zum Zeichen, dass die Weihe vollzogen war, sprossen im Augenblick Knoblauchblüten aus dem Tonkrug in ihrer Mitte!
Ergriffen von der spürbaren Präsenz der Göttin verließen die Gäste den Tempel. Am Ausgang empfingen sie symbolische Speisung mit einer Kelle Lauchsuppe und einem Apfel. Im Gegenzug präsentierten sie Geschenke, die sie dem Kloster mitgebracht hatten – ob handfeste wie die eingetopften Arangenbäumchen des Hauses Nadoret und die Bauernschränke der Rondrasdanker oder ideelle wie das Gelöbnis eines Tralliker Kaufmanns, zu gegebener Zeit einen seiner Enkel nach Storchsklausen ins Noviziat zu senden. Mechtessa von Lutzenstrand kündigte an, dass für die nächsten zwölf Monate die Gastung im Pilgerhaus am Blütengrund (das dem Baron eignet) für sämtliche Besucher kostenlos sein solle.
Auf diese Weise fand eine 25-jährige Baugeschichte ihren glücklichen Abschluss. Bereits im Jahr 1020 BF hatte Baron Kordan beschlossen, das vom Ork gebrandschatzte Kloster wiedererrichten zu lassen, und erstmals zu Spenden aufgerufen. Doch das Vorhaben schien lange nicht unter dem Segen der Götter zu stehen: Erst der Alagrimm und fünf Jahre später die Bande von Drugol Sohn des Drogosch brannten die Baustelle nieder, zwei designierte Äbte starben, ohne ihr Kloster beziehen zu können, und auch der zwergische Baumeister, der die ursprünglichen Pläne entworfen hatte, verschwand eines Tages spurlos. In ruhigeres Fahrwasser gelangte der Bau erst 1036 BF, als das Dorf Rondrasdank dem Kloster zinspflichtig wurde und so für eine stabile Finanzierung sorgte. Mit dem Geldsegen wuchsen allerdings auch die Ansprüche an Ausführung und Schmuck, so dass sich die Bauzeit erneut verlängerte. Wer aber das prächtige neue Storchsklausen gesehen hat, wird lebhaft zustimmen, dass sich diese Wartezeit vielfach gelohnt hat.