Ein Schiff für den Kaiser
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Ein Schiff für den Kaiser
Ein Edikt aus alten Tagen sorgt für Streit
OBERANGBAR. Wer nach Oberangbar kommt, wird dort nur selten den Baron Wolfhardt von der Wiesen selbst antreffen, ist er doch häufig im Dienste des Fürsten unterwegs - oder auf Aventiure in fernen Landen. In solchen Zeiten sorgt sich seine Tante Alane von Tarnelfurt, eine ebenso umsichtige wie resolute Dame, um die Angelegenheiten in Stadt und Land. Doch Hochgeborens letzte Reise galt ganz und gar dem Wohle seines Lehens - und seinem eignen guten Rufe: War er doch in die Reichskanzlei zu Elenvina geladen worden, da er - angeblich - ein kaiserliches Edikt missachtet habe.
Wie so oft liegt der Grund für gegenwärtigen Streit in der Vergangenheit: Dereinst war nämlich Kaiser Reto bei einer Reise durch die Provinzen nach Oberangbar gekommen und hatte ins Greifenfurtsche übersetzen wollen; doch nirgends fand sich ein geeignetes Schiff, das die Majestät samt Gefolge und Reittieren sicher über die Wellen des Großen Flusses hätte bringen können. Ob dieser Verzögerung erbost, erlegte der Kaiser der Stadt auf, dass stets ein Flussschiff bereit liegen müsse, falls es ihn - oder einen seiner Nachfolger - gelüste, von einem Ufer ans andere zu setzen.
Aus Furcht vor dem Zorn des gestrengen Herrn war man seinerzeit dem Befehl rasch nachgekommen und hatte eines der kaiserlichen Lustschiffe von Pervalia, für die es nach Bardos und Cellas Absetzung keine Verwendung mehr gab, an den Großen Fluss geschafft. Viele Jahre lag es nun bei Oberangbar vor Anker, gehütet von einem eigens dafür eingesetzten Schiffer, dessen Wohnhaus zusammen mit der Anlegestelle, einem Wachtturm und einigen Werkstätten das kleine Gut Kaisersteg bildete.
Doch kein Kaiser kam, um bei Oberangbar über den Fluss zu setzen. Somit saß der Fährmann untätig herum und ergab sich dem Trunke. Immerhin sorgte er in den ersten Jahren noch dafür, dass die Barke gut in Schuss blieb. In den Zeiten Kaiser Hals, der das Reich von Gareth aus regierte und nur selten auf Reisen ging, vernachlässigte man die aufwändige Pflege des Schiffes, das zusehends verkam. Als dann der betagte Ferge zu Boron gegangen war, stand das Gut Kaisersteg eine Weile leer, bis ein Taugenichts aus Ferdok darin eine Taverne eröffnete, die dem kaiserlichen Namen aber keine Ehre bereitete.
Um das Schiff kümmerte sich keiner. So waren bereits zu Herrn Tradans, des letzten Barons, Zeiten die Planken durch und durch morsch und zu nichts mehr zu gebrauchen. Somit bestand des Herrn Wolfhardts Verfehlung einzig und allein darin, die Fehler zahlreicher Vorgänger nicht behoben zu haben.
Böse Zungen und Klatschmäuler behaupten indessen, die Anschuldigung gegen den Baron komme aus Unterangen von Jungfer Cathine, die es dem Wiesener nie verziehen hat, dass der Fürst ihn und nicht sie selbst mit der Baronswürde belehnte. Dies wäre freilich ein Akt großer Dreistigkeit, war es doch just der Vater Jungfer Cathines, der die kaiserliche Barke gänzlich verkommen ließ.
Wie dem auch sei, es gelang Seiner Hochgeboren offenbar, die Sache aus der Welt zu räumen; damit aber auch nicht der kleinste Makel auf seiner Ehre verbleibe, ließ er, nach Oberangbar zurückgekehrt, ein neues Fährschiff rüsten. Das Gut Kaisersteg soll wieder instand gesetzt und in würdige Hände gelegt werden.