Uztrutzer Umtriebe - Die Suche im Weißdorngehölz I

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1038, Uztrutz

Erlan von Sindelsaum hatte sich mit seinen Begleitern zur Mittagsrast niedergelassen. Eben schob er sich ein dickes Stück Käse in den Mund und reichte den Block Käse an seinen Nebenmann weiter, als der Ruf eines seiner Reisigen ihn auf zwei Gestalten aufmerksam machte, die sich soeben dem Weißdorngeholz näherten und dabei offensichtlich nach etwas suchten. Neugierig geworden schickte Erlan seine Knappin, Niam von Grimsau um der Sache auf den Grund zu gehen. Ein paar Stücken Käse später kam seine Knappin auch schon mit den beiden Suchenden und einem Zwerg und einem weiteren Mann zurück. Erlan erkannte den Zwerg nach kurzem Überlegen als Brumil Sohn des Burgom, einen der fürstlichen Richtgreven. Schnell hatte ihn auch der Zwerg erkannt und die Mahlzeit wurde nun in größerer Runde eingenommen. Bald hatte sich ergeben, dass Brumil Hinweise über eine Spur Alrichs von Uztrutzes vorlagen, die auf das Weißdorngehölz hindeuteten. Während die größer gewordene Gruppe so ruhig vor sich hinmampfte und überlegte wie weiter vorzugehen sei war auch schon weiteres Hufgetrappel zu hören und der Ritter Farelius von Silberquell und Baroness Isida von Trappenfurten kamen die Straße herunter geritten.
Erschöpft und lustlos wirkte die sonst so frohsinnige Hinterkoscherin. Sie hatte den langen Ritt nicht so gut verkraftet wie ihre vier Beschützer. Schnell hatten auch sie sich dem immer ausgiebigeren Mittagessen angeschlossen und bald war auch klar, dass auch Farelius und Isida Hinweise gesammelt hatten, die auf das Weißdorngehölz als wichtigen Anhaltspunkt hindeuteten. Erlan wunderte sich mittlerweile doch schon sehr über all seine Gäste, hatte er hier doch einfach nur Mittagspause machen wollen. Kurz gab es noch mehr Aufregung, als er bemerkte, dass Rukus ein Halbelf war. Mit Brumils Einverständnis musste sich der arme Halbelf etwas abseits der Gruppe hinsetzen, während ihn einer der Reisigen des Barons beständig im Auge behielt, man wusste ja nie bei Spitzohren.
Isida von Trappenfurten hatte dem Wortwechsel schweigend zugehört und die Lippen dabei immer fester aufeinander gepresst. Schließlich war sie wortlos aufgestanden und zu ihrem Pferd gegangen. Dort hatte sie ein wenig von ihrer eigenen Wegzehrung aus einer Satteltasche geholt und sich dann weiter schweigend zu dem Halbelfen gesetzt. Einer ihrer Begleiter, Ritter Rondrabert vom Hochfeld, hatte die fragenden Blicke der Runde gutwillig beantwortet: ”Die Mutter ihres Gemahls sei eine Elfe gewesen, sagt man am Grafenhof.” Nach kurzem Achselzucken hatten die Koscher sich wieder ihren Speisen gewidmet.
Mittlerweile waren Erlan und seine Gäste zum Nachtisch übergegangen. Glücklicherweise war noch etwas Obstkuchen vom vorherigen Tag übrig geblieben, so dass man sich auch jetzt weiter gepflegt den Bauch vollschlagen konnte, als schon wieder Hufschlag zu hören war. Als man die Wappen der Grobhands und vom Kargen Land erkannte waren aufgeregte Rufe zu hören und so manch einer griff zu den Waffen, gehörten diese beiden Häuser doch zur Partei Grimmbarts von Uztrutzens und damit der Partei der Hauptverdächtigen beim Verschwinden Alrichs. Nur Erlan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und nachdem er das Stück Kuchen in seinem Mund heruntergeschluckt hatte, rief er zur Ruhe auf und bestand darauf, auch ihre ”Fehdegegner” zum Obstkuchen einzuladen. Dies sei immerhin der Kosch und nicht die Wildermark. Roban Grobhand machte seinen Namen alle Ehre und vernichtete beachtliche Mengen an Kuchen. Auf Erlans Stirn machten sich schon Sorgenfalten bemerkbar, hatte er selbst doch bisher nur ein kleines Stück abbekommen. Auch hier stellte sich heraus, dass es sich bei den Grobhands und vom Kargen Land um einen Suchtrupp nach Alrich handelte. Roban berichtete, in den Blutfelsen einer falschen Fährte gefolgt zu sein, doch Holdwin vom Kargen Land war es gelungen die mögliche Route der Entführer Alrichs zu finden. Auch seine Fährte hatte ihn zum Weißdorngehölz geführt. Erlan kratzte sich nachdenklich am Kopf und sah mit Bedauern das letzte Stück Kuchen in Robans Rachen verschwinden. ”Ich fasse also zusammen. Es scheint, als hätten die Entführer sich entweder im Weißdorngehölz versteckt, oder als wären sie hier zumindest durchgekommen. Es mag gar sein, dass sie sich als Bannstrahler verkleidet haben, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber das mag nur Zufall sein. Mein Vorschlag wäre daher, da wir ja doch alle versuchen, das Verschwinden Alrichs aufzuklären, gemeinsam die Suche fortzusetzen. Wenn wir Alrich gefunden haben, sollte ja auch aufzuklären sein, wer denn jetzt eigentlich hinter seiner Entführung steckt. Was denkt Ihr, meine Damen und Herren?”
Als Baron Erlan das Wort ”Bannstrahler” aussprach, zuckte Farelius' Kopf unwillkürlich in seine Richtung. Er holte Luft, um seiner Verwunderung Ausruck zu verleihen, jedoch kam ihm Rondrolf zuvor. Mit einem missbilligenden Blick in dessen Richtung lauschte der Ritter dem weiteren Geschehen.
”Klingt nach einem vernünftigen Vorschlag, Hochgeboren”, antwortete Robans Bruder Rondrolf, und Erlan entging der misstrauische Blick nicht, den Roban ihm, immer noch unablässig kauend, zuwarf.
”Wenn wir unsere Kräfte vereinen, steigen die Chancen, den Vermissten zu finden. Und eine derartige Zusammenarbeit hilft womöglich, die leidige Angelegenheit am Verhandlungstisch beizulegen anstatt auf der Walstatt.” Roban rollte wortlos mit den Augen, aber Erlan nickte zufrieden. Auch ihm war es lieber, seine Ziele ohne Blutvergießen erreichen zu können. ”Ich habe gehört, das Weißdorngehölz sei nicht geheuer”, schaltete sich die Ritterin Leowina ein, und Robans Augen rollten dermaßen, dass man fürchten müsse, sie könnten ihm einfach aus dem Kopf fallen. ”Das werden wir sehen, wenn wir dort anlangen”, beschwichtigte Erlan lächelnd. ”Aber natürlich zwingen wir niemanden, dorthin zu gehen, wenn er nicht will.” Die Ritterin zog hörbar die Luft ein, würgte die scharfe Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag, aber mit sichtlicher Mühe herunter. Ebenso mühsam unterdrückte der Ritter Roban ein Lachen, dass zudem durch die letzten Kuchenreste in seinem Mund gedämpft wurde. ”Wir sind also dabei”, fasste Rondrolf die Meinung ihrer Partei zusammen. ”Zumindest vorläufig.”

Baroness Isida hatte ihren Missmut überwunden und nickte eifrig: ”Und falls wir nicht den Gesuchten selbst entdecken, so vielleicht wenigstens die falschen Bannstrahler. Aus jenen wollen wir wringen, in wessen Auftrag sie handelten!”
Farelius nickte zustimmend und setzte abermals dazu an, etwas zu sagen, als ihm diesmal der Baron das Wort abschnitt.
Erlan von Sindelsaum nickte zustimmend zu dem Gesagten. ”Fragt sich nur, wie wir die Suche am besten auf die Beine stellen sollen. Wir wollen die falschen Bannstrahler ja nicht in die Flucht schlagen, sondern nach Möglichkeit befragen. Was schlagt ihr also vor?” Der Baron blickte offen in die Runde.
”Tun wir so, als seien wir eine Jagdgesellschaft auf der Fährte eines kapitalen Hirsches”, schlug Rondrolf vor. ”Hat einen Waidmann erst mal Firuns Eifer gepackt, so lässt er sich auch von unheimlichen Geschichten nicht davon abhalten, der Beute zu folgen.”
”Klingt gut”, befand Erlan schmunzelnd, ”sieht man von dem Umstand ab, dass niemand von uns gekleidet oder gerüstet ist wie ein Waidmann. Es sei denn, Euer Herr Bruder pflegt das Wild mit dem Hammer zu erschlagen.”
”Nur das Zweibeinige”, grollte Roban und wischte sich einige Krümel aus dem Bart. ”Aber stimmt, Jagdgesellschaft fällt aus. Verirrte Wanderer ist ebenso dämlich, da man uns die Koscher am Bart ansieht. Erst recht, wenn Ihr als fürstlicher Säckelmeister dabei seid. Aber...”
Einige weitere Krümel fielen zu Boden, während Roban nachdachte.
”Eine Räuberjagd”, meinte er dann sinnend. ”Oder nach Schmugglern. Für diese Tätigkeit wären wir passend ausstaffiert. Und es wäre relativ unverdächtig, ein paar Praiosdiener zu fragen, ob ihnen etwas aufgefallen ist. Als Diener des Götterfürsten wären sie sogar verpflichtet, uns nach Kräften zu helfen, wenn sie keine heiligere Pflicht daran hindert.”

Farelius holte einmal mehr Luft, blickte sich noch einmal um, ob ihm abermals das Wort verwehrt würde, und sagte schließlich: ”Ich habe kürzlich einige Ritter des Bannstrahler-Ordens an meinem Gutshof vorbei ziehen sehen. Naja – zumindest sahen sie so aus. Gesprächig waren sie nicht. Aber ich kann euch sagen: sie zogen aus Drakfold heraus gen der Uztrutzer Grenze. Das Ganze dürfte jetzt etwa vier oder fünf Praiosläufe her sein. Es ist recht selten, dass der Bannstrahl-Orden sich bei mir blicken lässt.”
Er machte eine kurze Pause und blickte in die Runde, ehe er weitersprach:
”Dazu kommt, dass ich seit einger Zeit mit einem Flusspiraten, der sich selbst 'Harpune' nennt, zu kämpfen habe. Ein paar mal schon wurde mir von Überfällen von den Ufern des großen Flusses aus berichtet. Einige meiner Leute sind diesem Schurken bereits auf den Fersen. Das hat sich sicherlich auch schon hierher durchgesprochen. Auch wenn es mir nicht sonderlich behagt, unsere wahren Absichten zu verschleiern, so könnten wir uns problemlos auf dieses Problem als Ursache dieser Reise berufen. Mir wäre es jedoch lieber, unser Anliegen wie ehrenhafte Edelleute zu vertreten. Ich sehe keinen Grund, zu verheimlichen, warum wir mit den Ordensritter sprechen. Ich denke, wir sollten sie direkt mit dem konfrontieren, was ihnen zur Last gelegt wird. Immerhin sind Ordensritter ja auch Edelleute. Wie der Herr Roban schon sagte – vielleicht helfen sie uns sogar bei der Suche nach dem Herrn Alrich. Wenn sie hingegen tatsächlich Hochstapler sind, werde ich sie mit Freuden zu echten Ordens-Rittern bringen, wo sie ihre gerechte Strafe erhalten werden.”
Die drei Begleiter des Ritters begannen bei seinen Ausführungen über Ehre zu murmeln, und als er geendet hatte, hörte Farelius nur noch: ”Dieses Ehrengetue wird ihn nochmal ins Grab bringen.”, was dem Späher einen finsteren Blick des Ritters einbrachte.

Erlan von Sindelsaum hatte den Ausführungen aufmerksam zugehört. ”Gut, wir sind also auf der Suche nach diesem Strolch. Fragt sich nur, wie schwer wir es den Entführern machen wollen. Mag sein, dass sie längst nicht mehr im Weißdorngehölz sind, aber vieles deutet doch darauf hin, dass sie noch hier aufzufinden sind. Ich würde daher vorschlagen, dass wir uns aufteilen und das Gehölz aus verschiedenen Richtungen angehen, ganz wie bei einer Treibjagd, sonst marschieren wir von einer Seite in den Wald rein und merken gar, nicht wie die Strolche sich in die andere Richtung davonmachen. Was haltet ihr davon?” Erlan blickte in die Runde.
Brumil, der die ganze Zeit über schweigsam daneben gesessen hatte und zuhörte, räusperte sich nun, um sich die notwendige Aufmerksamkeit zu sichern und um seine Stimme auf das für ihn ungewohnte Sprechen in großer Runde vorzubereiten. Den Blick auf einen nahen Felsen fixiert, beginnt er mit langsamem Tempo und ruhiger Stimme zu sprechen.
”Ich stimme den Vorschlägen dieser Runde zu … doch bin ich der Meinung, wir sollten uns besser auf dieses Vorhaben vorbereiten. Vielleicht erscheint uns die Situation in neuem Licht, wenn wir weitere Informationen erlangen können.
So ist mir zu Ohren gekommen, dass die Junkerin dieses Landstrichs …” er grummelte nachdenklich … ”Ilma Steinkopf auf Butterwus etwas über die Entführung wissen könnte. Sie wurde vor der Entführung ungewöhnlich oft auf Burg Alt Rudes Schild gesehen und die Spur der Entführer führt uns hierher, auf ihr Land.
Möglicherweise haben wir es bei den Entführern nicht mit ein paar Handlagern zu tun, die hier mit ihrem Opfer auf weitere Befehle warten, sondern mit Ortskundigen, vielleicht gut informierten und gerüsteten Kämpfern.
Auch möchte ich zu bedenken geben, dass wir bis jetzt nichts über die Motive der Entführung wissen. Solange das so ist, sind all unsere Annahmen spekulativ…”

Brumil zögerte und blickte in die Runde


”Letztlich möchte ich noch zu bedenken geben, dass hier zwei Fraktionen versammelt sitzen, die sich bis vor wenigen Augenblicken noch gegenseitig die Schuld an der Entführung gaben.”


Isida zog die Stupsnase kraus und schüttelte verneinend den Kopf: ”Wohlgeboren Farelius, Rondrabert, meine übrigen Begleiter und ich, wir geben niemandem die Schuld an irgendetwas. Wir sind hier, herauszufinden, wer Wohlgeboren Alrich ergriffen hat. Und wozu. Nicht um von vornherein jemandem diese Tat anzulasten.”
Brumil griff seinen Faden wieder auf: ”Auch wenn ich fest an die ritterlichen Tugenden der Anwesenden glaube und niemandes ehrliches Wort in Zweifel ziehe, so bleibt die Tatsache, dass dieser Wald ein geeigneter Ort für einen Hinterhalt ist.


Bevor wir uns trennen um das Gehölz von mehreren Seiten zu durchforsten, hätte ich zwei Vorschläge.


Wir könnten zuerst das Elfenblut” – er zeigte auf Rukus – ”in den Wald schicken. Er wurde mir von Eckbart von Hirschingen als guter Fährtenleser anvertraut. Vielleicht findet er eine Spur, die uns schnell zu den Entführern bringt.


Es wäre auch sinnvoll, eine Delegation zur Junkerin zu entsenden, um sie zu befragen und um sie über die Umtriebe in ihrem Land zu informieren. Vielleicht will aber zuerst ihre Tochter dazu Stellung nehmen, dass sich Hochverräter möglicherweise seit mehreren Wochen auf dem Land ihrer Familie versteckt halten… ” Brumil blickte zu Leowina.


”Ihr vollzieht selbst das, was ihr den Versammelten gerade eben anlastetet, Wohlgeboren Brumil”, warf Baroness Isida ein – freundlich, aber mit Nachdruck, noch ehe die Butterwuserin empört aufbrausen konnte: ”Ihr lastet Wohlgeboren Leowina Mitwisserschaft der Tat an. Ansonsten habt Ihr Recht: Die Familie der Junkerin könnte Wichtiges wissen, ohne selbst die Bedeutung ihrer Kenntnisse zu erfassen. Also, Wohlgeboren von Butterwus, wisst Ihr etwas über angebliche Bannstrahler, die auf dem Land Eurer Frau Mutter weilen oder weilten?”


”Nein, nichts!” schnaubte Leowina mit mühsamer Beherrschung. ”Und ich bin mir sicher, dass auch meine Mutter nichts von”, noch einmal holte sie tief Luft, ”Hochverrätern auf unserem Land weiß, Herr Zwerg! Wir sind in keinster Weise in die Entführung involviert, sonst würde ich wohl kaum dabei helfen, sie aufzuklären. Überdies...”
”Überdies sind die Einwände des Herrn Brumil durchaus verständlich”, fiel ihr Rondrolf ins Wort und hoffte, sie würde sein Augenzwinkern im flackernden Schein des Feuers nicht übersehen. ”Wir gehören verschiedenen Parteiungen an, ohne Frage, da liegt es nahe, die jeweils andere Seite eines falschen Spieles zu bezichtigen. Doch derlei Anfeindungen werden uns bei der Suche wohl nicht weiterbringen. Ich bin dafür, zumindest zwei der Vorschläge des Herrn Brumil umzusetzen. Zum einen bin ich ebenfalls dafür, dem Elben die Spurensuche zu überlassen. In dieser Hinsicht dürfte er uns einiges voraus haben, zumal die Augen der Elfen bekanntlich im Dunkeln besser sehen als jene der Menschen. Seine Chancen, etwas zu finden und dabei unbemerkt zu bleiben, sind also größer als unsere.
Zum anderen halte ich selbst es ebenfalls für geraten, auf Alt Rudes Schild Bericht zu erstatten. Womöglich weiß man dort tatsächlich etwas, was erst im Licht unserer Erkenntnisse bedeutsam erscheint. Und ich schlage vor, selbst dorthin zu gehen, weil...”
”Weil du hier draußen so nützlich bist wie eine Eisenkugel am Bein”, grollte Roban.
Rondrolf klappte den Mund zu, warf seinem Bruder einen ärgerlichen Blick zu, nickte dann aber seufzend.
”Womit du im Wesentlichen leider recht hast, Roban. Meine Fähigkeiten im Spurenlesen, Anschleichen und Kämpfen sind kaum nennenswert. Ich wäre mehr ein Risiko als eine Hilfe, wenn ich hier bleibe. Natürlich bin ich einverstanden, wenn mich ein Vertreter der Gegenseite zu begleiten wünscht – allein schon, um weiterem Misstrauen vorzubeugen.”


Wie von einem Richter zu erwarten, verfolgte Brumil die belebte Diskussion mit geradezu amtlichem Stoizismus. Bei Isidas Einwürfen und Leowinas Ausfall erhielt seine Miene jedoch einen nachdenklichen Ausdruck. Ganz so, als wäre er von den Äußerungen überrascht und versuche nun die Gedankengänge hinter den Argumenten nachzuvollziehen.
Nachdem Roban zu Ende gesprochen hatte, räusperte sich Brumil abermals und sprach langsam und betont sachlich in Richtung Leowina mit sporadischen Seitenblicken zu Isida:


”Die Frage, ob ihr oder eure Familie etwas Erhellendes zum Verbleib der Hochverräter beitragen könnt, hat nichts Ehrenrührendes … Nach allem, was wir wissen, befinden sich die Gesuchten auf eurem Land. Wahrscheinlich bereits seit Wochen.
Eure Familie ist durch Eid daran gebunden, dieses Land zu schützen. Zudem lebt ihr hier.
Es ist daher folgerichtig euch als erste zu befragen….”


Zu Rondrolf sprach er: ”Ich gebe euch meine Magd Ilma und einen Burgknecht von Alt Rudes Schild, der mich begleitet hat, mit.”


Farelius nickte. Auch wenn er seit jenem Vorfall vor einigen Jahren nur noch schlecht auf das kleine Volk zu sprechen war, so musste er die Umsicht und Integrität, die der Zwerg an den Tag legte, doch anerkennend zur Kenntnis nehmen.
”Nun gut. Zwar behagt es mir noch immer nicht, unser Ansinnen geheim zu halten, aber wenn dies euer aller Wunsch ist, werde ich in diesem Punkt schweigen. Lügen werde ich deshalb jedoch nicht, denn Praios selbst verlangt Ordnung und Ehrhaftigkeit von uns, und insofern sollten wir den Gemeinen mit gutem Beispiel voranschreiten.
Wohlgebohren Rondrolf, ich stelle euch gerne einen meiner Waffenknechte zur Seite. Bolzbert wird euch begleiten und mir Kunde davon bringen, was ihr herausfindet, und euch für diese Zeit als passabler Kämpfer zur Seite stehen, falls es nötig sein sollte.”


Ein paar Augenblicke lang sah er Brumil an, ehe er weitersprach:
”Euch, Richtgreve, will ich vertrauen und euch bitten alles, was hier herausgefunden wird, nieder zu schreiben und nötigenfalls an den Fürstenhof zu tragen, auf dass der Fürst selbst über alles richten und Streit oder gar Krieg verhindern kann.”
Daraufhin schaute er in die Runde: ”Und euch alle, möchte ich bitten, an die ritterlichen Tugenden erinnert zu sein. Insbesondere die Ehrenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit, die Praios gefällt, aber auch nicht zuletzt den Zusammenhalt und den Frieden, den uns Travia schenkt. Ihr selbst habt gesehen, wie die Wegzehrung des Herrn Erlan uns alle hier in Frieden zusammengeführt hat. Diesen, von der liebenden Mutter höchstselbst gespendeten Frieden gilt es zu wahren, denn ein bewaffneter Konflikt wäre doch das letzte, was unser schönes Koscherland braucht.”


”Kommt wohl drauf an, wem man dabei ins Sitzfleisch tritt”, brummelte Roban halblaut, und erntete eine Mischung aus schweigendem Beifall und tadelnden Blicken, je nachdem, welche Weltsicht die Absender mit sich trugen.
”Bleiben wir zunächst einig”, wand Rondrolf rasch ein, ”und ich würde vorschlagen, baldmöglichst gen Alt Rudes Schild aufzubrechen und auch die Suche zu beginnen. Die Angelegenheit schwelt bereits zu lange, als dass sie weiteren Aufschub verkraftet. Am Ende verliert doch noch eine der Parteien die Nerven, und unnützes Blutvergießen kann wahrhaftig nicht im Interesse des Fürstentums sein – nicht solange es noch genügend Feinde im Außerkosch gibt, deren Sitzfleisch”, er dehnte das Wort besonders lang und warf seinem Bruder dabei einen warnenden Blick zu, ”ein paar anständige Tritte wohl eher verdient hätte.”


Erlan von Sindelsaum nickte zustimmend. ”Wir sollten wirklich los, unser Gespräch hält schon zu lange an. Rondrolf, ihr dürftet ja angemessen begleitet sein. Thalian Has, ihr geht mit euren Leuten von Firun um den Wald herum und Euch, Junker Baduar, würde ich bitten, desgleichen in südlicher Richtung vorzunehmen. Haltet eure Augen offen und gebt uns Hornsignale, falls die Verdächtigen zu flüchten versuchen. Der Rest kommt mit mir.”
Erlan ließ sein Pferd bei seinem Leibdiener zurück und machte sich zu Fuß auf den Weg gen Wald. Sein Gefolge folgte ihm auf dem Fuß. Es war deutlich, dass Erlan als ranghöchster Anwesender das Kommando an sich gerissen hatte und erwartete, dass ihm die übrigen folgen oder aber bei den Pferden warten würden.


Brumil nickte Farelius zustimmend zu und reihte sich schließlich schweigend in die Gruppe hinter Erlan ein. Nach einiger Zeit, als sich die versammelte Gesellschaft durch kurze Wortwechsel darauf geeinigt hatte, dass die Gruppen um Thalian Has und Baduar ihre Ausgangspositionen im Norden und Süden des Waldes wohl schon erreicht haben sollten, gab der Baron Sindelsaum das Kommando zum Aufbruch.