Die Ochsenbluter Urkunde
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Die Koscher Königskrone | ▻ |
Die Ochsenbluter Urkunde
Die ersten Änderungen unter der Ägide der neuen Kaiserin
Das Reich steht vor einem Neuanfang. So manches Ungewohnte mag uns unter Kaiserin Rohaja beschert werden, aber auch so einiges Altbewährte kehrt zurück. All das nicht nur im fernen Gareth oder Elenvina, sondern auch in unserer geliebten Heimat, just vor unserer eigenen Haustür.
Betrachten wir uns die zu erwartenden Änderungen, welche auf dem Hoftag beschlossen und in einem denkwürdigen Schriftstück festgehalten wurden... In jener Urkunde, die fürderhin den stolzen Namen jener Burg trägt, die dem Hoftag Gastung bot, und die seit vielen Jahren schon vom garetischen Zweig des Hauses Eberstamm behütet wird — der „Ochsenbluter Urkunde“.
Von der neuen Zeitrechnung
Zuvörderst sei die offizielle (Wieder-)Annahme der Zeitrechnung nach Bosparans Fall genannt. Es zeugt von Demut, dass die neue Kaiserin auf eine Zählung „nach Rohaja“ verzichtet — und gleichzeitig von Weitsicht, da schon seit einigen Jahren viele Gelehrte und Schreiber dazu übergingen „nach Bosparans Fall“ zu rechnen.
Vom Koscher Königstitel
Für Erstaunen sorgte Kaiserin Rohajas große Geste, auf ihre Rechte als Königin des Kosch zu verzichten. Ihr soll zwar der ehrbare Titel, den sie mit ihrer Krönung im Jahre 1022 BF erhielt, nominell verbleiben, doch die Hoheit über das Land überlässt sie nun vollends unserem guten Fürsten Blasius — mehr als ein symbolischer Akt, was sich möglicherweise erst in den kommenden Jahren nach und nach erweisen wird. Denn obschon die Kaiser, welche fast immer den Königstitel des Kosch in Personalunion trugen, nur selten den Fürsten „ins Tagwerk regierten“, hängt so manches Privileg an der koscher Königskrone. Insbesondere wird unser Fürst mit diesem Zeichen auch nominell den Herzögen des Reichs gleichgestellt, welche bislang als eigenständige Landesherren einen höheren Rang genossen.
Von den Truppen des Reiches
Künftig werden die unter Reto eingeführten Reichstruppen den Provinzherren unterstellt sein. Der Posten der Kaiserlichen Marschallin, den zuletzt die in Wehrheim gefallene Angunde von Falkenhag-de Hèrisson innehatte, wird demnach nicht mehr besetzt. Stattdessen übernimmt der Fürstliche Wehrmeister Thorben Raul Baduar von Hammerschlag nun auch die Aufsicht über die Ferdoker Lanzerinnen und wird somit (freilich nach dem Fürsten) höchster Befehlshaber der Provinz. Doch worüber hat er noch zu befehligen? Zu viele Reckinnen und Recken sind in den letzten Jahren gefallen — nur noch matt scheint der einstige Glanz der einst so ruhmvollen Truppen. Nach den Angbarer Schanzern und Sappeuren ist auch das Fürstliche Schlachtreiter-Regiment „Fürst Bernfred“ in seiner bisherigen Form Vergangenheit. Es gilt unter dem Schutz der befreundeten Zwergenvölker einen Neuanfang zu wagen... ein Aufbau, der über viele Jahre und Jahrzehnte gehen wird — und dem durch die mager gewordenen Schatullen sicher enge Grenzen gesetzt sind. Zur weiteren Beratung hat der Fürst den Wehrmeister und andere erfahrene Kriegerinnen und Krieger des Kosch zum Baduarsrat auf Burg Fürstenhort gerufen. Möge dieser bei den anstehenden, bedeutenden Entscheidungen eine glückliche Hand beweisen.
Vom Bund mit den Angroschim
Im Zuge der Neuordnung von Provinz und Reich wurde auch die beschützende Rolle der Angroschim für den Kosch von Seiten Kaiserin Rohajas anerkannt und gewürdigt. Der Dank gelte vor allem Hochkönig Albrax, der inzwischen in den Trollzacken eine neue Wacht bezogen hat. Fürst Blasius und Graf Growin ernannten, mit Wohlwollen der Kaiserin, Albrax zum Baron von Hammerschlag, was eher als symbolische Geste zu verstehen ist (tatsächlich wird das Geschick der Baronie von Wehrmeister Thorben von Hammerschlag als Erbvogt getreulich gelenkt). Weiterhin wurde die brüderlich-behütende Rolle der drei im Kosch ansässigen Völker für die Grafschaften unterstrichen: so der Koschimer Erzzwerge für den Wengenholm, der Hügelzwerge für Angbarer See und Schetzeneck sowie der Waldwachter Ambosszwerge für das Ferdoker Land.
Vom Ende des Reichsfriedens
Sichtliche Sorgen bereitet dem Fürsten die Aussetzung des Reichsfriedens, welcher vor allem auf Betreiben des streitlustigen Almadaner Adels abgeschafft wird. Schon brauen sich auch im Kosch erste Zwistigkeiten zusammen, die in blutige Fehden zu münden drohen — so etwa in der Nachfolgefrage zu Nadoret (siehe Seite 18 in dieser Ausgabe). Der Fürst aber hat die Jahre des Friedens in seinem Land sehr zu schätzen gelernt und sähe diesen Zustand gerne auf Dauer gesichert. Zu sehr braucht der Kosch jeden Schwertarm, als dass er zusehen könnte, wie sich die verbliebenen Recken in kleinlichen Streitigkeiten gegenseitig hinmetzeln. Und so sprach unser guter Fürst: „Ich wünsche keinen blutigen Wettstreit und unbehaglichen Zwist in meinem schönen Kosch! Unsere Heimat soll ein Hort des Friedens und der Stärke sein – und ein wahrer Rittersmann nach Baduars Art hofft mit Göttervertrauen, dass mancher Hader sich mit der Zeit von selbst erledigt und am Ende gute Nachbarschaft und Freundschaft siegreich bleiben. Und sei dies nicht der Fall, weiß er dennoch, wann man sich besser durch Worte oder einen zünftigen Wetttrunk misst, und wann man sich mit dem Schwerte gegen Feinde stellen muss.“
Von der Hals- und Handgerichtsbarkeit
Künftig soll neben der Handgerichtsbarkeit in minderen Fällen auch die Halsgerichtsbarkeit (also das Recht schändliche Verbrecher zum Tode zu verurteilen) bei den Baronen liegen; bislang war dies den Grafen vorbehalten. Man verspricht sich davon schnelleres und direkteres Vorgehen gegen die Räuber, Marodeure und Vagabunden, mehr denn je ihr Unwesen treiben — sogar im sonst so friedlichen und sicheren Kosch. Vor allem in den vom Krieg verwüsteten Gebieten Garetiens oder Darpatiens erscheint der nächste Grafensitz in diesen Tagen ungleich weiter entfernt als noch zu Zeiten eines starken Reiches, aber auch in den Landen jenseits der Ange und auf manchem einsamen Waldweg oder Bergpfad lauern hierzulande die Gefahren. Mögen die Barone mit diesem neuen Recht weise und behutsam umgehen.
Von der Kaiserstadt Gareth
Wenngleich Gareth den Ehrentitel als Erste Stadt des Reiches behält, wird seine Rolle nach der Zerstörung von Neuer Residenz und großen Teilen der Verwaltung dennoch deutlich schwinden. Während die Kanzleien wie auch die Führung der Praioskirche großteils in das aufblühende und unter der starken Hand Herzog Jasts stehende Elenvina gezogen sind, soll die Kaiserin selbst künftig durch das Land reisen. Hierfür soll die Rolle der im ganzen Land verstreuten Pfalzen hervorgehoben und ausgebaut werden, ein Vorhaben, das für unser Land die Frage aufwirft, ob der Kosch denn überhaupt genug würdige und gemütliche Residenzen für unsere Kaiserin bieten kann. Die unten stehende Übersicht der kaiserlichen Güter im Kosch offenbart ein eher beunruhigendes und fast beschämendes Bild.
Von den Zehnten, Steuern und Abgaben
Ohne die Leser mit Einzelheiten aus den Büchern der Säckelmeister und Zehntprüfer zu langweilen, sei angemerkt, dass künftig größere Teile der Steuern in der Provinz verbleiben sollen. An den Hof der Kaiserin gehen künftig kleinere Summen. Die neue Herrscherin des Reiches erweist sich auch hier, wie schon bei ihrer Krönung, als bescheidener als viele ihrer Vorgänger. Insgesamt wird die zentrale Rolle der Reichshofhaltung zugunsten der Provinzen, Grafschaften und Baronien schwinden. Selbst die Reichserzämter sollen künftig unbesetzt bleiben — was bedeutet, dass mit Graf Orsino das Amt des Reichserztruchsess sein Ende findet. Als sicher gilt, dass auch das Angbarer Dukatenprägerecht bis auf weiteres bestehen bleibt – die neuen Prägestempel, die das lange gewohnte Antlitz Hals durch die liebreizenden Züge Rohajas ersetzen sollen, seien schon in Vorbereitung.
Mögen diese bemerkenswerten Entscheidungen die düsteren Vorzeichen der Regentschaft Rohajas überstrahlen: Ihr Bruder Selindian-Hal beansprucht auch seinerseits den Kaisertitel nach Retos Recht und residiert im Almadanischen (und es heißt, dass auch mancher im Kosch ihn lieber auf dem Thron gesehen hätte), im Osten steht nach wie vor ein bedrohliches Düsterland, im Horasreich bringen Erbfehden Zwist und Unsicherheit, das Reich — allen voran sein Herz Gareth — liegt nach all den Kriegen darnieder.
Wir jedenfalls sind guter Dinge, und wünschen Ihrer Kaiserlichen Majestät viel Mut, Weisheit und Umsicht — auf dass das Reich Rauls in bessere Zeiten steuere.