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Aktuelle Version vom 1. Januar 2023, 16:57 Uhr
Was lange währt...
Ein Jahrhundertwerk wird enthüllt
EGRAZIM, BRN. STANNIZ. Drei Generationen lang — für Menschen eine kleine Ewigkeit — hat die Kurtoc-Sippe in Egrâzim an einem monumentalen Werk gearbeitet, das nun zur Vollendung gelangt ist.
Zur feierlichen Einweihung waren zahlreiche Gäste, vor allem aus den Bergkönigreichen, nach Egrâzim geladen, aber auch menschliche Würdenträger sollten nicht fehlen: Natürlich ließ es sich Baron Alrik Erzbart von Stanniz nicht nehmen, in die benachbarte Binge zu kommen. Aus Väterchen Aromboloschs Halle unter dem Amboss aren einige Clansoberhäupter gekommen, und aus Angbar war die Erhabene Sephira Eisenlieb höchstpersönlich angereist, um dem Ingerimm gefälligen Werk ihre Achtung zu zollen. Die größte Überraschung freilich war, dass sogar aus dem fernen Xorlosch eine kleine Delegation der Einladung folgte — freilich nicht der ehrwürdige Patriarch selbst, aber zwei Angroschgeweihte in seinem Auftrag, die deutlich missgestimmt über die lange Reise auf Sumus Rücken waren, dazu staubig und sehr durstig. „No xomschog brodexam bosekam“, murmelte Berox Sohn des Bromon griesgrämig auf den Willkommensgruß der Egrâzimer, und sein Zwillingsbruder Bargol stimmte ihm mürrisch zu. Ihre Laune besserte sich nur unwesentlich, als die das Egrâzimer Bier zu kosten bekamen, das doch im Ferdoker Land keinen üblen Ruf genießt...
Anderntags wurde eine kurze Feuermesse zelebriert, nach welcher Väterchen Kurom Sohn des Korax die Schar der Gäste und Verwandten zu dem großen Werk führte — von dem freilich noch keiner der Geladenen wusste, um was genau es sich handelte. Geheimnisvoll war in den Einladungen nur von einem „ganz und gar neuen, doch zutiefst angroschgefälligen Kunsthandwerke“ die Rede gewesen, welches „das Wesen der verschiedenen Elemente gleichsam beinhalte und zugleich überwinde“. Fürwahr große Worte, doch was sich dem Auge bot, war in der Tat ungewöhnlich und unerwartet: Die Egrâzimer, die für ihre Zinnvorkommen und -arbeiten berühmt sind, hatten in jahrzehntelanger Arbeit einen Metallgarten geschaffen mit Bäumen, Sträuchern Blumen — alles in filigranster Arbeit aus Abertausenden von Stückchen zusammengefügt. Welche Mühe steckte nur in einem einzigen Baum, an dem jedes Blatt von Hand gefertigt und bemalt und in einer winzigen Öse an den ebenfalls künstlichen Zweigen befestigt war! Wie herrlich waren die Maserungen der Blätter, die Strukturen der Borke, das Geflecht des Wurzelwerkes nachgebildet; wie filigran die Blütenstengel und -blätter, selbst die kleinen Staubgefäße, und wer genau hinsah, erkannte sogar winzige Immen, Hummeln und Schmetterlinge aus Silber, Gold und edlen Gesteinen, die von kundiger Hand auf die Blüten gesetzt worden waren. Beschritt man diesen Ewigen Garten, der sich auf einem Plateau am Bergeshang befand, so konnte man in nicht einmal einem Viertelstundenmaß die zwölf Monde und vier Jahreszeiten an sich vorüberziehen sehen, denn die erste Abteilung des Gartens war dem grimmen Winter gewidmet, und demzufolge hatten die „Gewächse“ hier keine Blätter, aber eine feinpolierte Silberschicht; es folgte der Frühling in üppigem Blütenschmuck, der früchteschwere Sommer und der farbenprangende Herbst, wobei die flammenden Töne des Laubes durch allerlei herrliche Legierungen aus Kupfer und anderen Metallen erzeugt worden waren. Die Handwerksarbeit und die immense Geduld war in der Tat ein Kennzeichen der Angroschim, doch das Motiv, der Gegenstand war gänzlich ungewöhnlich für das Kleine Volk.
So fand der Metallgarten zwar bei den menschlichen Betrachtern großes Lob, und mehr noch bei den hügelzwergischen Besuchern, die sich ja auch an Gartenelfen und dergleichen erfreuen können; die beiden Gesandten des Bewahrers der Kraft hingegen schüttelten die Köpfe und ließen sich nur nach mehrfacher Aufforderung dazu bewegen, überhaupt den gesamten Weg abzuschreiten. Dieser Garten müsse sich nicht dem Wandel der Jahreszeiten unterwerfen, den der schillernde Echsengötze Zza über die Welt gebracht habe, hier werde des Herrn Angrosch Beständigkeit verherrlicht und die Treue des Erzes gepriesen, die Sturm und Herbstzeit trotze, erklärte Väterchen Kurom stolz.
Doch falls er darauf wirklich ein bewunderndes „Ka Angroscha!“ von den Xorloschern und den Vertretern aus Murolosch erwartet hatte, wurde er bitter enttäuscht. „Elfenzeug“ nannte Meister Bargol das Ganze, und seinem Bruder Berox blieb angesichts eines ehernen Maulwurfs, der einen unvergänglichen Hügel aufwarf, ganz die Rede im Halse stecken. Sie reisten auch am gleichen Tage ab, bevor noch die Fässer für die Feier angestochen wurden. Man kann sich vorstellen, dass die Kurtoc-Sippe wie vor den Kopf geschlagen war. Was half es da, dass der Baron von Stanniz die Arbeit als „ganz unvergleichlich“ lobte und auch die Erhabene Sephira mit freundlichen Worten nicht sparsam war… Selbst dass sie den Metallgarten in die Zahl der „Ingerimm höchstgefälligen Werke“ aufnahm, war offenbar nur ein schwacher Trost. So wollte am Abend keine rechte Feststimmung aufkommen, und nur die Hälfte der bereit stehenden Bierfässer wurde angezapft.
Ein vorzeitiges und gar trauriges Ende fand das Fest, als man auf der Suche nach Väterchen Kurom zu aller Leidwesen fündig ward: An einem herbstlich gestaltenen Baume, an dem er selbst über Jahre gearbeitet hatte, fand man den würdigen Greis und Meister erhängt, und jede Rettung kam zu spät. So verging der Kurtoc-Sippe alle Freude an ihrem Werk, die Feuer wurden ausgelöscht und man bestreute sich die Häupter mit Asche. Was als Festbankett geplant war, wurde zum Leichenschmaus — und Klagehämmern statt freudiger Pfeifenbalglieder erfüllte die Halle von Egrâzim.