Unter Schurken - Zurück zum Bier
Der Weg ging zurück in Richtung des Hauptortes der Baronie, auf eben die Stelle zu, wo man den falschen Bierkutscher bereits schon einmal gestellt hatte. Die Straße führte stromaufwärts, durch die nebelverhangenen Auen des Darlin. Das Madamal müßte zwar voll am Himmel stehen, doch mochte man durch die dichten Nebelschwaden nur erahnen, in welcher Phase es sich gerade befand. Dem Vinansamter kam so langsam in den Sinn, warum sich gerade hier, im Eisenwald, überraschenderweise so viele Borongläubige finden: selten fühlte er sich dem Reiche des Totengottes so nahe wie während der raschen Fahrt durch das nächtliche Dohlenfelde, und das regelmäßige Gekreische eines aufgescheuchten Rabenvogels im hohen Ufergras trug nicht gerade zur Aufhellung seiner Stimmung bei.
“Was meint Ihr, wohin sich der schurkische Jergenquell wohl geflüchtet haben mag? Er ist hier nicht heimisch, und die Leut’ sind nicht gut auf uns Koscher zu sprechen. Er wird sich wohl irgendwo verkrochen haben, und darauf warten, daß ihm seine Schergen von unserem Tode berichten.“
Ritter Falk, der nun sichtlich Mühe hatte, die Zügel im Griff zu halten, als eine erschreckte Krähe die Pferde kurz zum Scheuen brachte, antwortete:
“Ja, das mag wohl sein. Wir können nichts weiter unternehmen, als zum Wrack der Bierkutsche zurückzukehren.“
Nach diesem kurzen Wortwechsel zog sich Merwerd Stoia den Kragen etwas höher, hielt seinen schmerzenden Arm und versuchte, etwas Ruhe zu finden um seine Gedanken zu ordnen.
Der Edle Wolfhardt war schon bald nach dem Aufbruch auf den bequemen Ledersitzen in der Kutsche eingenickt, seine geliebte Harfe vor der Brust, mit beiden Händen fest umklammert. Ritterin Rena auf der gegenüberliegenden Bank dachte sich ihren Teil, als sie ihren “Geliebten“ dort so sitzen sah und ließ ihre Finger mit dem schweren Siegelring des Schleiffenröchters spielen. Das gleichmäßige Holpern der Kutsche und die Kälte der Boronsnacht ließ jedoch bald auch sie ins Reich der Träume hinübergleiten, so daß einzig noch Ritter Falk ganz auf Dere weilte und den Vierspänner geschickt auf dem grob gepflasterten Weg hoch in den Eisenwald hinauflenkte.
Als die Kutsche gerade durch Dohlenfelde, den Hauptort der gleichnamigen Baronie gefahren war, ließ Falk die Zugpferde recht ruckartig zum Stehen bringen, denn ein Nachtwächter der Ortschaft hatte ihn mit Laterne und Hellebarde zum halten aufgefordert. Vinansamt war sofort hellwach. Der Nachtwächter trug die Farben der Baronie Dohlenfelde und hub an zu fragen:
“Kutscher, woher kommt ihr und wohin fahrt ihr noch zu solch später Nachtstunde?“
Bevor Ritter Falk den Mund ganz geöffnet hatte, antwortete der wortgewandte Merwerd Stoia:
“Wir fahren im Auftrage eines Twergenhäusener Patriziers, der nicht genannt sein will, dessen hübsches Töchterlein und deren Anverlobten hinauf nach Rabenstein, wo dieser herstammt. Und wir verbitten uns unwichtige Störungen!“
Als der Nachtwächter sich gerade auf seine Hellebarde stützte, um den Wahrheitsgehalt der Aussage mit einem raschen Blick in die Kutsche zu prüfen, reagierte dort Rena geistesgegenwärtig, setzte sich schnell hinüber zum immer noch schlafenden Wolfhardt und umarmte und küßte ihn innig. Der Dohlenfelder Büttel sah im Lichtkegel seiner Laterne die beiden offensichtlich frisch Verliebten beim Rahjasspiel, wollte nicht weiter stören, noch weniger jedoch einen Twergenhäusener Patrizier verärgern, und winkte deshalb die Kutsche mit den Worten: “Gute Fahrt, und den beiden Herrschaften Rahjas Segen!“ weiter. Kopfschüttelnd über die Großstädter, begab er sich in sein Wachhäuschen, um weiter auf das Ende seiner Nachtwache zu warten.
Merwerd Stoia freute sich schelmisch über die geglückte List und dankte den Zwölfen für die treffliche Idee des Edlen: “Auf unseren Wolfhardt kann man sich verlassen. Seine Einfälle sind zwar nicht immer die rondrianischsten, aber um mit einem verschlafenen Hinterkoscher fertig zu werden, langen sie allemal!“
Ritter Falk warf ein: “So viel Spaß hatte ich seit dem Empfang beim Grafen nicht mehr!“
Der Edle von Toroschs Aue wachte gerade in diesem Moment nach Luft schnappend auf und
starrte mehr als verwundert in Renas Gesicht, die gerade ihre Lippen von den seinen löste. Die Ritterin stieß sich von den Schultern Wolfhardts ab und setzte sich wortlos wieder auf ihre Bank, wo sie im fahlen Madaschein begann, den Griff ihres Schwertes nachzupolieren. Der arme Edle jedoch verstand die Welt nicht mehr und hatte irgendwie das dumpfe Gefühl, das wichtigste verpaßt zu haben.