Unter Schurken - Nicht so rasch
Nachdem sie eine scheinbare Ewigkeit durch die Stollen teils gegangen, teils gekrochen waren, stoppte Atrax die Gruppe. Die Luft in ihrem Stollen war merklich besser als in der verräucherten Halle, und ein unangenehm kühler Luftzug blies ihnen ins Gesicht.
“Holla!“
Mit einem lauten Poltern und Schnaufen tat Ritter Falk kund, daß er über seinen Vordermann gestolpert war. Gereizt wandte der Landtedle zu Toroschs Aue sich um und funkelte den nach dem hastigen und steilen Abstieg pustenden Siebentaler an. Ein verächtliches Schnauben war der Kommentar der Brüllenbösenerin ob des sich hinter ihr entfaltenden Durcheinanders – mehr gestattete ihr Knebel nicht, obwohl sie gewiß noch einige treffende Bemerkungen zum Thema parat gehabt hätte. Sie hatte es gut verstanden, den Zug durch die Stollen für den Wiesner hinter und den Baron vor ihr zu einem interessanten Spielchen werden zu lassen – kurzweilig für sie, schweißtreibend für die beiden Koscher. Nur von der Arbasierin blieb jede Spur verschwunden.
“Wenn mich nicht alles täuscht, müßte in einigen Schritt Entfernung ein Ausgang sein. Bis gestern zumindest wußten die Leute Seiner Hochgeboren noch nichts davon.“
“Dann laßt uns nachsehen“, wisperte der Vinansamter, der mit Atrax die Spitze der Gruppe innehatte. So leise als möglich schlichen die beiden in Richtung des vermuteten Ausgangs, vorsichtig darauf bedacht, sich nicht den Kopf an der an dieser Stelle außerordentlich niedrigen Decke zu stoßen.
Den Zurückgebliebenen wollte die Zeit schier endlos erscheinen. Kein Ton war zu hören außer ihrem eigenen, unsteten Atem und einem weit entfernten Pochen, wie von tropfendem Wasser. Nach einer schier endlosen Zeit hörten sie leise, sich nähernde Schritte. Hinter ihnen.
Hastig zog der Wiesner sein Schwert und wirbelte herum, versuchte, die pechschwarze Dunkelheit mit bloßer Willenskraft zu durchdringen. Mit kampflustig funkelnden Augen stellte Ritter Falk sich neben ihm auf.
Einige atemlose Augenblicke lang geschah überhaupt nichts... bis abermals Schritte knirschten, erst hinter, dann urplötzlich vor ihnen. Spielte ihnen hier nur das Echo einen Streich?
“Die Luft ist rein.“
Der Baron winkte ihnen, ihm zum Ausgang zu folgen. Geduckt huschte die Gruppe hinter Atrax her, nur ihre Gefangene schien weitaus weniger eifrig, sich von ihren Häschern ins Freie treiben zu lassen, während Ritter Falk und Wolfhardt noch immer mit ungemütlichen Blicken den Rücken der Gruppe sicherten. Niedrig genug wurde der Gang, um die koscher Streiter auf alle Viere zu zwingen, der Boden übersät mit lockeren Steinen.
Verblassendes Tageslicht empfing sie, bitterkalte, kristallklare Luft, die ihnen nach den Stunden in der verräucherten und muffigen Höhle wie ein Schluck hellen Weines schmeckte. Vor sehr langer Zeit mußte hier einmal ein Felsrutsch niedergegangen sein, der den Zugang fast zur Gänze verschüttet hatte. Wo die gewaltigen Bruchstücke keine dichte Schneehaube trugen, klammerte sich winterschwarzes Moos an sie und selbst einige Bäume von beachtlicher Dicke hielten sich in der Halde aus geborstenem Stein fest. Von außen war der Mineneingang kaum zu entdecken. Rutschend und schlitternd bahnte sich die Gruppe ihren Weg auf den tiefverschneiten Waldboden.
“Und nun?“
Wolfhardt blickte sich mißtrauisch um. Schweigend umschlossen die Bäume das kleine Grüppchen, abwartend und auf seltsame Art bedrohlich. Irgendwo weit entfernt erklang das hallende Hämmern eines Spechtes.
“Das ist doch klar! Wir überraschen dieses Räuberpack und befreien die Ritterin Rena!“
Ritter Falk machte bereits Anstalten, den Berg hinaufzustapfen.
“Nicht so rasch!“
Mit vereinten Kräften wurde der neu erwachte Tatendrang des Siebentalers gebändigt – vorerst.
“Auch wenn Ihr im Grunde recht habt. Doch laßt uns zuerst einmal das Gelände erkunden.“
Und diese Anweisung des Vinansamters wurde dann auch in die Tat umgesetzt.