Unter Schurken - Ruhig Blut
Das Dorf lag bereits ein gutes Stück hinter ihnen. Hoch am Himmel glänzte hinter einem dichten Wolkenschleier noch immer Madas nächtliches Auge. Nachdem man einen von Hecken wohl umsäumten Platz gefunden hatte, der von der Landstraße aus nicht zu sehen war, bezog die erschöpfte und schweigsam gewordene Gesellschaft ein spätes Lager, um für die bevorstehenden Gefahren gestärkt zu sein. Es war friedlich, wenn auch kalt und feucht; der Nebel stieg aus den Wiesen und Feldern und legte sich wie ein Netz aus klebrigen, grauweißen Fäden über das Land.
Der Sänger und sein Waffenmeister saßen beim Schein eines Kerzenlichtes über eine alte, vergilbte Karte der Marken gebeugt, die sicher noch aus Angbaroschs Zeiten stammte. Aber was half’s, wenn besseres nicht zur Hand war? Und zudem: die Berge laufen nicht davon, und der Große Fluß wird auch weiterfließen, wie Dragosch zu sagen pflegte.
Der Ritter fuhr nun mit dem Finger über die Linie, welche die Straße durch die Albenhuser Klamm markierte.
“Hier, das ist euer Weg, Dragosch. Ein gutes Stück zu Fuß, will ich meinen. Und nicht unbedingt ohne Gefahren.“
Dragosch brummte und tätschelte seine Gnauka, um zu zeigen, daß er sehr wohl auf sich aufpassen könnte. Die beiden hörten Schritte hinter sich. Es war Rena von Arbasien. Sie hatte in der Nähe eine Quelle gefunden und nach dem Kampf in Staub und Blut das Bedürfnis gehabt, sich zu reinigen. Das frische Wams, das sie nun trug, gab ihr ein Gefühl von Behaglichkeit – gerade recht zu einem neuen Kapitel dieser abenteuerlichen Reise. Die Arbasierin ließ sich auf einem Baumstumpf neben dem Wiesener nieder und warf einen Blick auf die Karte. Wie groß waren diese Nordmarken doch, und nur alle paar Fingerbreit leuchteten die roten Punkte eines Ortes auf dem knittrigen Pergament.
“Wie um Alverans Willen sollen wir den Jergenquell nur finden?“ fragte sie, mehr sich selbst als den Sänger. “Aber wenn es stimmt, was der Schurke uns verraten hat, dann ist die Bande sicher noch hier in der Nähe.“
Dragosch polterte dazwischen: “Und wenn ich denke, daß es der Bierkutscher war – schratnochmal und Angroschs Hammerschlag!“
“Ruhig Blut. Wir finden ihn, Dragosch, und ich versetze ihm einen Hieb von dir“, meinte Wolfhardt. “Aber es beunruhigt mich viel mehr, was diese feinen Adligen in der Schenke gegen den Kosch planen. Wir müssen auf der Hut sein in diesen Landen.“
Rena ging dem Gedanken nach.
“Ich verstehe es immer noch nicht. Wollte der Jergenquell sich nun mit den Schurken treffen, um Unterstützung gegen Albumin zu bekommen, oder um uns zu überfallen?“
“Beides wahrscheinlich. Aber er scheint ihnen auch nicht sonderlich getraut zu haben, wenn er einen Vertreter schickte. Der Boden mag auch in den Nordmarken recht heiß für den Herren zu sein. Immerhin steht er unter Reichsacht.“
“Das verrät uns aber noch immer nicht, wo das Versteck des Jergenquellers ist“, bemerkte Rena. “Doch wenn es wirklich der Bierkutscher – dieser Schurke! – war, dann sitzt er irgendwo im Grenzgebiet von Rabenstein und Dohlenfelde. Also wieder zurück ins ‚Feindesland‘.“
Das letzte Wort sprach sie mit seltsamer Betonung aus, von der Wolfhardt nicht sagen konnte, ob es nun Scherz oder Ernst war. Die Beilunkerin hatte während ihrer Knappschaft beim Grafen zu Ferdok viele der Koscher Eigenarten zu den ihren gemacht, wie es schien...