Rauschende Wasser, ragende Felsen

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Ausgabe Nummer 47 - Tsa 1031 BF

Rauschende Wasser, ragende Felsen

Ein Reisebericht Seiner Hochwürden Grimo Steinklaue


In der letzten Ausgabe des Kosch-Kurier fand der geneigte Leser den ersten Teil eines Reiseberichtes, den uns seine Hochwürden Grimo Steinklaue von Orgils Grab freundlicherweise überlassen hatte. Hier folgt nun der zweite Teil, der von Herolds Wacht bis in die gefährlichen Stromstellen der Zwergenpforte führt.


Das Mysterium der Zwergenpforte

Hinter der Heroldswacht ändert der Große Fluss seinen Lauf nach Westen, als wollte er sich nicht von den dortigen Ausläufern der Koschberge trennen. Der Flussvater und Väterchen Ingerimm so traut vereint? Oder geht der Fluss dem Amboss aus dem Weg? Wer weiß schon, was die Götter und ihre Kinder sich dachten, als sie die Flüsse mal so, mal anders laufen ließen. Auch der Darpat folgt ja lieber den Trollzacken, als sich ins Perricumer Land zu ergießen.

Ein wohl lösbareres Rätsel, weil von Menschen gemacht, ist die Zwergenpforte. „Der Durchlass des Großen Flusses zwischen Amboss und Koschgebirge“, heißt es einmal in einem alten Lexikon des Herrn Arbsenstroh, und so einer findet sich spätestens bei Drift, eigentlich schon viel früher.

„Nein, nein“, berichtigte mich Herr Arbsenstroh dann aber selbst, die Zwergenpforte sei die Enge zwischen den Koschbergen und dem Eisenwald!

„No, hier halt!“, gab mir wiederum einer der Schiffsleute zur Antwort, als ich ihn nach dieser Pforte fragte. Später konnte ich noch zwischen „Albenhus“ und „beim Thûrstein“ wählen. Inzwischen habe ich mir Folgendes zurechtgelegt: Die erste Zwergenpforte, sozusagen Pforte Ost, liegt kurz hinter Herolds Wacht. Da beginnt der an die hundert Meilen lange Zwergenstollen. Und so in der Gegend von Thûrstein oder Albenhus herum liegt dann die Pforte West. Oder ‚Koscher’ und ‚Nordmärker Pforte’? Oder wandert sie womöglich? – Bisher habe ich sie auf noch keiner Karte, die ich seitdem einsehen konnte, verzeichnet gefunden! (Das wäre mal eine Queste für einen Diener HESindes: „Finde die Zwergenpforte!“ Das könnte leicht zur Lebensaufgabe werden...)


Ritzer, Malmer und Rondras Kamm

Jedenfalls ist das Flusstal anfangs gar nicht so eng, wie man denken sollte. Die Talsohle ist recht flach, vor allem am Ferdoker Ufer, und der Fluss breit genug für mehrere Schiffe nebeneinander. Steile Hänge und Klippen finden sich hier vor allem auf der Schetzenecker Seite, dazu etliche Felsen im Fluss selbst. Erst kurz hinter der Baronie Bragahn beginnen die Ausläufer der Gebirge den Großen Fluss richtig in die Zange zu nehmen. Die dortigen Inseln, Felsen und Strudel kann ich gar nicht mehr alle aufzählen. Flammenzahn, Drachenzahn und Drakenfels heißen sie, Ritzer, Malmer, einer sogar Rondras Kamm, dessen acht oder neun Zacken schaumige Strähnen durch das Wasser des Großen Flusses ziehen. Auf manchen Klippen haben Wagemutige Heiligenstatuen aufgestellt, oder man wirft Münzen oder gießt Bier ins Wasser, um das Flussvolk günstig zu stimmen. (An einer solchen Klippe wird ein extra dafür bereitgehaltener Schuh zu Wasser gelassen. Das müsse man da halt tun, das sei schon immer so gewesen, sagte mir Herr Arbsenstroh.) An manchen Stellen wird das schiffbare Flussbett so schmal, dass zwei größere Schiffe nicht aneinander vorüberkommen, dafür strömt das Wasser so schnell und wild durch diese Engen hindurch, dass ich mich frage, wie man da überhaupt flussaufwärts fahren kann. Wie tief muss der Fluss dort sein, dass sein Wasser sich nicht staut?, überlege ich gerade. Da geht es wohl wirklich in Flussvaters Reich! Oder war das die Sache mit dem schnelleren Fließen? Ein Lehrer hat uns Novizen das beizubringen versucht, mir hat das aber nie eingeleuchtet. Ich kann mir auch jetzt nicht vorstellen, dass das ausreichen soll, um die Wassermassen dieses gewaltigen Flusses durch solche Engstellen zu bekommen.

Eine berüchtigte Strecke ist der Höllenschlund, in dem selbst der Treidelweg in den Fels hineingeschlagen ist. Schiffe, die in diesen Schlund einfahren wollen, geben Hornsignale, um Entgegenkommende zu warnen, aber das klappt wohl nicht immer. An einer Stelle hängt in der Felswand eine geborstene Schiffsplanke fest, das Einzige, was von einem Frachtkahn und einem Thorwaler Drachen geblieben ist, die hier ineinanderfuhren. Zwölf Jahre soll das jetzt her sein. Erst einmal legten wir aber wieder an, im Bragahner Land, glaube ich, in einem Ort namens Gangsdorf. Hier musste erstmals eins von Meisterin Rothenlohs Pferden in Aktion treten, weil drei große Fässer abgeladen wurden.


Lotsendienste

Nachher, im Zwergenstollen, nahmen wir zweimal Lotsen an Bord, was jedesmal ein großes Gezeter von Frau Krüsenpolt gab, weil anscheinend die Preise für den Lotsendienst schon wieder gestiegen waren. An einer dieser Lotsenstellen, noch in einem flacheren Abschnitt, schoben sich Kiesbänke in den Strom hinein, manche nur eine Spann unter Wasser. Sie wandern, erklärte mir der Lotse. (Wie die Zwergenpforte? – Entschuldigt!) Ein Stück flussabwärts verlieren sie sich, tauchen ab und sind weg, aber von oben kommen immer neue nach. Man müsse das Wasser kennen, seine Bewegung, seine Färbung, auch die Bewegung der Kiesbänke selbst, dann wisse man immer, wo man langfahren könne. Entlang des Treidelpfades sei früher sogar eine Rinne ausgehoben worden. Die sei zwar inzwischen halb zugeschwemmt, mache das Flussbett dort aber ebenmäßiger. Schwer beladene Kähne müssten allerdings trotzdem manchmal ausgeladen werden, um nicht auf Grund zu gehen. Die andere war eine kurze, aber üble Strecke, auf der das Wasser zwischen Felsen hindurchschäumt, die ein bisschen aussehen wie fischende Trolle. Genauso heißen sie auch: Die Fischenden Trolle.


Der Amboss und das Eiserne Haus

Dahinter wirft einen das Wasser geradewegs auf den Amboss zu – nicht das Gebirge, das sich im Süden erhebt, sondern einen mächtigen, zu beiden Seiten unterhöhlten Felsen. Legt man das Ruder zu früh um, trägt einen die Strömung entweder gegen das nördliche Steilufer oder mitten in getreidelte Kähne hinein. Zuletzt ist so etwas vor drei Jahren passiert, erzählte mir Herr Arbsenstroh, es gab neun Tote.

Weicht man zu spät aus, packe einen der Strudel am Amboss und lasse einen erst wieder los, wenn man einige echte Kostbarkeiten ins Wasser geworfen habe. Am Felsen zerschellen täten nur wenige Schiffe. – „Mehr als Ihr denkt!“, warf da der Lotse ein. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob er das nicht nur sagte, um die Stelle noch gefährlicher und seinen Dienst noch wichtiger erscheinen zu lassen.

Sonderbarerweise steht oben auf dem Amboss am vordersten Rand ein kleines steinernes Haus mit metallisch schimmerndem Dach. Sonst erkennt man nur einige niedrige Bäume und Büsche dort oben. Das sei das Eiserne Haus, erzählt Herr Arbsenstroh, fast im Flüsterton und schiebt eine Auswahl von Geschichten hinterher, die meinem Vater Stoff für einen halben Winter gegeben hätten. Der Lotse, den ich frage, winkt ab: Über das Eiserne Haus gebe es so viele Sagen und Legenden, wie es Großmütter und Großväter in der Gegend gäbe! Mindestens aber Spinnstuben, was ich ihm eher glaube. Manchmal soll man Licht in den Fenstern sehen, aber nicht einmal die Angroschim der Umgebung könnten sich daran erinnern, dass es jemand geschafft hätte, am Amboss anzulegen und ihn dann auch noch zu erklimmen. – Man ist an dem Felsen und Haus auch im Nu vorbei, und von flussabwärts her ist es nicht mehr zu sehen.


Die heilige Lorine

An anderen Stellen gibt es flachere Inseln im Fluss, gerade hoch genug, um bei normalen Hochwassern nicht völlig überflutet zu werden, oder Felsinseln, auf die Pfade und ausgehauene Treppen führen. Auf manchen davon leben harmlose Einsiedler oder Diener EFFerds, auf anderen Raubgesindel, das schutzlosen Booten zur Gefahr werden kann. Die einfachen Schiffsleute beten an solchen Inseln, Felsen oder Buchten zu einer Heiligen Lorine, erzählte mir Marsilea später. Die habe Flusspiraten, deren Boot zerschossen worden war, aus dem Fluss gefischt und zu einem besseren Leben bekehrt. Die Heilige scheint umstritten und ihre Verehrung nicht überall gern gesehen zu sein, weil auch die Gesetzlosen, sofern sie nicht gänzlich götterlos sind, sie als ihre Schutzheilige anzusehen pflegen. Eine Klippe im Strom heißt aber ganz allgemein die Lorinelei. Von dort aus soll Lorine die Flussräuber herausgefischt haben.


Rotzigkeiten

Vor einer anderen Insel bemerkte ich, wie sich die Schiffsleute an etwas am Heck des Schiffes zu schaffen machten, das unter einer Plane verborgen war. Herr Arbsenstroh versuchte mich derart auffällig davon fernzuhalten, dass ich mir das Ding näher ansah. Es handelte sich um eine kompakte kleine Rotze, schon schussfertig gemacht, die Geschosskugeln in einem Bottich daneben. Die Insel, die wir gleich passierten, wäre halt ein beliebter Unterschlupf für Flusspiraten, wurde mir verschämt erklärt, und da dachte man... meinte man... mache man halt eben... – Ich wartete, bis möglichst viele um mich versammelt und der Herr Schiffer und die Frau Gildenmeisterin zumindest in Hörnähe waren, dann erlaubte ich mir ein kleineres Donnerwetter, das genau so lange dauerte, wie wir brauchten, um an der Insel vorbeizufahren. Was glauben diese Bierfässler und Pfefferbeutel eigentlich? – dass unsereins beliebiges Soldvolk ist, nur eben kostenlos zu haben, wenn man einen braucht, der zuschlagen kann?! Gut genug, um eindrucksvoll „RONdra!“ zu schreien (verzeih, Herrin) und mit dem Schwert zu fuchteln, aber sonst reicht’s, ihm Futter und Wasser zu geben?! – Vorsicht! Ich hab’ zu lange in Wehrheim gelebt, wo man so eine Meinung an jeder Straßenecke trifft, und zwar umso häufiger, je näher man an diese vermaledeiten „Garnisonen“ und „Kasernen“ und diesen ganzen Heereskrams kommt! „Oh, Euer Gnaden, haltet doch eine Messe für die Soldaten!“, heißt es da. Aber nachher gibt es lange Gesichter und noch längere Beschwerden, wenn man den armen Schweinen was von Würde, Ehre und gerechtem Kampf erzählt oder die Offiziere rundgemacht hat, von denen kaum noch jeder zwölfte sowas wie Ehre oder Mut im Leib hat! – Euch kann ich hier ja jetzt verraten, dass mir dieses Donnerwetter auf dem Gilden-Schiff erstens einmal Spaß gemacht hat, ich zweitens Meisterin Rothenloh ein Zeichen gegeben hatte, die Augen offenzuhalten, und ich mich drittens so gestellt hatte, dass ich nicht gerade das allerleichteste Ziel für etwaige Schützen von der Insel bot. Kann schon sein, dass die, die sowas fordern, schon längst wohlgemut in den Hallen der Herrin schmausen, weil sie die Tapfersten und Ehrenhaftesten waren, aber ich bin der Meinung, dass ein Diener der Leuin zu schade dafür ist, vom nächstbesten Gesindel weggeschossen zu werden wie eine Taube vom Baum an der Landstraße. Dafür übernahm ich dann auch eine Wache in der Nacht. Den nächsten Hafen hatten wir nämlich nicht mehr erreicht, wie es Herr Arbsenstroh eigentlich gehofft hatte, und wir mussten am Treidelpfad sozusagen auf offenem Feld ankern. Es passierte aber nichts.


Drift und Borons Mahnung

Am nächsten Tag erreichten wir ziemlich früh Drift – wie- der Einsatz eines Pferdes und Ausladen mehrerer Fässer. In Drift wird zwar auch gebraut (Drifter Flussbräu, ich weiß nicht, ob es so schmeckt, wie es klingt), aber gutes, echtes Ferdoker ist einfach überall gefragt. Ich wanderte mit Iris und Marsilea gerade vom Hafen ein Stück in den Ort hinein, als ich auf einmal meinte, Satinav hätte sich einen bösen Scherz mit mir erlaubt: Ich hörte jemanden rufen: „Achtung, die Goldenen Raben!“ und sah drei Bewaffnete mit leicht golden schimmernden Harnischen und geschnäbelten Helmen heranreiten. – Die „Goldenen Raben“ sind aber bis zum Fall des Reiches die Leibgarde der Fürsten von Darpatien gewesen! Bis auf wenige Reste sind sie zusammen mit Fürstin Irmegunde gefallen. Hier waren sie also – begrifflich – wieder auferstanden (sowas sollte man eigentlich gar nicht schreiben, BORon bewahr’!), als Zollreiter des Drifter Barons (so heißt es jedenfalls auch in einem »Kosch-Kurier« von vor einem Jahr, nro. 41, glaube ich). – Manches geht doch seltsame Wege.

Kurz vor Drift liegt Garrensand, ein großes Kloster der Streiter des Heiligen GOLgari. Die dunkle Front zum Fluss hin und der „Rabenfelsen“ gegenüber wirken wie aus Schatten und Schweigen gefügt, die zu solidem Fels geworden sind. Reihen schmaler Fensterlöcher starren über den Fluss, keinem davon sieht man an, ob die Zelle dahinter bewohnt ist oder leersteht, weil der, der einmal darin geschlafen hat, gegen die Nieschlafenden im Osten kämpft oder gefallen ist. Hinterm fast schwarzen Dach dieses Baus schaut noch ein breiter, untersetzter Turm hervor. Viel mehr konnte ich im Vorbeifahren nicht erkennen. Solange man im Schatten dieser Mauern fährt, verstummen alle Gespräche (oder werden doch merklich leiser), ganz sicher aber jedes Lachen.

Vor dem Tod kann Euch niemand schützen, keine Liebe und kein Schwert, keine Witzeleien und kein Fluchen, keine Rüstung, keine Mauern – nichts. Wer sterben soll, den erreicht der Tod, ganz egal, wo, und manchmal sehr überraschend. Den Tod, der mit GOLgari kommt, muss man nicht fürchten, aber er ist trotzdem ein Abschied, vielleicht auf ewig. Darum soll man denen, die man liebt, sagen, dass man sie liebt, solange man am Leben ist, und denen, die man zum Feind hat, offen und aufrecht die Stirn bieten. Sonst kann es sein, dass die vielen Lügen und das viele Verschweigen und all das Unerledigte im Leben die Seele zu schwer machen für BORons Boten und er sie nicht mitnehmen will. Und nicht immer kommt dann nach ein paar hundert Jahren ein Wagemutiger vorbei, nimmt ihr die Last ab und erlöst sie von ihrem Dasein als Gespenst.

Einige Meilen unterhalb des Ortes Drift (und noch in der Baronie gleichen Namens gelegen) erreicht man mit dem Thûrstein die Grenze zu den Nordmarken.

Grimo Steinklaue von Orgils Grab