Jagd auf den Winterunhold

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Ausgabe Nummer 47 - Tsa 1031 BF

Jagd auf den Winterunhold

Wie aus einem alten Brauch bitterer Ernst wurde


GROINHAG. In Wengenholm ist es seit jeher Brauch, am 1. Firun auf die Jagd nach dem Winterunhold zu gehen, den man für die Not und Plagen des Winters büßen lässt. In normalen Zeiten wird der Unhold meist von einem Jüngling oder einer Maid in einem garstigen Kostüm verkörpert. Diesen Winter aber sorgten der Frost, die Not und der Zufall dafür, dass es in der Nähe von Groinhag ganz anders verlief.

Viele Abende hatte die Holzfällerstochter Mechte Süßbirn an dem zottigen Überwurf und der fratzenhaften Maske gearbeitet, die sie zum Tag der Jagd tragen wollte, um als Winterunhold(in) durch den Wald zu laufen, gefolgt von der schreienden Dorfjugend, der sie am Ende als Beute in die Netze gehen sollte. Und so stapfte sie denn auch am Morgen los, in den Schuhen drei Paar dicke Wollsocken und in der Tasche ein Fläschchen Beerenbrannt - denn es war bitterkalt. Die Fährte, die sie hinter ließ, war nicht zu übersehen, und bald würden die Jäger ihr auf die Spur kommen. Schon hörte sie das Schreien der Treiber und das Schlagen ihrer Stöcke... Doch bevor es näher kam, ging es in ein sonderbares Wutgebrüll über.

Was war geschehen? Nun, das Groinhager Jungvolk war auf eine Lichtung gestoßen, auf der ein Feuer brannte, und darüber brutzelte ein Hühnchen, fast schon gar. Den Burschen und Mädchen gingen die Augen über bei dem leckeren Braten, und rasch entbrannte Streit um die wenigen Stücke. Derweile entdeckte einer den fremden Koch, der sein Essen im Stich gelassen und sich beim Nahen der grölenden Rotte ins Dickicht geflüchtet hatte: Es war ein Spitzohr (ein Halbelf, wie wir vermuten), und wie das so ist, zählten die Groinhager eins und eins (in diesem Falle: ein gebratenes Huhn und ein Spitzohr) zusammen, und die Rechnung ergab: Hühnerdieb. Dass es sich bei dem Braten um ein erjagtes Wildgeflügel handeln mochte, bedachte keiner... Rasch gab ein böses Wort das andere, und der Elf, offenbar gänzlich fremd in der Gegend, setzte sich in seiner Not zur Wehr: Der Alerich Blautopf stürzte zu Boden und hielt sich die Hände vor die geblendeten Augen, die dicke Thalessia Sauermilch blutete aus einer Wunde...

Doch gegen die Übermacht konnte der Fremdling letztlich nicht gewinnen. Er wurde von den zornigen Dörflern blau und grün geschlagen und wie ein erlegtes Wild, mit gebundenen Händen und Füßen an einer Stange hängend, ins Dorf gebracht. Dort wäre vielleicht noch Schlimmeres mit ihm geschehen, wenn nicht der Perainegeweihte eingeschritten wäre und den Fremdling in Schutz genommen hätte. Mutig stellte er sich jedem entgegen, der „das elende Spitzohr“ aus seiner Hütte holen wollte.

Gegend Abend stellte er jedoch fest, dass sich sein Schützling auf welche Weise auch immer aus dem Staube gemacht hatte. Seine Sachen, die ohnehin reichlich zerfetzt waren, hatte er zurückgelassen; dafür fehlten die warmen Decken und ein Mantel aus dem Besitz des Geweihten. Das Schicksal des spitzohrigen „Winterunholds“ ist ungewiss; er wurde auch in den Nachbardörfern nicht gesehen, weshalb man annehmen muss, dass er entweder jeglichen Kontakt zu den Menschen gemieden hat oder aber in der Firunskälte elend umgekommen ist.

Karolus Linneger