Das Ordenskonsistorium zu Garrensand

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Ausgabe Nummer 8 - Efferd 1016 BF

Das Ordenskonsistorium zu Garrensand

wie es sich wahr und in allen Dingen zugetragen im Boronmond des 22. Götterlauf des Kaisers Hal

Ankunft

Am Morgen des 29. Travia, der Himmel ist von düsteren Wolken verhangen, erblicken die erstaunten Bewohner der Baronie Drift im Süden des Fürstentums Kosch die ersten Vorboten jenes Ereignisses, das gerüchteweise bereits seit einigen Wochen Gesprächsstoff bietet. Am 1. Tag des Boronmondes wird das Kloster Garrensand, welches sich an der Mündung des Flüßchens Unwyn in den Großen Fluß in ehrwürdigem Alter erhebt, Ort eines Schauspiels sein, das in seiner Tragweite zwar nicht den Derenkreis erschüttern, indes aber sicherlich Auswirkungen auf die Zukunft des Klosters und seiner Umgebung haben wird. Die Rede ist hier vom Konsistorium des Ordens vom Heiligen Golgari, einer noch jungen Gemeinschaft gläubiger Boronstreiter, zu deren Hauptsitz des Kloster vor kurzem avanciert ist.

Den Anfang machen zwei schweigsame Gestalten in schwarzen Roben, augenscheinlich Priester des Puniner Ritus, die sich bei einigen Bauern nach dem Rabenfelsen erkundigen, der zu Füßen besagten Klosters liegt und allein schon Grund genug für eine Wallfahrt ist. Stunden später werden die selben Bauern gleichfalls von einigen Reitern ausgefragt, und deren hochherrliches Benehmen und das Rüstzeug lassen nur den Schluß zu, daß sie wohl „welche von diesen Ordensleuten“ sein müssen. Die folgenden Tage erleben eine Begegnung der dörflichen Abgeschiedenheit mit dem Hauch der weiten Welt. Das Stampfen schwerer Rösser, das Rasseln von Waffen und das Leuchten wallend weißer Mäntel überdecken für kurze Zeit den Ruf des Rotbauchs über den Feldern und das Zwitschern der Koschammern in den Hecken.

Alle jene „hohen und feinen Herrn“ ziehen zum Rabenfelsen — besser gesagt über die Brücke, die den einzigen Zugang des Klosters darstellt, welches erst kürzlich vom Spuk der Visarketzer gereinigt wurde. Der Strom reißt nicht ab, bis der Tag des ersten Boron gekommen ist, an dem die Feierlichkeiten stattfinden sollen. Allerdings sind die Bauern später enttäuscht, denn kein Laut ist zu hören von einem Fest, weder spielen Musikanten noch schreien die durstigen Kehlen der Ritter nach Wein, Weib und Gesang. Das eher einfache Gemüt der Bevölkerung begreift erst spät, daß hier ein hochreligiöses Geschehen abläuft, welches mit den Gelagen des Adels indes wenig zu tun hat. Der Weidmann Joriach trifft die Sache auf den Punkt „Dat jeht mich nix an...“ und so widmet man sich kopfschüttelnd erneut dem Euter der Kühe und den Ähren auf dem Feld.

Im Kloster

Im Inneren der Klostermauern herrscht hingegen seit Tagen eifriges Kommen und Gehen. Selbst die ansonsten eher unbeweglich zu nennenden Mönche eilen mit angehobener Robe flinken Fußes von einem Gebäude ins nächste, um hier einen Knecht zu unterweisen und dort selbst Hand anzulegen. Hoher Besuch steht ins Haus und dies in großer Zahl. Kaum vermag der Betrachter all dies zu überblicken, als auch schon die bereits bekannten zwei Gestalten andächtigen Schrittes das sperrangelweit offene Tor des Klosters durchschreiten und sogleich von einer Art Empfangskomitee unter der Leitung des Abtes Calamun zum Haupthaus geleitet werden. Dorthin entschwinden sie, um bald darauf in unregelmäßigen Abständen von weiteren Neuankömmlingen gefolgt zu werden, die in der Mehrzahl dem weltlichen Leben zuzuordnen sind.

Die weißen Ordensmäntel wehen bald hier, bald dorten, und kaum einer verliert der Worte viel. Außer ein paar leisen Worten ist das Kloster andächtig in Schweigen gehüllt, nur ein kichernder Küchenjunge, der flausköpfige Born vom Ziegendorf, wagt die Stille zu stören, während er dem prustenden Fittse, dem jüngsten Sohn des Stegelbauern, den neuesten Schwank über den fürstlichen Furz des Cellerar vom heutigen Morgen beichtet. Leider hat dies vergnügliche Treiben bald ein Ende, da der Cellerarius Frater Paratas höchstselbst seine Hand an das Ohr des Ruhestörers legt, um eben jenes als Mittel zur Beförderung des restlichen Anhangs in die Küche zu bestimmen.

Doch genug des Schabernack, denn eben trifft eine größere Abordnung ein, 5 Ritter sind's. Allen voran der Komtur der Ballei Kosch, der Baron zu Twergentrutz. Ihm zur Seite die Ritter Hilderich von Süderland und Mordaycon Motmaginte, gefolgt vom neugierigen Erdoij Gereleff, dessen Knappe zuvor schon ihre baldige Ankunft verkündet hatte. In dichter Folge erscheinen nun weitere Herren, doch scheint's als wollt die Weiblichkeit sich zieren an diesem Morgen. Bis sie doch erscheint; und dies in nicht unbedenklicher Pracht für das fromme rahjagefällige Herz des braven Fittse, dessen Wangen nun heftig erglühen.

Wie es der Stellung der nun herannahenden Legaten des Raben von Punin entspricht, eilt der Abt höchstselbst über die Brücke, um sie dorten zu empfangen. Und auch Born , der hinterm Fenster spitzelt, salzt mit offenem Mund kräftig in die Suppe, die fürs Abendmahl gerichtet wird. Dies ist wohl ein anderes Geschöpf als die hagere Oleande von Zwischenwasser, die den Lausbuben im Kloster als Scholastica eher zuwider ist. Ihre Gnaden Deljana, Geweihte des Boron und als Legatin des Raben von Punin nun im Dienste des Ordens tätig, schreitet mit dem festen Schritt der Jahrgangs bestender Puniner Tempelschule inmitten der restlichen Delegation aus der Heiligen Stadt über den Hof. Dies nicht ohne bei den Rittern der Schöpfung rahjagefällige Regungen zu hinterlassen ob ihrer gleißenden Haartracht, die wohl den goldenen Glanz des Götterfürsten überstrahlt. Über dieser gefälligen Erscheinung vergißt man leicht das laute Räuspern der hohen Herrn, deren Pferde immer noch dampfend auf die Stallknechte warten, die aber nunmehr anderes im Sinne zu haben scheinen.

Erst die Ankunft des Zorkabiner-Abtes Azzan, der morgen seine Bestallung zum Komtur erwartet und an der Spitze der Gesandtschaft des Zorkabinerordens einkehrt, läßt die Stimmung wieder merklich abkühlen, versteht er es doch, die Herrlichkeit seiner Persönlichkeit ins rechte Licht zu setzen und dies dem Gesinde deutlich darzulegen.Dergestalt in heller Aufregung zieht sich der Legat des Raben von Punin, Archidiakonus Zyliphar Branswein, gemeinsam mit dem Abte Azzan zurück, um letzte Absprachen über die Abstimmung der Verehrungsriten zu treffen, so auch über die umstrittene Frage des Gesanges, dessen sich die Zorkabiner befleißigen.

Komplett

So geht es weiter bis zum Abend, die Ställe sind voller Pferde, und das Refektorium quillt schier über vor hungrigen Mäulern. Neben dem beleibten Komtur Obrom zu Bruchweiden, von seiner Hochgeboren dem Baron Halderlin heimlich „Frater Friß“ genannt, speist mit heftigen Bewegungen der junge Puniner Geweihte Jori, ob seiner Haarpracht der Bekränzte geheißen, in einer Kutte, die ihm ein wenig groß geraten scheint. Am anderen Ende des Tisches betritt indes ein gerüsteter Hüne, seines Zeichens Pelagir Zarrick von Sperberhorst, ein Vertrauter des Großmeisters, das Refektorium und verkündet mit knappen Worten „Der Großmeister trifft soeben ein!“, worauf sich die ganze versammelte Gesellschaft erhebt und zur Begrüßung in den Hof eilt.

Wahrlich, dorten rollt gerade eine tiefschwarze Karosse, gezogen von 6 schwarzen Elenvinern und von 12 bewaffneten Reitern eskortiert, in den Hof. Erwartungsvolle Stille tritt ein, als sich die Tür mit dem Wappen des Großmeisters öffnet und dieser hinter seinem in schwarze Roben gekleideten Scriptor Boromil Damotil dem Fahrzeug entsteigt. In gänzlich weiße Gewänder gehüllt, den schwarzen Rabenhelm mit den ausladenden Schwingen in der Armbeuge, grüßt er knapp die versammelten Ritter, wechselt einige Wort mit den beiden Äbten und schreitet sodann federnden Schrittes in den Speisesaal, um sich zu den Ordensbrüdern zu gesellen.

Die goldene Maske, welche sein Gesicht bedeckt, erhöht noch den Nimbus des Unnahbaren: ein eher unheimlicher Geselle, wie die Pferdeknechte finden. So rührt er weder Fleisch noch Brot an, lehnt dankend den gebotenen Wein ab und ist auch sonst sehr still, während er die Seinen mustert. Der durchdringende Blick bereitet Unbehagen unter den Jüngeren, während sich die beiden Komture ungeniert den Speisen widmen.

„Wohlan!“ beendet Lucardus von Kémet nach einiger Zeit das Mahl, „Es soll genug sein für heute. Laßt uns nun dem Herrn Boron danken für die Gnade seiner Allmacht, die uns nun einen gesegneten Schlaf schenken mag. So geruht denn wohl, Brüder.“, woraufhin sich alles erhebt und zur Nachtruhe schreitet. Das Kloster legt sich zur Ruhe, gleichwohl im Zimmer des Abtes Calamun noch der Schein einer Kerze flackert, in deren Licht der Großmeister mit den höchsten Würdenträgern, unter ihnen auch der Zorkabiner Azzan und der Legat aus Punin, zu Rate sitzt, ob des Schismas in der Praioskirche, das den Orden wohl bald schon auf eine der beiden Seiten zwingen wird. Viel später noch schreitet eine einsame Gestalt über die Brücke in die Nacht hinaus....

Prima

Sogleich mit den Krähen des Hahnes erhebt sich das Kloster wieder zu emsiger Geschäftigkeit, die Ritter treten barhäuptig und allesamt in weiße Gewänder gekleidet zur Morgenandacht an, um dem Herrn Boron für den gesegneten Schlaf zu danken und ihren Tag mit dem Empfang seines Segens und dem Aufsteigen des hochherrlichen Götterfürsten am Firmament zu beginnen.

Nach der kurzen Andacht begibt man sich schweigend in das Refektorium, um dort (wie kann es anders sein) ein gemeinsames Mahl einzunehmen. Herbei fehlt der Großmeister, dessen gottgefälliges Wesen ihn wohl immer noch in der Sakristei verharren läßt. Kurz nach Sonnenaufgang versammelt man sich schließlich in voller Tracht zum Konsistorium, das mit der Verlesung des Heiligen Ratschlusses des Raben von Punin begonnen wird. Hier nun erhebt der Legat des Raben Lucardus von Kémet — jener nunmehr allen Gerüchten zum Trotze anwesend — offiziell mit seinem Segen zum Großmeister, bestallt den Komtur Gislund Obrom mit dem Amt des Defensor Mundani und den sichtlich schockierten Baron Halderlin mit dem Amt des Defensor Legibus, das dieser nach einigem Zögern schließlich annimmt. Der ebenso verdutzte Ritter Curthan Felkanor, seines Zeichens gerade erst in den Ritterstand erhoben und in seiner ganzen Jugend vor der Versammlung vor Stolz erbleichend, wird dem Baron als Berater zur Seite bestallt, da er ein Scholar der Rechtslehre ist und sich auf diesem Boden gut bewährt hat.

Es folgt eine Vielzahl von weiteren Ämtern, Titeln und Bestallungen, deren Empfänger teils erfreut, teils verärgert, aber häufig auch überrascht sind, ob der ihnen anheimgefallenen Ehren. Einige Ritter murren denn auch, ob der Ernennung des Zorkabinerabtes, der fortan im Konvent eine Stimme hat und dies sichtlich genießt. Ebenso erhält der frischgebackene Abtkomtur Calamun das Stimmrecht und den Titel eines Glaubenswahrers der Puniner Kirche, wiewohl dies bei einigen seiner Klosterbrüder zu ehrgeizigen Kommentaren führt, ob einer solchen Ämterhäufung. An der Spitze derer findet sich Faragund von Angbar, Circator von Garrensand, der dem ganzen Trubel eher zweifelnd gegenübersteht und wohl lieber selbst dem Amte walten würde.

Als auch dies zu einem glücklichen Ende gebracht ist, es muß wohl Mittag sein, denn Praios steht im Zenit, wird das Konsistorium mit dem Mittagsmahl unterbrochen, dem alle Beteiligten mit Sehnsucht entgegensehen. Einige — unter anderem mehrere gelangweilte Zorkabinermönche und Novizen, die sich bereits der Frühmesse nur unwillig unterzogen hatten — auch im Schoße Borons. Letztere werden jedoch im Gegensatz zum sanften Erwachen der klosterfremden Mönche durch ein eher boronungefälliges lautes Klatschen und heißes Wangenbrennen aus ihrer Andacht gerissen, welches auf die knochige Hand der Oleande von Zwischenwasser hindeutet.

Ein ansonsten eher unbedeutendes Ereignis, der Transport eines gewaltigen Suppenkessels von der Küche in das Refektorium, gerät hernach zum Zwischenfall, der den Beteiligten den Anlaß der Ordensgründung wieder in Erinnerung ruft. Der Träger des Kessels, seine küchenmeisterliche Herrlichkeit Frater Paratas, assistiert vom schwer atmenden Born, schleift diesen gerade unter lauten „Obacht, heiß und fettig!“-Rufen über den dichtbevölkerten Hof, als ihm einer der Zorkabinermönche, Martinius vom Lorbeerblatt, vor die Füße läuft. Dieser, in tiefer Andacht versunken, tritt dem Born auf die ungeschützten Zehen, worauf jener das dampfende Gefäß zugunsten der Linderung seines Gliederschmerzes fahren läßt. Beim Cellerarius führt dies zu einer letzten sinnlosen Anstrengung zur Rettung der Köstlichkeit, die aber nunmehr im hohen Bogen in ein Gebüsch schwappt. Zur Verwunderung aller Anwesenden entspringt daraufhin aus dem Gestrüpp eine animalisch jauchzende Gestalt, über und über mit heißer Brühe, Speck und Bohnen bedeckt.

Nun erst erkennt man den Eindringling, ist er doch kein geringerer als der Visarist Grakhoul Greuelstein, jener, der seinerzeit als Gehilfe von Sorban den Kosch unsicher gemacht hatte. Diese Dreistigkeit, sich an einem solche heiligen Treffen zu zeigen, muß genutzt werden, um ihn zu fassen. Sofort stürzen einige Boronis in seine Richtung, um seiner habhaft zu werden, doch ergreift der Unselige augenblicklich flinken Fußes die Flucht. Welch firungefälliges Treiben; Greuelstein als tolpatschiges „Wild“ und dahinter die treibende Meute der Schwarzberobten und Weißbemäntelten. Bis auf das jenseitige Ende der Klosterbrücke geht die Hatz, wo sich der Visarist endlich erschöpft der Überzahl ergeben muß. Sogleich wird er mit festem Griff der Obhut des Defensor Legibus übergeben, der sich mit den Schwingenträgern und Abtkomturen zu einem Verhör des Ketzers in einen Seitenflügel des Aedificiums begibt. Da der Gefaßte gänzlich unbewaffnet ist, wird ein geplantes Attentat — die der geplagte Baron zu Twergentrutz zu genüge kennt — ausgeschlossen. Nach einem intensiven Verhör, welches Abt Azzan heimlich durch kleine Sticheleien mittels eines winzigen Stechwerkzeugs unterstützt, gesteht der Ketzer schließlich, er habe gehofft, seinen ehemaligen Meister, den Haeresiarchen Sorban, hier anzutreffen. Somit wird die Verhandlung erst einmal vertagt und Meister Greuelstein in einem Kellerraum unterhalb des Klosters eingekarzert.

Nach dem Speisen trennt sich dann die Spreu vom Weizen, und die Komture und hohen Würdenträger sitzen im Zimmer des Abtes erneut zu Rate, wo die Zukunft des Ordens beschlossen wird. „Der Stab des Vergessens“ ist das Hauptthema, und die jüngsten Verfehlungen Des Haeresiarchen von Al'Anfa nähren den Ärger der Anwesenden bis zum Äußersten. Die gefaßten Beschlüsse sind jedoch derart geheimer Natur, daß nicht einmal die Ohren der Klostermauern erfahren, was den Herren eingefallen ist. Kaum hat man sich dem nächsten Thema zugewandt, klopft es ungestüm an die Tür des Raumes und der Abtkomtur Calamun ruft ärgerlich, „Der Rat will ungestört sein, so zieh von dannen, wenn nicht der Herr Boron selbst Dich sendet. Doch dazu machst Du wohl zuviel Lärm, Sünder....“

Kleinlaut vernimmt man nun die Stimmes eines der Mönche, dem mehrfach ob der Rüge die Stimme gebricht. „Euer Hochwürden, ein Bote aus Wengenholm steht hinter mir und verlangt dringlichst den Baron Halderlin!“ Ob dieser Nachricht stürzt dieser, wohl übles ahnend, alle Regeln der Höflichkeit mißachtend und mit dem Arm die Nase des Komtur Obrom heftig prellend vor die Tür, wo ihn ein Soldat im Rock der Twergentrutzer Burgwehr erwartet, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht.

„Herr Baron, Schreckliches ist geschehen. Euer Sohn wurde in der gestrigen Nacht von finsteren Gestalten seiner Amme entrissen und entführt.“ Die hünenhafte Gestalt des Baron sackt in sich zusammen ob dieser Nachricht, dann schallt es beinah durch das ganze Kloster, so daß erschreckt die Pferde in den Ställen schnauben: „Ihr vollkommen von Hesinde verlassenen Tölpel, wer seid ihr, wenn nicht einmal der Sohn eures Barons auf seiner eigenen Burg behütet ist, wie im Schoße Praios'? Wo war die Wache, wo der Verräter, der dies angezettelt? Hinfort mit Dir, Elender. Reite zurück und laß alles für die Verfolgung der Unholde bereitmachen. Ich folge, sobald mir der Großmeister dies gestattet.“

„Was hiermit geschieht, denn es ist der Heiligkeit dieses Ortes sicherlich förderlicher, sodenn ihr Eurem Zorn und Gram andernorts frönt,“ erklingt nun die ruhige Stimme des Großmeisters, der leise aus der Kammer getreten ist, hinter sich die erschrockenen Gestalten der anderen. Daraufhin stampft der aschfahle Baron eine Entschuldigung murmelnd hinter dem eiligst davoneilenden Soldaten her, um sich zu rüsten und dem Rat der Wahrer des Ordens zu entfliehen.

Kaum eine halbe Stunde später galoppiert der Komtur, gefolgt von einem Dutzend Reisigen und zwei Rittern des Ordens in ihren weißen Mänteln Richtung Norden davon. Niemand verliert ein Wort über die Geschehnisse, einzig der kühle Blick des Großmeisters scheint hinter der goldenen Maske, die sein bleiches Antlitz nun wieder bedeckt, in weite Ferne zu schweifen, bis auch er sich abwendet, um dem Rat erneut vorzustehen.

Im Verlaufe der folgenden Stunden offenbart sich, daß der Baron von Willbergen dem Orden die Phexenburg, nunmehr Burg Bishdariel getauft, im Süden seiner Baronie vermacht hat. Nach einem erregten Disput einigt man sich schließlich darauf, die Burg des Barons als Sitz des Ordens zu nutzen, um auch im Tobrischen den Grundstein für eine Ballei zu legen, deren Vorsitz dem Baron zu Willbergen wohl früher oder später anheimfallen wird. Infolgedessen wird dieser mit dem Auftrag bestallt, in den folgenden Wochen die Burg für den Orden herzurichten, damit sie alsbald einigen Ordensrittern zur Unterkunft dienen kann. Allerdings spricht man sich dafür aus, erst das Urteil des Herzog Kunibald zu erwarten, bevor weiteres in die Wege geleitet wird.

Einen weiteren Punkt auf der Tagesordnung - vom Abtkomtur Azzan auf die Tagesordnung gesetzt — bot dergestalt die Sichtung des Ketzers Sorban, den ein frommer Mann zu Gratenfels erkannt zu haben glaubte. Unterstützt wird sein Ansinnen nunmehr auch durch das Auftauchen des soeben gefaßten Schergen des Ketzers, so daß man sich zu einer intensiven Nachforschung entschließt. Nunmehr läßt es sich Abt Azzan auch nicht nehmen, diese Aufgabe unter seine Fittiche zu bekommen.

Vigiliae

Für das Ende des Tages, am Wendepunkt zwischen 1. und 2. Boron ist eine abschließende nächtliche Messe vorgesehen, zu der sich alle im Tempel des Klosters versammeln, um gemeinsam das Ende des diesjährigen Konsistoriums zu begehen und zugleich den Beginn des Boronjahres zu feiern.

Die schweigende Prozession wirkt diesmal weitaus feierlicher als bei den anderen Messen. Selbst die ansonsten eher schelmisch veranlagten Stallburschen und Küchenjungen schauen andächtig der Prozession zu, die jetzt aus dem Dormitorium zum Tempelgebäude zieht, vor dem ein freskengeschmückter Tympanon prunkt. Eine lange Reihe weißbemäntelter Ritter in voller Rüstung, das Schwert gegürtet, die Ordensbanner mit dem Heiligen Raben in Schwarz auf weißem Grund vorangetragen, schreitet würdevoll und gesenkten Hauptes über den Hof des Klosters, der im Schein der Mada beinah gänzlich silbergrau erglimmt. An der Spitze der Prozession bewegt sich die Delegation der Puniner Kirche, am Ende des Zuges die kleine Abordnung der Zorkabiner, allerdings ohne ihren Abt, der schwarz berobt inmitten der Komture stolziert.

Zum ersten Mal nun sind auch die SchwingentrŠger in vollem Ornat angetreten, doch leider nur drei an der Zahl, da der Defensor Legibus, welcher ansonsten der Viere Oberhaupt ist, nicht unter den Anwesenden weilt. Die prächtigen Rabenhelme mit den weit ausgebreiteten Schwingen sind schon von weitem eine wahre Wonne für den Gläubigen, aus der Nähe hingegen lassen sie manchen Ritter verzückt einige Worte an den Herrn Boron richten, er möge doch herabblicken auf den Stolz des Ordens, der ihm zu Ehren hier versammelt ist.

Lucardus selbst schmückt nichts denn seine goldene Maske, die er wohl nur selten abzulegen scheint, solange er in der Öffentlichkeit steht. Der Aufzug des Großmeisters unterscheidet sich auch sonst in keinem Detail von dem seiner Ordensbrüder, abgesehen von dem gewaltigen Zweihänder, dessen Knauf ein Kunstwerk offenbart — den Heiligen Raben selbst, und auch die Klinge der Waffe ist bedeckt mit uralten Zeichen, welche von den Anwesenden wohl niemand entziffern kann und die aus der Vorzeit des südlichen Aventuriens zu stammen scheinen.

Nun zieht man ein in den Tempel, wo die Geweihten bereits alles vorbereitet haben. Das trotz der kostbaren bunten Scheiben düstere Innere des Tempel, wird von einem ringsum laufenden Relief geziert, das die Vergänglichkeit der Sterblichen in Form fein gearbeiteter Totenschädel zeigt. Nachdem schließlich alle eingetreten und bis auf die Legaten des Raben niedergekniet sind, erhebt dieser die Hände, um ein stilles Dankgebet an den Herrn Boron zu richten. Die Ritter und alle Anwesenden tun es ihm gleich, so daß sich im Schein der unzähligen Kerzen, die den Raum erhellen, eine gespenstische Ruhe ausbreitet.

Es ist, als sei der ganze Raum berührt vom Schlag der göttlichen Schwingen des Göttervogels, als weile ein unsichtbarer Gast inmitten der Versammelten, doch niemand wagt den Blick zu heben. Schließlich gebricht die Stille auf einen Wink des Archidiakonus, der nun leise spricht: „Und siehe, es war Stille, die den Frieden brachte. Der Seele heilige Ruh, als Widerpart der kreischenden Dämonen, die die siebte Sphäre bevölkern und das Antlitz der Zwölfe verdunkeln mit ihrer Brut. Erhebt Euch, Ritter, und empfanget das Zeichen des Herrn Boron.“

Bei diesen Worten treten vier Zorkabinermönche rechts und links neben den vor dem goldgefaßten Altar stehenden Archidiakonus, der nun die Arme ausbreitet. Die Mönche schwenken metallene Urnen, aus denen Weihrauch entströmt und den ganzen Tempel mit seinem schweren Duft erfüllt. Nun knien die Anwesenden allesamt nieder, und zwei Geweihte schreiten, eine der Urnen zwischen sich, eine Schale mit heiliger Asche in der anderen Hand, die Reihen der Gewappneten entlang. Einem jeden von ihnen wird das Zeichen des Heiligen Golgari auf die Stirn gemalt, worauf sich die so gezeichneten erheben und das blanke Schwert gegen das niedrige Dach des Tempels richten, ein Wall aus blankem Metall.

Nachdem nun ein jeder solcherart den Segen empfangen hat, ergreift der Archidiakonus erneut das Wort. „Aus der Stille kommt die Kraft. In der Kraft ruht der Geist und mit ihm die Seele der Gläubigen. Seht das Zeichen des Herrn Boron einkehren in dieses Haus.“ Daraufhin schließt der Hohe Geweihte die Augen, streckt die Arme gerade vor seinen Körper, der in den Schwaden des Weihrauchs vor den Augen der Ritter zu verschwimmen scheint und hält nun plötzlich, ob nun Traum oder Wirklichkeit, einen Stab in Händen. Jener wohl einen halben Schritt lang und mit dem Kopf des Raben an dem einen Ende, das andere aber stumpf und flach — der Stab des Vergessens, das größte Heiligtum beider Boronkirchen.

Doch alsbald entschwindet das Artefakt wieder den Händen des Archidiakonus, der immer noch die Augen geschlossen hält, den Stab nicht eines Blickes würdigt und nun die Finger öffnet. Und als fließe die Materie des Stabes zwischen ihnen hindurch, so zerstäubt er und vermengt sich mit dem schwachen Dunst des Weihrauchs. Langes Schweigen folgt, und niemand wagt den Atem anzuheben noch ein Glied zu rühren, ob der Heiligkeit dieses Augenblicks. Erst die schwache Stimme des Legaten beendet das Zeremoniell und läßt die Ritter erschauernd in die Wirklichkeit zurückfinden: „Geht nun, denn ihr habt gesehen. Mit festem Glauben zieht hinaus, dem Herrn Boron zu dienen und den Zwölfen zum Wohlgefallen.“ Damit endet der kurze und doch hochheilige Gottesdienst, und in schweigendem Marsch reihen sich die Ritter paarweise zur Prozession, die nun zum Rabenfelsen zieht, um dorten den Treueschwur zu leisten, begleitet nur von den Knappen, die ihren Rittern als Lampadarii vorauseilen. Hierher folgt selbst der Legat nicht, keiner der Geweihten oder Mönche reiht sich ein in die Gemeinschaft der Ritter, nur der Abtkomtur Azzan schreitet an der Seite des Defensor Superior als einziger Geistlicher.

Der Schwur

Dort nun zu Füßen der dunklen Klostermauern, die sich dem Madamal entgegenrecken, im Angesicht des Heiligen Felsens, schwört man bei der Heiligkeit des Golgari, bei der Sanftmut der Marbo, der Lieblichkeit Etilias und der Unfehlbarkeit Uthars und der Allmacht des Herrn des Vergessens, des Meisters über Schlaf und Träume, des göttlichen Boron.

So spricht der Kreis der Ritter die Worte des Großmeisters nach, der vor ihnen die Stimme in den rabenschwarzen Himmel erhebt: „So schwöre ich vor dem Antlitz des Herrn Boron, im Namen der Zwölfe und bei meiner Ehre als Ritter dieser Bruderschaft, dem Orden Treue und Gehorsam, der Heiligen Puniner Kirche anempfehle ich mich und mein geweihtes Schwert. Meinen Mitbrüdern beteure ich die Treue bis in den Tod, der mich der Gnade des Herrn Boron anvertraut, jetzt und für alle Zeit. Schützen will ich in Demut die Heiligen Stätten wider die Ketzer und Haeretiker, geloben will ich zu Sterben mit Freuden für meine Brüder und die Heilige Puniner Kirche und alle Zwölfe heilig zu halten, auch in der Stunde größter Not.“

Daraufhin fügt der Kreis der Ritter das Heilige Symbol des Rades aus purer Schwerter Leib. Hätte es einen Beobachter gegeben, so wäre nun im Silberschein der Mada ein Wall aus weißen Mänteln zu erkennen, die sich im Winde bauschen und unter der Klingenkrone dicht beieinander ein Gefühl der tiefen Gemeinsamkeit erkennen lassen — doch nur ein einsamer Vogel zieht vor dem nachtschwarzen Himmel unerkannt seine Kreise, als sich die Ritter in kleinen Gruppen in das Kloster zurückbegeben, reicher im Glauben wie im Stolz auf den Orden.

So endet jenes Ereignis, welches wohl in die Analen des Kloster und des Ordens eingehen wird, den Bauern der Umgebung aber nichts als ein „ungutes Gefühl bei soviel Rittersleut auf einem Hauf“ vermittelte. Die Abreise der Fremden fällt, abgesehen von der schwarzen Karosse des Großmeisters, ähnlich unspektakulär aus wie die Ankunft. Daß einige der Ritter mit ihrem Gefolge fortan in den Mauern des Klosters leben, kümmert wohl auch niemanden außer ihnen selbst. Borongefällige Ruhe liegt nun wieder über Garrensand, nur die Mönche gehen wie vordem ihrem Tagwerk nach…

Fürwahr stolz kann sich der Kosch schätzen, einen solch’ über alle Maßen gottgefälligen und frommen Orden wie den Bund der Golgariten innert seiner Marken zu wissen. Alldieweil die Gemeinschaft der Ritter noch jung ist an Jahren (doch im steten Wachstum begriffen), ist's um so bemerkenswerter, daß das Herz des Ordens ebenfalls im Kosch schlägt.

Seit undenklichen Götterläufen schon heißt man das Garrensander Kloster nichts weniger als das wichtigste des Herrn Boron weit und breit, Heimstatt der frommen und klugen Mönche, und nun der tapferen Ordensritter obendrein. Das soll uns Anlaß genug sein, die altehrwürdige Concordia-Abtei des Drifter Landes in einer unserer nächsten Ausgaben einmal näher zu beschreiben (ohne freilich die borongefällige Ruhe des heiligen Ortes zu stören)…

— Die Schriftleitung.