„Tage aus Feuer und Blut“
◅ | Graf Jallik bläst zum frohen Jagen |
|
Das Ende der Bewirtung | ▻ |
„Tage aus Feuer und Blut“
Warnung eines reisenden Magus an alle, die des Zauberns mächtig sind
Aus einem Brief des reisenden Adeptus Parsik Grabenwind an seine Collegin, auf geheimen Wege versandt aus Rhôndur im Schetzeneck:
Man könnte meinen ein böswilliger Daimon habe einen um sechs Jahrhunderte in die Vergangenheit geschleudert. Überall rennen selbst ernannte ‚Diener des Götterfürsten‘ umher, selbst schäbigste Ernteknechte halten sich für Ritter des Bannstrahl Praios’. Eh man sich’s versieht, wird man von ihnen angeschwärzt und an die wild wütenden Inquisitoren ausgeliefert. Man muß sich wachsamen Auges aller Magica Phantasmagorica bedienen, die einem innewohnt, oder mein Glück haben und bei verständigen Leuten, wie dem hiesigen Apothecarius unterkommen, um nicht auf dem großen, am hiesigen Marktplatz aufgeschütteten brennenden Reisighaufen zu enden.
All diese Zustände hätten sich erst seit der Rückkehr des Barons Graphiel von Metenar derartig zugespitzt. Ein praiosfürchtiger Mann sei er schon immer gewesen, hat mir mein Schutzherr, der alte Apotheker Vitus Miraclus, verraten, seit er jedoch aus dem finsteren Osten wiedergekehrt wäre, sei aus Götterfurcht blinder Fanatismus geworden. Man sagt, daß der Götterfürst selbst den Baron durch Pagol Greifax, Wahrer der Ordnung, zu Ebelried gar von finsterer Daimonenseuche errettet habe. Was davon Wahrheit sei, wüsste aber auch er nicht, so Meister Miraclus.
Den Funken zum springen hätte jedoch die unsägliche Entführung des einzigen Kindes von Baron Graphiel gebracht. Eine Hexe habe den fast dreijährigen Elchard geraubt, was, wenn es denn wirklich wahr sei, durchaus den gerechten Zorn der Bevölkerung hervorrief. Als jedoch der Vater nach einer dienstlichen Reise davon erfuhr, wich jegliche Selbstbeherrschung des Hochgeborenen, und in blutrünstigem Wahn hätte er zur gnadenlosen Jagd auf alle dunkelsinnigen Hexenwesen aufgerufen. An seiner Seite wisse er den Inquisitor Celesto Custodias, der wohl versucht, die Rachgier des Metenarers auf diese Weise zu kontrollieren. Der kluge Circator von Findelstin, Gurvan von Eberstamm-Ehrenstein sei inzwischen wieder abgereist, aus Protest, wie es hieß, hätte er die Hexenjagd doch lieber weiterhin in den Händen der gesegneten Praioten als in der eines wütenden Pöbels unter der Führung eines unbändigen Bannstrahler-Barons gewußt. Und wenn selbst ein Geweihter des Greifengottes derlei Planungen nicht gutheißen könne, wäre sich leicht auszumalen, was auf uns noch zukommen würde.
Das sagt mir dieser erfahrene Medicus und Meister der Tinkturen, und vom Wahrheitsgehalt konnte ich mich deutlicher als erwünscht überzeugen. Ich selbst musste mit eigenen Augen mit ansehen, wie eine gewisse Eslamida, die beschuldigt wurde lügnerische Wahrsagerei verbreitet zu haben (vergleiche Kosch-Kurier Nr. 24), als ‚erstes Exemplum‘ auf den Scheiterhaufen geführt wurde.
Unter dem Gegröhle der Umherstehenden wurde das alte Weib mit zottigen Haaren, gebrochenem Blick und wundgefoltertem Körper vom Kerkerturm auf den gepflasterten Platz geschleppt. Mehrfach brach die magere Gestalt unter der schweren Last des Eisenkragens zusammen, ehe sie an den hölzernen Pfahl gebunden werden konnte.
Nie werde ich die Worte des Inquisitors vergessen, der mit eindringlichen Worten Reue forderte und letzte Formeln zur Erlösung der bedauernswerten Frau sprach, während einige Handlanger das Feuer an mehreren Stellen des Reisigberges entfachten.
Die gaffenden Blicke der Augenzeugen, die das Schauspiel mit einer verabscheuungswürdigen Mischung aus Angst, Mitgefühl, Neugier und purer Mordlust verfolgten … darunter der eiskalte Blick des Barons, der noch immer unerfüllten Hass ausstrahlte … die monotonen Sprechchöre der Praioten … der schwarze Schleier aus Qualm und Gestank … und schließlich diese durchdringenden Schreie der alten Frau, diese jedes Mark durchdringenden Schreie …
Seither sind die Zustände nicht besser geworden. Es steht zu befürchten, daß sie sich frühestens dann normalisieren, wenn die wahre Entführerin gefasst, und der kleine Baronssproß gerettet wurde. Hoffnung gibt lediglich die Kunde, dass sich die Herren von Vinansamt und Bragahn auf der Anreise befinden, mächtige Adelsleute, die als weitaus gemäßigter und weniger praiotisch bekannt sind, als der Baron Metenar. Vielleicht werden sie ihn zur Raison bringen können, und die hiesigen Zustände mäßigen können, bevor die Lage weiter escaliert, so meine stille Hoffnung.
Bis dahin, rate ich Dir, und allen anderen — die auch nur den Eindruck erwecken, der Magie mächtig zu sein, einen weiten Bogen um Metenar und die umgebenden Lande zu machen, so wie auch ich mich schleunigst fortverfügen werde. Damit keinem weiteren derartiges Unglück geschehe …“
Soweit die Worte des Adeptus, der — so haben wir inzwischen erfahren — kurz nach Verfassen des Briefes gemeinsam mit dem rhôndurer Apotheker Vitus Miraclus wegen unheiliger Zauberei und Verdachts auf Hexenwerk von der Inquisition in Gewahrsam genommen wurde.
Ja, sind wir denn hier in den Nordmarken!“ waren die erste Worte des Barons von Vinansamt, kaum daß er seiner Reisekutsche entstiegen war und im besten Gasthofs Rhôndurs Quartier bezogen hatte. Eine wahrhafte Hexenjagd, wie sie der Kosch nicht mehr gesehen hatte seit dem Sommer von Feuer und Blut vor beinahe 600 Götterlaufen, war im einst friedlichen Baronsstädtchen im Schetzeneckschen zugange, im Verein betrieben vom Baron Graphiel von Metenar, Geweihten des Praios und der aufgeschreckten Bevölkerung.
Keinen Zweifel hatte der Vinansamter nach einem ersten Gang durch die Gassen der Stadt, daß dem aus Sorge um seinen verschwundenen Sohn von Herrn Graphiel entfachten Wahn früher oder später Unschuldige zum Opfer fallen würden, wenn dies nicht schon geschehen war.
Merwerd Stoias erwarteter Kamerad aus alter Zeit war noch nicht eingetroffen. Mit diesem zusammen wollte der Baron von Vinansamt sich auf die Suche nach dem Entführten begeben — aus alter Freundschaft zum boronseligen Baron Myros, dem Großvater des Knaben, nicht aus Zuneigung zu dessen Vater, dem jetzigen Baron Metenars.
Der Vinansamter beschloß, die Zeit bis zur Ankunft des Gefährten zu nutzten, ließ sich von seinem Knappen Brin von Garnelhaun Feder und Papier bringen und setzte sich ein, um eilends allerhand Depeschen zu verfassen — an den Grafen von Schetzeneck wohl, den Lehnsherrn des Herrn Graphiel, aber auch an dem ihm vertrauten Ferdoker (den mächtigen Grafen Growin) und die Fürstlich-Koscher Staats-Cantzley zu Angbar. Auch dem Circator Gurvan von Eberstamm-Ehrenstein im Stift Findelstin sandte er ein Schreiben, womöglich, um den hochwürdigen Herrn zu beschwören, nach Rhôndur zurückzukehren, wo sein weiser (und mäßigender) Einfluß auf die Untersuchung der Entführung schmerzlich vermißt werden.
Als nächstes wollte er bei Baron und Inquisitor vorstellig werden, beschloß der Vinsansamter. Man werde ja sehen …