Eine Zelle für zwei
Eine Zelle für zwei
Barytoc von Bragahn im Kerker einer Almadaner Reichsfeste — freiwillig!
SELAQUE/GFST. ALMADA. Staubbedeckt war die Kutsche, die polternd auf dem Hof der Reichsfeste Selaque zum Stehen kam. Heraus sprang ein verwegen dreinschauender Angroscho, das Haupt kahlgeschoren und mit zwergischen Kriegsrunen in den Farben Ingerimms bemalt. Seine notdürftig geflickte, offenbar erst vor kurzem in Stücke gehauene Gewandung samt Blutspuren ließ keinen anderen Schluß zu, als daß er geradewegs vom Schlachtfeld in Darpatien aus hierhergerast war.
„Was verschafft mir die Ehre eures Besuches”, rief dem Recken die herbeigeeilte Burgherrin Praiosmin von Elenta entgegen, noch immer gezeichnet von der Haft, die ihr einige Almadaner Magnaten im Kerker von Al’Muktur hatten angedeihen lassen. Der Zwerg verbeugte sich artig, antwortete aber kühl: „Baron Barytoc Naniec Thuca von Bragahn ist mein Name, und Ihr seht mich hier an des Herrn Danilos Statt, um für einen Götterlauf Eure Gastfreundschaft zu genießen …” — denn des Reiches Erz-Kanzler hatte verfügt, daß einer der aufmüpfigen Almadaner die Kerkerhaft der Reichsvogtin von Elenta selbst durch eine ebenso lange Zeit in der Zelle büßten sollte. Der tapfere Creser aber ist seit der Schlacht an der Trollpforte verschollen.
„Das ist wahrhaftig edelmütig von Euch, Hochgebore Barytoc”, entgegnete die Selaquerin, „leider aber seid Ihr zu spät. Es hat sich bereits ein andere Delinquent eingefunden, um die Strafe des Creser zu verbüßen.“
Wutenbrannt ließ sich Meister Barytoc in den Kerker Selaques führen, wo bereits in einer schmalen, vergitterten Zelle der Baron Arik von Braast zu Brast einsaß, der sich kraft seines Amtes als Landständesprecher auch bei Unanehmlichkeiten als „Erster unter Gleichen“ berufen fühlte, die Strafe stellvertretend für die gesamte Landständeversammlung anzutreten.
„Raus mit Euch!“ rief ihm der Zwergenbaron ungerührt zu, „der Creser und ich sind alte Freunde und Kriegsgefährten nicht erst seit den Tagen des Rabenmauls. Wenn es jemand gibt, der seine Strafe antreten kann, dann bin ich das. Also raus da, Jungelchen!“
„Es dauert mich, Euch widersprechen zu müssen“, erwiderte der selbst schon ergraute Braaster höflich, doch unnachgiebig. „Aber es ist ausgeschlossen, daß ich die Ehre Almadas schmälern ließe, indem Ihr, ein Auswärtiger, eine über unsereins verhängte Haftstrafe absitzt. Fahrt nur wieder heim nach Haferyaquirien … äh, in die schöne Koschprovinz, und lass unterwegs jedweden wissen, daß wir Almadanis Ehrenleute sind, die alle ihre Schulden selbst zu begleichen pflegen!“
„Ehrversessene Olivenfresser!“ grummelte der Bragahner in seinen Bart, ehe er, um eine handfeste Auseinandersetzung in einer Burg des Reiches zu vermeiden, der Frau Praiosmin zurief: „Sperrt die Gittertür auf, gute Frau! Wenn dieser Herr dort nicht bereit ist, die mir zustehende Zelle zu verlassen, so werde ich sie mir eben für die kurze Zeit eines Jahres mit ihm teilen müssen …“ sprachs’s, und ließ sich kurzerhand mit dem Landständesprecher wegschließen.
Nachdem die Reichsvogtin daraufhin für zwei volle Tage und Nächte durch das lautstarke Gezänk des halsstarttigen Koschers und des ehrendurstigen Almadaners um jeglichen Schlaf gebracht wurde, scheinen sich die beiden Streihähne mittlerweile prächtig miteinander arrangiert zu habe — gilt Baron Alrik Grantelbart doch als Freund der zwergischen Kultur, der in Baron Barytoc einen interessanten Gesprächspartner gefunden zu haben scheint. Wie es heißt, sollen die Zellengenossen jetzt ihren Kerkerwärtern gemeinsam zur Last fallen.