Travias Zorn

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Ausgabe Nummer 25 - Peraine 1022 BF

Travias Zorn

Wie Dörfler einen Frevel rächten

SINDELSAUM/BAR. HÜGELLAND. Schmal ist jener Grat, der den Glauben vom Aberglauben scheidet. Und doch können beide starke Kräfte im Innern des Menschen entfachen, zum Guten wie zum Bösen.

Der neue Götterlauf hatte vielversprechend begonnen in der Dorfmark von Sindelsaum: die Rinder hatten eifrig geworfen im Frühjahr, das Korn stand in voller Reife auf den Feldern, und die Immen summten in zahlreichen Schwärmen über die blütenbestandenen Wiesen. Alles schien also von den Göttern, Peraine und Travia voran, wohl gesegnet zu sein.

Wie groß war aber der Schrecken, als zwei Maiden aus dem Dorfe, die schöne Ilma und die flinke Matrescha, beim Beerensuchen auf der Heide den leblosen Körper einer graubraunen Wildgans entdecken. Unheiliges Omen genügend, ragte zwischen dem schimmernden Gefieder noch der zitternde Schaft eines Pfeils in die Höh!

O Frevel! O göttliche Versuchung! O Zeichen des schlimmsten Unglücks künftigen Unglücks! mag’s den jungen Dingern durch Seele und Geist gegangen sein; das Körbchen mit den blauroten Früchten ließen sie fallen und hasteten zurück ins Dorf. Vom Gezetere der hellen Stimmen auf den Platz unter die Linde getrieben, vernahmen die Landleute von der Entdeckung.

Der Dorfälteste, der kluge Faßbinder Umme Bindenbusch mit seinem grauwallenden Bart und den gütigen Augen war’s, der sprach, man solle den Kadaver des Göttervogels heimholen, damit sich der Wilderer nicht noch am würzigen Braten umso mehr versündige. Dem Umme folgte eine kleine Rotte Bauersvolk, ebenso verängstigt wie wütend.

Als man aber unter der Führung der bleichen Ilma zu jener Gruppe Hollersträuche gelangte, gewahrte man in der Nähe einen Fremden einherschreiten mit Stab und Stecken. Sein Säckel trug er nach Wandrersart überm Rücken, und vom grünen Filzhut wippte eine braune Feder.

Das alleine genügte, den Zorn des Volkes auf ihn zu lenken, und ohne viel Federlesens — welch schreckliche Metapher! — warf man mit kantigen Feldsteinen nach ihm. Nicht minder grob als die Kiesel waren die Schimpfworte und Flüche, die dem Fremden noch entgegenflogen. Erschreckt wollte er, ob schuldig oder nicht, das Weite suchen, als ihn ein Brocken aus der Hand des stämmigen Schmiedsgesellen Baduar an die Schläfe traf, worauf er im Schritt noch umfiel und mit seinem Blute die Erde benetzte.

Just in diesem Augenblick rief der alte Umme Binsenbusch, der sich über Traviens Vogel gebeugt hatte, aus: „Ein Wunder, sie lebt!“ Und wahrlich regte das nur scheinbar leblose Federtier den gefleckten Fittich. Behutsam trug man es ins Dorf, gab’s Tempel und Pfaffen zur besten Pflege, in der Hoffnung, Travias Zorn von Sindelsaums Dächern und Feldern abgewandt zu haben. Den Wandrer verscharrte man am Wegrand, mag Borons Waage Rethon seine Seele messen.

Karolus Linneger