Kressenburger Neujahrsstechen - Wem Rondra zulächelt

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In einem Zelt nahe Kressenburg, Greifenfurt, am Abend des 8. Praios 1043 BF

Angrawen II. Amadan Timerlain überlegte noch, was er von dem vergangenen Tag halten sollte. Diesmal war der 9-jährige Page nicht so eingeschüchtert vom Turnier, schließlich waren ihm der Ablauf und die ganze Umgebung bereits vom letzten Jahr vertraut. Außerdem kannte er seinen Herrn, den Ritter Holdwin vom Kargen Land, wesentlich besser. Inzwischen hatten sie einmal alle Jahreszeiten gemeinsam erlebt. Dennoch: Sollte er sich freuen, dass der Ritter es diesmal in der Tjoste eine Runde weiter geschafft hatte als beim letzten Mal? Oder traurig sein, weil er in der dritten Runde dem Sieg so nahe gewesen war und dann doch noch verloren hatte?

Dem Grübeln setzte Holdwin ein Ende, als er gewaschen und mit frischer Unterkleidung ins Zelt trat. "Na, alles in Ordnung?" Er lächelte. Also gab es wohl keinen Grund zum Traurigsein! "Ah, da ist ja das festliche Gewand!" Angrawen hatte es aus der Truhe herausgesucht und auf einen der Stühle gelegt, aber es vergessen mitzuteilen, was er erst jetzt bemerkte. Doch Holdwin sagte nichts weiter. "Wunderbar..." streckte sich der Ritter noch einmal mit nacktem Oberkörper und spannte seine Muskeln an, bevor er sich weiter anzog.

"So, bevor wir heute abend feiern gehen, lass uns noch ein wenig zu zweit sein und miteinander reden. Ich möchte doch wissen, was Du gesehen und gelernt hast." "Möchtet Ihr einen Becher Wein?" "Gut mitgedacht, sehr schön!", lobte Holdwin. Er nahm einen ersten kleinen Schluck und schaute den Jungen mit den strohblonden Haaren erwartungsvoll an. "Tja, wo soll ich beginnen...?" "Bei unseren Mitreisenden. Ein guter Ritter lernt auch von anderen!" "Ungolf von Plötzbogen war wieder in der 1. Runde raus, und zwar sowohl im Fußkampf als auch in der Tjoste." "Und? Wie hat er sich verhalten?" "Die Niederlagen scheinen ihn nicht zu verdrießen. Er bleibt immer freundlich..." "Sehr gut beobachtet! Er grämt sich nicht lange, sondern zeigt das höfliche Benehmen, das sich für einen Ritter ziemt. Und was hast Du über die Fürstliche Schlachtreiterin zu sagen?" "Ilpetta von Hirschingen hat es im Fußkampf eine Runde weiter geschafft, aber in der Tjoste war sie ebenfalls bereits beim ersten Gegner unterlegen. Trotzdem schien sie nach kurzer Zeit wieder fröhlich zu sein..." "Stimmt, das wäre nicht von jedem zu erwarten! Wo sie doch zu Pferd besser sein sollte als zu Fuß und im letzten Jahr deutlich länger durchgehalten hat." "Hmm... sie muss den Wettstreit so sehr lieben, dass sie Niederlagen nicht lange schmerzen." "Ja, das sehe ich auch so! Solange die Regeln des rondragefälligen Kampfes eingehalten werden, ist sie mit Feuereifer dabei. Diese Unverzagtheit steht ihr gut zu Gesicht! Na gut, kommen wir zu meinem bescheidenen Beitrag, was das Lernen über Turniere angeht. Wie haben die Fußkämpfe für Dich ausgesehen?" "Also, gegen Marbert von Preil, das war... geradezu unglaublich!" Angrawen strahlte geradezu. "Ich habe noch nie jemanden so kämpfen sehen." Holdwin lächelte wissend. "Es fühlte sich tatsächlich so an, als ob mir Rondra zugelächelt hätte. Aber schauen wir weiter: Wie war es denn im zweiten Kampf?" "Hm, erst war es ausgeglichen... aber dann hat Eure Gegnerin so gut gekämpft wie Ihr zuvor." "Recht gesprochen! Da hat Rondra offensichtlich Bärlinde von Immingen zugelächelt und Du konntest sehen, wie jemand anders formvollendet kämpft. Das muss auch ich als ihr Gegner anerkennen!" Der Knabe freute sich darüber, wie leicht es Holdwin fiel, mit ihm über alles zu reden. Daher fuhr er schnell fort mit seiner Schilderung. "In der Tjoste traft Ihr erneut auf Marbert von Preil... so wie im letzten Jahr in der ersten Runde. Und wieder habt Ihr ihn besiegt!" "Ja, und das war ein Grund mehr, ihm ein Bier zu spendieren. Drei Siege in drei Begegnungen klingt gut, aber das darf einem nicht zu Kopf steigen. Hochmut kann nur böses Blut geben! Stattdessen will ich ihn anspornen, nicht zu verzagen. Er ist ein junger Ritter und kann noch viele Turnierjahre erleben. Als ich jung war, habe ich mich immer über Anerkennung von erfahreneren Kämpfern gefreut." Angrawen freute sich und dachte sehnsüchtig an die Zeit, in der er selbst einmal ein Ritter sein würde. Ach, es schien ihm unendlich fern!

Holdwin hatte in der Zwischenzeit weiter an seinem Wein genippt. "So, und wie ging es weiter?" "In der zweiten Runde traft Ihr auf einen Weidener...." "Luten Corrhenstein von Hirschenheide, um genau zu sein. Aber ich sehe schon, wie Du strahlst, wenn Du von einem Weidener Ritter sprichst. Recht so!" "Ihr habt Euch gegenseitig im ersten Anritt aus dem Sattel gehoben. Den anschließenden Fußkampf habt Ihr dann schnell für Euch entschieden." "Die Sache hat noch ein Nachspiel, aber dazu kommen wir gleich. Nun erst einmal zum dritten Kampf." Angrawen war sich unsicher, wie er es am besten ausdrücken sollte. "Nun... Ihr habt drei Lanzen gebrochen... aber Urion von Reiffenberg hat Euch dann doch im 3. Anritt aus dem Sattel gehoben." "Gut so!", rief Holdwin. "Die Wahrheit mutig aussprechen, auch wenn sie einem nicht gefällt. Wenn man genauer hinsieht, tut die Niederlage auch nicht so weh." Der Page zwinkerte kurz fragend mit seinen blaugrünen Augen. "Du musst wissen, dass Urion nicht umsonst Rittmeister Greifenfurts ist und zum Großgaretischen Marschall wider Haffax berufen wurde. Schon überhaupt eine Lanze gegen ihn zu brechen war ein Erfolg!" "Aber... wenn Ihr fast sicher sein konntet, nicht zu gewinnen, warum habt Ihr dann überhaupt gekämpft?" "Das ist eine gute Frage, Angrawen... gieß mir doch noch einmal ein, dann erzähle ich Dir etwas." Der Knabe tat wie ihm geheißen.

"Im Turnier macht man natürlich keinen Rückzieher, ganz egal, wer einem zugelost wird oder einen herausfordert. Glücklicherweise geht es da meistens nicht um Leben und Tod, so dass man von der Erfahrung nur lernen kann." Holdwin nahm nun einen kräftigeren Zug und blickte dann ganz ernst. "Weißt Du, Urion von Reiffenberg und mich verbindet eine gemeinsame Geschichte. Ist schon ein paar Jahre her. Du warst da gerade mal geboren." Der Page hörte aufmerksam zu. "Ich war damals im Wengenholm. Wir feierten, dass wir den Norden des Kosch dem Griff der Finsterzwerge entzogen hatten. Da traf Nachricht aus Greifenfurt ein." Holdwin nahm noch einen Schluck. "Der Meister der Mark war ein Verräter und hatte sich mit den Orks verbündet!"

Der Page hing an Holdwins Lippen. Verrat... das klang ja schrecklich! "Wir sind so schnell es ging gen Greifenfurt aufgebrochen. Dort sammelte Edelbrecht vom Eberstamm Verteidiger – und Urion von Reiffenberg war einer ihrer Anführer. Auch aus Weiden waren nicht wenige dabei. Dennoch waren wir den Schwarzpelzen zahlenmäßig klar unterlegen. Trotzdem wollten wir nicht verzagen, denn es stand zu viel auf dem Spiel!" Der Ritter hatte mit zunehmender Leidenschaft gesprochen; jetzt wurde er wieder ruhiger. "Am Ende schlugen wir die Orken in dem Kampf, der als Schlacht am Stein in die Historie eingehen sollte. Doch es war kein Sieg, über den wir jubeln konnten, denn Prinz Edelbrechts ältester Sohn ging zu Boron." "Das muss sehr traurig gewesen sein!", murmelte Angrawen. "Ja, das war es! Er war ein Mitglied des Fürstenhauses – und noch dazu ein Kind." Holdwins Augen glänzten; er nahm noch einen Schluck, dann sprach er weiter. "Bei diesen Gelegenheiten zeigt sich, was echtes Rittertum bedeutet: Gemeinsam in die Schlacht ziehen, Seit' and Seit' in Freud und Leid – das sind die rondrianischen Tugenden." "Firuns Grimm und der Leuin Mut", flüsterte Angrawen. Das war aus dem Lied "Reite, Weidener, reite", das ihm sehr gut gefiel, auch wenn der letzte Refrain immer etwas traurig klang. "Genau so!", freute sich Holdwin, der plötzlich seine gute Laune wiedergefunden hatte. "Lass uns doch gemeinsam das Lied singen. Und danach gehen wir zum Feiern zu den Weidenern. Das war das, was ich Dir noch erzählen wollte. Über meinen Bruder Boromil hat die Familie ja inwischen intensive Verbindungen zu Weiden, da sollte man in Kontakt bleiben.", zwinkerte der Ritter seinem Pagen zu. "Außerdem können die Weidener so gut feiern, wie sie kämpfen können, und das will etwas heißen! Ich werde Dich gerne den anderen Rittern vorstellen – es kann nicht schaden, sie früh kennenzulernen." Während sie zusammen sangen, freute sich Angrawen schon.