Ein Abt und seine schwarzen Schäflein

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Ausgabe Nummer 27 - Travia 1023 BF

Ein Abt und seine schwarzen Schäflein

TROLLECK. Diesen Frühling, so glaubte die brave Hirtin Maula Semmelrüb, hatten’s Tsa und Peraine gut mit ihr gemeint: ihre gemütlichen Schetzenecker Wollschnucken waren allesamt trächtig und warfen ihre Lämmchen zwar mit herzzerreißendem Blöken, aber ohne die Schwierigkeiten wie vor zwei Götterläufen, als ihr drei Muttertiere verendet waren.

Mit Verwunderung nahm sie zur Kenntnis, daß sich darunter ungewöhnlich viele schwarze Lämmer befanden; doch jeder kann sich wohl den Schrecken der braven Frau vorstellen, als sie schließlich die Nachkommenschaft zusammentrieb und beim Zählen feststellte, daß alle, wirklich alle ihre Lämmer schwarz waren — schwarz wie Nacht, rabenschwarz!

Voller Furcht schlug sie das Zeichen jedes Gottes von Praios bis Rahja und suchte schleunigst das Weite; erst hinter dem Schober und nach einem tüchtigen Schluck Trollecker Torkler kamen ihr rasendes Herz und ihr keuchender Atem wieder zur Ruhe. Nachdem sie Reto, ihren kräftigen Berghund, herbeigepfiffen hatte, fühlte sie sich wacker genug, um sich der Herde wieder zu nähern. Und siehe da, die zotteligen Tiere grasten friedlich auf der grünfrischen Weide, nichts war zu hören als ihr stumpfsinniges Blöken und das Läuten der Glöckchen — kein Dämon entwuchs den dunklen Leibern, kein böser Fluch entrann den käuenden Mäulern.

Doch ganz so einfach sollte es nicht bleiben. Eines Tages kam nämlich ein Krambold des Wegs, der Steiger Alrich Zwiebenhang, der schon seit einiger Zeit in dieser Gegend auf Wanderschaft war. Froh über die Gesellschaft, lud ihn die Hirtin ans Feuer, und sie leerten auch manchen Krug und verkürzten sich die Zeit mit mancherlei Geschichten (etwa von dem Kampf der Rondrianer, den der Krambold vor einigen Wochen beobachtet hatte).

Als nun die Reihe daran kam, daß Maula Semmelrüb etwas zum besten geben sollte, berichtete sie munter von ihrer dunkelfarbigen Herde. Zuerst lachte der Fahrende und hielt’s für einen guten Scherz und rief: „Meiner Treu, was habt Ihr Landvolk für Einfälle!“

Doch die Hirtin hieß ihn aufstehen und führte ihn zu der Herde, die sich friedlich in den Pferchen tummelte. Und da, zwischen den schneereinen Leibern der Mütter, erblickte der Alrich zahlreich wie nie die schwarzen Rücken der Lämmer. Nun war’s um seine Ruhe geschehen, er raffte Säckel und Kiepe und machte sich noch in der Nacht auf den Weg. Ein wenig besorgt schaute die Semmelrüb ihm nach — und sie sollte recht behalten: die Mär von der schwarzen Herde machte die Runde in den benachbarten Dörfern.

Wohin die brave Maula in der Folgezeit kam, wurde sie scheel angeschaut, oder die Leute wandten ihr den Rücken zu oder schlugen gar ängstlich Schutzzeichen. „Das kommt von wegen den vielen Tobrischen! Die bringen’s Unheil mit sich!“ hieß es nicht selten.

Und obgleich die Hirtin seit manchem Götterlauf in der Trollecker Markung Weiderechte besaß, wurde ihr die Bachwiese verwehrt, als sie dorthin die Herde trieb: vier starke Bauersleute machten grimmige Mienen und böse Worte, schwangen Knitteln und Stecken und wollten schon die schwarzen Lämmer alle wund und tot schlagen, wäre nicht der treue Reto mit heftigem Gebell auf sie losgefahren, daß die Landsassen erschrocken das Weite suchten.

Nun sah es zunächst so aus, als fände sich bald kein Ort mehr, an dem die Hirtenfrau mit ihrer Herde gelitten sei, und schon blökten die Schnucken, müde vom Wandern, ausgezehrt vom Mangel an frischem Gras und Kräutern.

Aber Maula Semmelrüb wäre keine Koscherin, hätte sie nicht Abhilfe gefunden. Zunächst forschte sie tief in ihrem Gewissen, ob sie sich auch nichts hatte zuschulden kommen lassen, für das sie so von den Göttern bestraft wurde; aber sie fand keinen größeren Makel, als wie er eben jedem andern Menschen auch anhaftet. Und so kam sie zu dem aufgeklärten Schluß, daß die schwarzen Lämmer weder Strafe noch Unglücksboten sein könnten — denn die Götter waren ja gerecht, und solches hatte sie nicht verdient. Doch vorerst galt es zwei Probleme zu lösen: wer würde sich nicht vor einer schwarzen Herde fürchten, und wer würde für die schwarze Wolle (welche die Schafe ja einmal geben mochten) Verwendung haben?

Anderntags trieb sie die Herde mitten hinein nach Trolleck und vor die Tore des Boronskloster, ungeachtet der Blicke der Bevölkerung. Erstaunt über das lautstarke Blöken vor seiner Halle, erschien Abt Malchias von Schnellenbrück persönlich.

Die kecke Semmelrüb erklärte dem heiligen Mann in wenigen Worten, was die Götter ihr da beschert hatten und versicherte, daß sie allezeit fromm gewesen. Der umsichtige Mönch sah die schwarze Herde, sah die furchtsamen Blicke der Leute, sah die schlichte Unschuld im Gesicht der Hirtin. Und zum ersten Mal seit vielen Jahren mußte der ehrwürdige Diener des Schweigenden Gottes gegen die Verführung eines herzhaften Lachens ankämpfen.

Schließlich aber ließ er sich von zwei Novizen allerlei heilige Gerätschaften bringen, eine Schale mit geweihtem Öl zuvörderst; damit nun besprengte er jedes der schwarzen Schafe, sprach Segen und Gebet darüber und predigte, daß sie dem Gotte durch ihr Äußeres wohlgefällig wären. Da konnten auch die stursten der Trollecker nichts mehr erwidern, und ein Mädchen trat gar hinzu und nahm eines der wolligen Tierchen auf den Arm. „Sie sind ganz flauschig!“ rief sie den Erwachsenen lachend zu.

Der ehrwürdige Abt sorgte aber noch am selben Tage dafür, daß die Semmelrüb ein Stück braches Weideland, das dem Orden gehörte, zur Pacht bekam, und er vertrug zudem, daß aus der gottgegeben schwarzen Wolle warme Kutten für seine Brüder gefertigt würden.