Dreizehn sind (k)einer zu viel

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Ausgabe Nummer 76 - Efferd 1046 BF

Dreizehn sind (k)einer zu viel

Ein kleines Wunder zum Jahreswechsel

WENGENHOLM, zwischen den Jahren. Etwas verschroben und abergläubisch sind sie, die Bewohner der Wengenholmer Berge – zumindest denkt man so in den großen Städten drunten im Tal. Aber man hat gut reden, wenn einen hohe Mauern vor den irdischen und prächtige Tempel vor unheiligen Umtrieben schützen. Wer einmal die Namenlosen Tage (und vor allem die Nächte) auf einem einsamen Hof irgendwo in den Bergen verbracht hat, denkt anders darüber.

Ein solcher Hof ist jener des Bergbauern Jagosch Farnwedel, der einige Wanderstunden von Rübfold entfernt liegt. Der Sommer ist eine schöne, wenn auch arbeitsreiche Zeit, doch wenn der Rahjamond sich seinem Ende zuneigt, dann tut man in der Einsamkeit der Wengenholmer Berge gut daran, sich gegen das Böse zu wappnen. Heilige Zeichen, Talismane und sorgsam geschnitzte Götterfiguren beschützen Heim und Herd, Familie und Vieh. Beruhigend ist es auch, dass die Zahl der Köpfe im Haushalt göttergefällige zwölf beträgt; zwar ist die alte Großmutter im Winter gestorben, doch Alvide Farnwedel hat im Phex einen Buben bekommen, und so ist das Dutzend wieder voll.

Als nun die Dämmerung des letzten Rahjatages anbrach, saß man beisammen in der Hütte beim Abendbrot, und wie es sich gehört, hatte man zuvor auch ein frommes Gebet gesprochen. Da klopfte es auf einmal an die Tür. Alle erschraken, und keiner wollte öffnen. Da rief eine Stimme von draußen: „Ihr guten Leute, lasst mich ein! Ein verirrter Wanderer steht vor der Tür und bittet um ein Lager, um nicht die schrecklichste aller Nächte allein und ungeschützt in der Wildnis zu verbringen! Um Travias Lohn und Peraines Erbarmen, öffnet!“

Da fasste sich die Frau ein Herz und schob den Riegel beiseite. Draußen stand tatsächlich ein Wanderer, ein alter Mann mit langem Bart und breitem Hut. Selbigen zog er grüßend vom Kopf und wiederholt seine fromme Bitte. Da war nun guter Rat teuer, denn bat man ihn herein, so war er der Dreizehnte im Hause, und das verhieß Unglück. Besser wär’s noch gewesen, wenn ihrer zweie vor der Tür gestanden hätten.

Schon überlegte der fromme Janosch, ob er seine Älteste, die flinke Beine hatte, rasch zu einem der Nachbarn schicken und diese zu sich laden sollte; aber der nächste Hof war weit, und das Mädchen würde nicht mehr im Hellen dort eintreffen, geschweige denn zurück kommen.

Wie der Fremde das Zögern der armen Leute bemerkte, sprach er beruhigend: „Lasst mich nur ein! Es soll euch nicht gram darum werden. Ich will euch das Mahl und die Bettstatt wohl vergelten.“

„Ach, Väterchen“, sprach da die Farnwedlerin, „wenn wir auch arm sind, so tut’s uns nicht Leid um den Kanten Brot und das Plätzchen in der Stube. Das wollen wir schon mit dir teilen. Aber dass wir gerade nun zwölfe sind und du uns das Dutzend zur dreizehn machst, das bereitet uns Kummer. Dennoch wollen wir dich nicht abweisen, gerade weil die schlimme Zeit bevorsteht. Also komm herein, in Travias und in Praios’ Namen!“

„In Travias und Praios’ Namen“, wiederholte der Fremde und trat ein. Er nahm am Tische Platz und teilte Brot und Suppe mit den Leuten. Als aber die Nacht hereinbrach und man sorgsam die Läden verschloss, als man sich ängstlich um das kleine Talglicht am Tisch versammelte und begann, die ersten Gebete zu sprechen, da holte der Fremde etwas aus seinem Ranzen. Und siehe, es war eine Kerze. Er entzündete sie an dem Talglicht, und sofort war es um etliches heller im Raum, obwohl es doch nur ein winziges Kerzlein war. Bei dessen Scheine saßen sie den ganzen Abend und lauschten den Erzählungen des Fremden, bis ihnen die Lider schwer wurden und sie schließlich einschliefen.

Am andern Morgen ging die Sonne auf, und es war keinem etwas Böses geschehen. Der Fremde trank noch einen Becher Milch zur Stärkung und ging mit frohem Gruß seiner Wege. Als er im nahen Wald verschwunden war, bemerkten die Leute erst, dass er das Kerzlein vergessen hatte, das sonderbarerweise noch immer so groß und so klein war wie am vorigen Abend. Da staunten sie sehr, und der Farnwedelbauer hieß seine Älteste, rasch dem Fremden nachzulaufen und ihm das gute Stück zu bringen. Doch das Mädchen kehrte bald unverrichteter Dinge zurück; so sehr sie sich auch beeilt hatte, von dem Wanderer war nichts mehr zu sehen.

Als es wieder zu dunkeln begann, entzündeten die braven Leute das Licht aufs Neue. Und siehe: Es hielt auch die zweite und dritte und vierte und auch noch die letzte der bösen Nächte, und erst als der erste Tag des Praiosmondes anbrach, da erlosch sie. Der Farnwedler Janosch und seine Familie aber sanken auf die Knie und dankten dem Götterfürsten für seine Gnade.

So hat es uns der Fuhrmann Alrich Notheller berichtet, der es wiederum vom Blauen Berndrich hat, einem ehrbaren Krambold, der seit Langem schon im Wengenholmschen umgeht. Und der ist dort gewesen bei dem Farnwedelbauern und hat alles mit eigenen Ohren vernommen. Und wenn auch das eine oder andere Wörtchen erdichtet sein mag, so zeigt uns die Geschichte doch: Die Götter sind mit denen, die guten Herzens sind und ihre Gebote halten.

Karolus Linneger