Die Rückkehr des Angbarer Wengels
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„Was Recht ist, muß Recht bleiben“ | ▻ |
Die Rückkehr des Angbarer Wengels
Schon oft hieß es in Berichten und Traktaten, die Koscher verstünden sich zwar meisterlich auf Ingerimms Handwerk, hätten dafür aber keinerlei Sinn für Hesindens Künste. Es ist wahr, daß man hierzulande weniger Wert auf Saitenklang und Schöngeist legt, und zwischem dem Greifenpaß und dem Großen Fluß wird man auch - mit Ausnahme Salmingens - vergeblich ein Teatro nach Vinsalter Vorbild suchen. Doch eine besondere Form des Schauspiels ist den Koschern zueigen: das Angbarer Holzpuppenspiel.
Bei dieser Variante des Theaters sind die „Schauspieler" hölzerne Figuren von vielleicht anderthalb Spann Größe, mit markanten Gesichtern und bunten Trachten und Wämsern. Kopf, Arme und Beine hängen an dünnen Zwirnfäden, welche an einem Holzgriff - meist in Doppelkreuzform - zusammenlaufen. Mit Hilfe dieses Gestells bedienen die Puppenspieler von oben ihre hölzernen Kameraden. In Wengenholm, woher sie ursprünglich stammen, heißen die Figuren derb-scherzhaft „Hooolzköppsche", wohingegen die Almadaner mittlerweile den Ausdruck „Marionette" geprägt haben (von dem sich übrigens das Spottwort Mirhamionette für den machtlosen Südkönig herleitet).
Als Bühne dient beim Puppenspiel zumeist eine anschaulich bemalte Leinwand, doch wirklich gute Spieler besitzen auswechselbare Szenarien mit allerlei Requisiten. Denn die koscher Landsassen und Handwerksburschen der Städte möchten sich nicht nur vorstellen, daß im Hintergrunde eine mächtige Burg zu sehen ist - nein, sie wollen sie auch vor Augen haben. Was bei den Menschentheatern nur unter enormen Aufwand möglich wäre, schafft die Puppenbühne also mit einfachsten Mitteln und geringen Kosten. Es bedarf meist nur dreier Spieler, die hinter dem Vorhang stehen und von oben die Fäden des Schicksals ziehen.
Diese Darbietungsform entspringt einer Not und einer Tugend: Den Zwergen (und auch vielen Menschen) gilt es seit jeher als geradezu unschicklich, sich zu verkleiden und als jemand anderes auszugeben. Eine Ausnahme bilden nur die göttergefälligen Maskenzüge, wie sie etwa zum Winterfest in Albumin und an anderen Orten im Wengenholmschen abgehalten werden. Auf der anderen Seite aber ist der Kosch reich an meisterlichen Schnitzern, die aus einem toten Stück Holz wahre Kunstwerke zu schaffen verstehen. Weil man aber in den tristen Berggegenden oder den reichen Städten wie überall sonst auf der Welt Unterhaltung liebt, erwuchs mit der Zeit die Sitte des Holzpuppentheaters.
Angeblich geht diese Kunst auf einen gewissen Alrich Sackpfeif zurück, einen Hirten aus dem Wengenholmschen. Während er tags die Kühe hütete, schnitzte er für seine sieben Kinder kleine Holzpuppen, mit denen er ihnen abends Geschichten und Märchen vorzuspielen pflegte. Krambolde und Gesellen auf der Walz' verbreiteten das Puppenspiel über das Hügelland und die Ferdoker Mark (und zuweilen gar darüber hinaus bis in den Hinterkosch, das besagte Almadanische oder nach Greifenfurt, wo man freilich niemals über die rechte Kunstfertigkeit im Schnitzerhandwerk verfügte). In der Stadt am Großen Fluß war es beim Zunftfest der Tischler und Schnitzer lange Zeit üblich, Szenen aus der Stadtgeschichte darzubieten, und in der Fürstenstadt gab es die Gestalt des „Angbarer Wengel", der einmal im Mond auf dem Marktplatz auf spaßige Weise Neuigkeiten aus Stadt und Land kommentierte.
Dann aber verboten die Priesterkaiser das Holzpuppenspiel als praiosungefälliges Blendwerk. In manchen Orten warf man die Figuren sogar auf Scheiterhaufen, zusammen mit ketzerischen Schriften und Artefakten. In den entlegenen Regionen hat sich die Kunst jedoch gehalten, und so mancher Berghirt oder Förster weiß seine Familie mit den Kerlchen aus Eiche und Ulme zu erfreuen. Von den einst so beliebten Theatern existiert nur noch die Angbarer Puppenkiste, deren Requisiten und Figuren heimlich weitervererbt wurden, bis man sie wieder ungestraft aus der Versenkung holen konnte.
Seitdem sind die Vorstellungen in dem kleinen, bunten Fachwerkhaus im Angbarer Zwergenviertel ein beliebtes Ziel für große und kleine Bürger, und selbst unser Fürst läßt es sich nicht nehmen, ab und an den derb-spaßigen Geschichten beizuwohnen. Zu seinem Tsatag läßt er gar eine eigene Vorstellung nur für Kinder abhalten!
Wahre Klassiker der Puppenkiste sind die Geschichten vom kleinen Mohajungen Alrik Knüpf, dem Pfeife schmäukenden Bierkutscher Lukasch mit seiner braven Warunker Stute Erma, vom niedlichen Baumdrachen Murmel oder den Abenteuern des ewigen Pechvogels Onbald, Sohn des Barx, und seinen drei Neffen. Die bislang prächtigste Aufführung wurde vor kurzem zum Geburtstag des Hügelvogtes Nirwulf gegeben: man spielte die Geschichte des lügnerischen Almadaners Pinocino, dem Vater Angrosch bei jeder Lüge die Nase ein Stückchen länger werden läßt. Für dieses Werk wurden dreiunddreißig Leinwandkulissen gemalt und über fünfzig liebevolle Puppen in lebensechten Trachten und Gewändern gefertigt.
In diesem Götterlauf nun gab man endlich wieder die traditionellen Puppenspiele, die in aller Öffentlichkeit aktuelle Geschehnisse in Form einer einfachen Geschichte kommentieren. Zwar ist man von einer Vinsalter Typenkomödie noch weit entfernt, doch findet sich durchaus ein fester „Puppenstamm". Zentraler Held ist der schon erwähnte „Angbarer Wengel", ein gewitzter Handwerksgeselle, der gegen solche Schurken wie den Orken Knockwisch, den intriganten Yaquirier Larifari oder den grausigen Zauberer Porrobold antritt. Daneben wirbt er eifrig um die Gunst der braven Magd Lorinchen, auf die aber auch der grobe Knecht Bolzer (mit seinem breiten Wengenhoolmer Akzent) ein Auge geworfen hat. In den finalen Szenen taucht der gutmütige Fürst Badusilus auf, der ein gerechtes Urteil über die Schurken fällt, und der weise Zwerg Angbosch verkündet die Moral der ganzen Geschicht' - denn moralisch und lehrsam muß es schon zugehen im Koscherland. Und wenn zu guter Letzt der Wengel mit seiner Rute den Bösewichten ordentlich den Rücken verdreschen kann, jubelt und johlt das ganze Publikum.