Unter Schurken - In der Zwergenkate

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Hinterkosch, 1021

Wenig später saßen sie in der Kate des Zwergen zusammen und aßen. Norge hatte recht erstaunt geschaut, als die Gefährten beim Eintreten einer nach dem anderen das Zeichen von Hammer und Amboß vor dem kleinen steinernen Altar des Allvaters machten. Im Koschland, wo die beiden Völker seit den Tagen Broderics und Angbaroschs friedvoll zusammenlebten, war dieses freilich nichts besonderes, genauso wie fast jeder Mensch zumindest ein paar Worte der zwergischen Zunge beherrschte. Norge aber war beeindruckt gewesen und teilte schnell seine Vorräte mit den Reisenden, die ihrerseits aus ihrem knappen Proviant zum Mahle beisteuerten – allen voran den Bierschlauch des Ritters Falk. Der scheinbar uralte weiße Berghund des Zwergen, den sie zuerst für eine schäbige Fellmatte gehalten hatte, bis er sich zu Norges Füßen niederließ, knabberte an einem alten Hartkeks aus Hollerbeerenmehl, der noch von der Hinreise in Wolfhardts Proviantbeutel geblieben war.
Die Pause tat ihnen allen gut. Merwerd aber behagte nicht recht, daß sich Wolfhardt gleich einen zwergischen Brauch zunutze gemacht hatte. Vielleicht war der Ritter zu keck gewesen. Schließlich hätten sie nach einigen erklärenden Worten gewiß auch so Hilfe bei dem Zwergen gefunden, und in wirklich arger Not hatten sie sich auch nicht befunden.
“Was unsere Leute wohl machen?“ fragte Rena.
“Dragosch wird sie schon auf den rechten Weg führen“, versicherte der Wiesner ihnen – und sich selbst. “Dragosch, Drobos Sohn, ist mein Spießgeselle, aus dem Volk von Koschim“, wandte er sich dann erklärend ihrem Gastgeber zu und verfiel wieder ins Rogolan.
“Aber sag einmal, Norge, ist dir in letzter Zeit nicht etwas Besonderes hier in den Bergen aufgefallen? Treiben sich vielleicht seltsame Großlinge hier herum?“
Der Zwerg schwieg, die dunklen Augen unter dem wuscheligen Haupthaar unbeirrt auf das Gesicht des jungen Edlen gerichtet. Dann, eine ganze Weile später – so kam es den Gefährten vor, die gespannt inne gehalten hatten – schüttelte er bedächtig den Kopf.
“Keine Großlinge, nein, Großlinge nicht. Aber Norge hat ein anderes Kind des Allvaters gesehen, seltsam war das.“
Der Zwerg stockte. Es schient, als lausche er auf die draußen durch die Täler pfeifenden Winde. Oder horchte er in sein Inneres?
“Norge wird später erzählen. Muß jetzt draußen schauen nach den Dingen, weil der weiße Wind kommt. Dann ist noch Zeit für euch, Norge zu hören. Müßt warten.“
Was sagte er da? Die verblüfften Gefährten wechselten einen Blick. Schon war der Zwerg aus der Hütte geglitten, als Merwerd Stoia sich erhob, den schweren Vorhang am Eingang beiseite schob und die Tür der Hütte öffnete. Kalter Wind schlug ihm ins Gesicht, Schneeflocken setzten in Haar und Bart.
“Der Zwerg hat recht. Draußen wird es ungemütlich, vielleicht ein Schneesturm.“
Innerhalb kürzester Zeit fiel der Schnee in dicken Flocken. Es war als habe eine alte Wetterhexe ihnen die Windspiele und Frostgeister geradewegs an den Hals gehetzt. Der Sturm pfiff durch die Ritzen und zerrte an den Wänden der Kate. Aber die Unterkunft des Zwerges, die ein gutes Stück in den Erdboden eingelassen war, hielt dem Wüten des Sturmes stand, mochte er noch so toben. Norges Kohlefeuer sorgte für wohlige Wärme im Innern. Nur ihr Gastgeber selbst kehrte nicht zurück.
Viel zu spät dämmerte das den Gefährten. Sie eilten nach draußen. Aber weder war Norge in der Umgebung der Hütte zu sehen, noch antwortete er auf ihre Rufe, falls er sie hörte. Sämtliche Spuren hatte der neue Schnee längst verborgen.
“Verflucht“, knurrte Wolfhardt. “Finden können wir ihn nicht, und hinterher schon gar nicht bei dem Wetter. Bleibt nur zu warten.“
Sie kehrten in die Hütte zurück.
“Geschickt von eurem kleinen Freund, Wolfhardt. Wenn er uns verraten will...“
Merwerd Stoia sprach das aus, was alle dachten – oder zumindest zwei seiner Gefährten.
“Verraten? Der Norge kann doch kein Schurke sein, hab‘s gleich gesehen an der Art, wie er den Bierschlauch hielt, und außerdem hätt‘ er den doch mitgeklaut, wenn er ein Schurke wär“, widersprach Falk.
“Ich glaube es auch nicht“, äußerte sich Wolfhardt, doch seine Stimme war nicht frei von Zweifeln.
“Zur Not können wir ja seinen Hund als Geisel nehmen“, schlug Merwerd spöttisch vor. Tatsächlich: das Tier schlief wie vor ihrer Ankunft zusammengerollt in einer Ecke. Sie warteten schweigend, bis Rena das Wort ergriff.
“Vielleicht sollten wir zunächst beim Herrn Lucrann Hilfe suchen, bevor wir hier umherirren“, schlug die Ritterin vor. “Wir sind ohnedies schon soviel zurückgeritten, daß das jetzt nichts mehr ausmachen würde. Und mit einigen Jägern und Knechten sollten wir den Jergenquell schnell aus seinem Versteck gescheucht haben.“
Merwerd dachte an das Gespräch, das er mit der ihm seit langer Zeit vertrauten Baronin Veriya von Tsafelde geführt hatte. Gerade von dieser aufgeklärten Frau hätte er nicht erwartet, daß sie sich so entschieden auf die Seite ihres Herzogs gestellt und beide Augen vor den Verfehlungen ihres Lehnsherrn verschlossen hätte. Vielleicht würde es beim Rabensteiner ähnlich sein?
“Ich halte das nicht für eine gute Idee“, sagte er.
“Nix! Bis dahin ist uns der Dings, ist der olle Jergenpelle, doch längst an uns vorbei!“ polterte Ritter Falk, und auch Wolfhardt nickte zustimmend. Die Arbasierin zuckte die Schultern.