Der Eberstammer starke Burg

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Ausgabe Nummer 44 - Rahja 1031 BF

Fürstenhort. © M. Lorber

Auf mehr denn tausend Schritt Höhe liegt das Fürstenhorter Plateau in den Schetzenecker Bergen – ein Talkessel, der beinahe ringsum von steil aufragenden, unendlich hoch erscheinenden Felswänden umgeben ist, in die hier und dort zackige Klüfte hineinstoßen. Wer sich fragt, warum in der Zwölfe Namen hier droben nicht nur überhaupt Menschen siedeln, sondern das auch noch in stattlicher Anzahl, seit mehr als tausend Jahren nun schon und gar der Fürst vom Eberstamm einer von ihnen ist, der wird die Antwort bei dem Herrn Praios und seinen Brüdern Ingerimm und Efferd finden.

Fürstenhort ist nämlich von seiner Lage derart gesegnet, dass ihm trotz der Bergriesen im Gegensatz zu den Tälern in vielen Meilen Umkreis ein Übermaß an Sonne geschenkt wird. Auch stürzen drei starke, klare Felsflüsse von den Steilwänden herab, die das Korn auf den Feldern am niedersten Punkt des Tales wohl gedeihen lassen, und von den Gaben Vater Ingerimms wird später noch die Rede sein.

Erreicht ein Wanderer oder Reiter nach beschwerlicher Reise über den Rittersteig das Tal, durchmisst er mit der Gewissheit, bald am Ziele zu sein die Kornfelder und quert die Brücke über den Xelrasch, hat er die letzte Meile seines Weges erreicht.

An den Bauernhäusern der Fürstenalm und einigen der später näher erwähnten Hammerwerke vorbei schlängelt sich der Rittersteig den Weg hinauf zur eigentlichen Stadt – denn als solche darf sich Fürstenhort stolz bezeichnen – die aus dem grauen Basalt der umgebenden Berge errichtet ist und geradezu aus dieser gewachsen zu sein scheint.

Das Herz der Stadt

Vorbei an trutzigen Mauern und ersten Fahnen in den fürstlichen Farben grün und schwarz gelangt man bis hinauf zum Baduarsbogen. Schon so mancher, der dieses altehrwürdige Stadttor durchschritt, und dessen erster Blick auf die durchaus stattliche Burg Zwingenberg fiel, hielt diese für die Fürstenburg. Doch ist’s nur der Sitz des hiesigen Landvogtes, wenngleich insbesondere der düstere Bergfried sehr beeindruckend erscheint. Einem aufmerksamen Besucher der Zwingenberg mag jedoch auffallen, dass manche der in den vergangenen Jahrzehnten durch das Geschlecht der Treublatts errichteten wuchtigen Zinnen und groben Steinwälle von außen deutlich trutziger erscheinen als sie tatsächlich sind. Die Feste thront auf steil abfallenden Klippen, so dass sie sowohl den Eingang zur Xelraschklamm beherrscht als auch die Burgbesatzung mit ihrem Katapult und Armbrüsten die Straße hinauf in den Ort bestreichen kann.

Zwischen Vogtenburg und Landhalle, in der regelmäßig Märkte und Feiern abgehalten werden, zwängt sich die Straße empor zum Fürstenplatz. Dem Haus des Ingerimm und dem auffällig stattlichen Scharfrichtersteins gegenüber steht hier das Ritterhaus, welches - ungeachtet aller Zwiste untereinander - als gemeinschaftliches Stadtquartier und Ort der monatlichen Ratsversammlungen (und – wie böse Zungen behaupten – so mancher Gelage) der Edelleute der Baronie dient. Auch auswärtige Reisende gehobenen Standes kommen hier zuweilen unter, denn bislang gibt es in der Stadt bis auf die – ebenfalls am Fürstenplatz gelegene – schlichte Herberge "Zu den drei Gänsen" keine ordentliche Fremdenunterkunft. Vor dem Eingang des Ritterhauses soll nach dem Willen des Fürsten Blasius demnächst eine Statue seines Vorfahren Holdwin des Erneuerers errichtet werden.

Die Feste des Fürsten

Ungleich mächtiger als die Zwingenberg erhebt sich die Burg Fürstenhort über dem Ort. Die Stamm- und Fluchtburg des Hauses Eberstamm schmiegt sich an die sich steil auftürmenden Wände der Koschberge, so dass sie nur auf der der Stadt zugewandten Seite eine wirkliche Festungsmauer nötig hat. An den übrigen Seiten beschirmen sie die bisweilen gar mehr als senkrecht abfallenden Felsen des Talkessels (und daran manch verborgener Ausguck und Schützenstand, der durch Tunnel und Treppen zu erreichen ist).

Vom Ort trennt die Feste Greings Klamm, ein unerklimmerbarer Felseinschnitt von sagenhafter Tiefe. Zum Tor der Burg führt einzig eine stählerne Zugbrücke. Um zu ihr zu gelangen, muss man zunächst eine lange Rampe erklimmen, so dass jeder Feind unweigerlich dem Beschuss der Verteidiger ausgeliefert ist.

Das Fürstenhorter Handwerk

Folgt man dem ungleich reißenderen Xelrasch unterhalb von Zwingenberg in seine Klamm, finden sich gleich mehrere größere Handwerksbetriebe, die sich die Kraft des Wassers für den Antrieb von Hammerwerken, Blasebalgen und anderen Maschinen nutzbar machen. Bekannt ist Fürstenhort für seine Helmmanufaktur, die Herstellung von Messern und feinen Eisenketten in größeren Mengen, vor allem aber für die beiden Drahtseilereien. Ihre stählernen Trossen werden nicht nur für die Zugbrücke von Burg Fürstenhort benutzt, sondern auch für den rege genutzten senkrechten Warenaufzug von der Xelraschsklamm hinauf zur Stadt. Für die lange Seilbahn vom Rittersteig hinauf, die das letzte Stück der Bergstraße sparen sollte, ist hingegen zwar ein Stahlstrang gespannt, doch ist das schaukelige Gefährt daran nie wirklich benutzt worden.

Naturgemäß fanden die Ketten und Seile auch in den Minen Gebrauch, deren Eingang sich im hinteren Teil über der Xelraschklamm auftut, doch sind diese lange versiegt. So fahren die Bergleute heute anderorts in der Landvogtei ein, einzig ein Häuflein Bedauernswerter, die in die Schuldknechtschaft des Vogtes fielen, schürft hier auf sein Geheiß verzweifelt nach den letzten Ausbeuten.

Noch eine einzigartige Handwerkerin gibt es in Fürstenhort: Gidiane Ramsledern, die Scharfrichterin des Vogtes, ist zugleich eine geschickte Herstellerin von Folterwerkzeugen wie den klassischen Daumschrauben, dem Wehrheimer Stuhl oder der Maraskaner Kammer. Weil sich die diesbezüglichen Aufträge aber in Grenzen halten und ihre Dienste als Scharfrichterin nicht mehr so oft in Anspruch genommen werden wie ehedem (als Vertreter des Fürsten verfügte Herr Roban seit jeher über das Halsrecht), ist ihr Sohn Angrond, ebenfalls ein geschickter Instrumentenbauer, bereits in den Hinterkosch ausgewandert, wo er zu Elenvina auf größere Nachfrage hofft.

Die Fürstenhorter Leut

So hören wir nun von den Bewohnern Fürstenhorts: Sind unter den Schetzeneckern seit eh und je viele Eigenbrötler zu finden, so sind die Bewohner des Fürstenhorter Berglandes ein Musterbeispiel unter ihnen, ja, wie mancher meint, viele gar von Nordmärker Missmutigkeit, wenn sie etwas aus ihrem gewohnten Lauf reißt oder sie Fremden gegenübertreten. Es hängt gewiss mit dem Saustechen zusammen, dem schrecklichen Massaker am Fürstenhaus Eberstamm nach der Belagerung durch den Thronräuber Porquid, bei dem der auch viele der alten Fürstenhorter vertrieben wurden und Gesindel ins Land kam, dass man hier anders als sonst im Kosch wenig Gastfreundschaft vorfindet, so sehr sich der Gänsewirt Nottel Poltering auch um die Verbreitung der Lehren Travias bemüht. Stattdessen hockt man mit den Leuten der eigenen Sippe zusammen oder wenigstens mit jenen Nachbarn, die von ähnlichem Geiste sind wie man selbst.

Will man die Fürstenhorter in Gruppen scheiden, so sind dort zunächst die „alten Eberstammer“, treue Untertanen, die schon vor Freude jubilierten, als der Fürst 1015 BF mit seinem Verwandten Kuniswart erstmals wieder einen Burgsassen auf die Feste entsandte, und ihr Glück über die Rückkehr seiner Durchlaucht kaum fassen konnten - doch das sind wenige. Die „neuen Eberstammer“ sind jene Leute, die zum Hofstaat des Fürsten gehören oder in seinem Gefolge gekommen sind, um ihr Glück zu machen oder wie die Drahtseilerin Wiede Gratbier nun auf prosperierenden Handel und Handwerk hoffen. Gerade sie erregen den Unmut derer, die ähnlich zäh und raubeinig wie ihr Landvogt Roban von Treublatt sind und von Veränderung und Einmischung in ihre Angelegenheiten wenig halten (manche haben gar Angst, dass an ihnen Verbrechen ihrer Ahnen gerächt würden). Schließlich gibt es solche, die sich gänzlich aus dem Gemeinleben zurückziehen und alle Neuerungen mit firungefälligem Schweigen zur Kenntnis nehmen.

Drachen und seltsame Heilige

Es wundert die Gelehrten wenig, dass bei derart eigensinnigen Menschen weitab von den großen Tempeln auch die Frömmigkeit bisweilen seltsame und nicht immer praiosgefällige Wege geht. So verehrten nicht wenige zum Ende der Kaiserlosen Zeit eine angebliche Halbgöttin namens Simjalla. „Alles ist Wandel, der Baum, der Mensch, und selbst der Stein. Es muss zerschlagen werden, damit neu entsteht!“ predigten die Priesterinnen Simjallas - ein Hexenzirkel, fürwahr!

Noch heuer betet man zu Meister Waidrich, der, wie die Fürstenhorter versichern, ein Heiliger Firuns und Travias sei, aus älterer Zeit noch als der wackere Graf Firutin. Im Gegensatz zum listigen und ehrbaren Heiligen Firutin steht Waidrich allerdings beleibe nicht für Zucht und Entbehrung. „Nimm dir, dann wird dir gegeben.“ und „Gib, sonst wird genommen.“ - so lauten seine Lehren, die seine Anhänger beim eigentlich der Ifirn heiligen Fest am 30. Firun zu zitieren pflegen. An jenem Tag wird der aus Stroh und Ästen gebaute Winterdrache nicht nur wie anderswo im Schetzeneck andächtig verbrannt, sondern zunächst von einer wütenden Menge zerschlagen und mit Verwünschungen bedacht, bevor man ihn in Brand steckt und Gläubigen sich derart gierig über das Festmahl hermachen, als würden sie einen Drachenhort plündern. So scheint es passend, dass die beiden wichtigsten Bestandteile des Festmahls der heiße Drachentrunk und eine Fleischsspezialität sind, die den treffenden Namen „Fürstenhorter Rauhbein“ trägt.

Stitus Fegerson