Wolfsjagd zu Wengenholm - Waidmannstaten

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Wengenholm, 1023

In aller Frühe und lange, bevor der Götterfürst sein Haupt über die Tannenwipfel erhob, war das Lager auf den Beinen. Man war der Meinung, die Wolfshatz am besten zu beginnen, indem man sich zunächst an gewöhnlichem Wild übte. „Heute abend will ich Rehrücken speisen!“ frohlockte der junge Graf, und die andern stimmten ihm begeistert zu.

Schon waren die Spurensucher ausgeschwärmt, um die Fährte von Rehen, Hirschen oder Schwarzkitteln zu finden, und die Treiber hüllten sich in warme Jacken, denn der Nebel hing noch in dichten, grauen Schwaden zwischen den Bäumen. Die Hundeführer redeten leise auf die prächtigen Winhaller Wolfsjäger ein, die knurrend und bellend am Fuße einer mächtigen Eiche balgten. Lucardus von Hirschingen sog die kühle Waldluft in die Lungen: „Göttin, ist das herrlich!“ Aus seinen Haaren tropfte es auf seine Schultern; denn er war vor allen andern aufgestanden und hatte sich in einem nahen Quell gewaschen, wie er es auch im Brunnen des Tempels allmorgendlich zu tun pflegte. Seine Lippen waren von der Kälte ein wenig blau gefärbt, doch die Augen des Rondrianers leuchteten von frischem Tatendrang.

Man kam überein, sich aufzuteilen. Graf Jallik, Kordan, Globerich und Lucrann schwangen sich auf ihre Pferde; sie waren mit Wurfspeeren bewaffnet und hatten Anweisung gegeben, daß ihnen ein Rudel Hirsche auf die Grasebene zwei Meilen weiter östlich zugetrieben werde.

Stolzenburg und Hirschingen zogen es vor, sich an einem Wildwechsel auf die Lauer zu legen, und Ritter Falk schloß sich ihnen an. Sie warteten fast ein Stundenmaß, wie man an der langsam steigenden Praiosscheibe erkennen konnte. Schweigend und fröstelnd, hinter Sträuchern und einer gewaltigen, umgestürzten Eiche verborgen. Endlich verkündete wütendes Gebell und der Lärm der Treiber das Nahen der Beute. Mit einem Krachen teilte sich das Unterholz, und eine Rotte Schwarzkittel brach grunzend und schnaubend hervor. Der Vogt nahm Ziel und schleuderte einen Wurfspeer auf den zottigen Keiler, der voranstürmte. Mitten im Lauf brach das schwere Tier zusammen und stolperte noch etliche Schritt weit über den Boden, rappelte sich jedoch wieder auf und wollte die Flucht ergreifen. Da traf ihn der Sauspieß des Albuminers.

Zugleich hatte der Geweihte seine Deckung verlassen und trat einem anderen Tier in den Weg, den Speer an die Seite gepreßt und vorgestreckt, in der andern ein Jagdmesser. Wie eine Lawine aus Borsten, Fleisch und Muskeln wälzte sich die Sau heran. Im letzten Augenblick zuckte der Eichenschaft des Speeres vor, doch das wilde Tier wich ihm aus und entkam im Dickicht. „Verflixt, sind die aber schnell!“ fluchte Ritter Falk und zog kopfschüttelnd einen seiner Pfeile aus dem Stamm der umgestürzten Eiche. „Und ganz schön kräftig. Kein Wunder, daß unser guter Fürst so was im Wappen haben will!“

Das erinnerte Vogt Gelphart an den alten Brauch der Eberjagd; rasch sprach er jene Formel aus, mit der man versicherte, mit dieser Beute nicht das Haus Eberstamm beleidigen zu wollen. Froher Hörnerschall aus Ost verkündete, daß auch die andern Jagdglück hatten. Zwei Rehböcke waren’s, wie sich bei der Rückkehr zum Lager zeigen sollte.

„Es war herrlich, das Rudel brach aus dem Wald hervor wie braune Blitze“, schwärmte Globerich und erzählte, wie sich die berittenen Jäger daran gemacht hatten, das Rotwild über die Lichtung zu verfolgen. Der Baron von Geistmark hatte einen guten Treffer gelandet, doch leider keinen Blattschuß, und so mußte er das waidwunde Tier noch ein gutes Stück verfolgen, bis er ihm mit einem zweiten Geschoß einen raschen Tod bereiten konnte.

Der Graf hingegen schäumte vor Wut: „Verdammt, Lucrann, ich weiß es ja zu schätzen, daß Ihr mir nicht die Beute nehmen wolltet – aber Euer Pferd war vorhin wirklich schneller, und der Bock wäre Euer gewesen, wenn Ihr nicht... na, was soll’s, der gute Kordan hat ja dafür gesorgt, daß wir unsern Rehbraten bekommen. --- Jetzt schaut nicht so zerknirscht drein! Dafür habt Ihr bei dem Grauen mehr Glück, so Firun will“, lachte der Wengenholmer, klopfte seinem Hausritter auf die Schulter und stiefelte auf den anderen Jagdtrupp zu.

„Hochwohlgeboren, damit keiner hungern muß...“ Die beiden Jagdmeister traten in die Runde; auf den Schultern trugen sie den glänzenden Stamm einer Birke, woran ein Rehbock hing. „Prächtig!“ rief Graf Jallik aus. „Ebenfalls ein guter Treffer, wie ich sehe. Wer...?“ „Dem Herren hier gebührt die Ehre“, erklärte Pannlapp und zeigte auf seinen Kameraden aus dem Greifenfurtschen. „Grimmvater! Solch einen Schuß hab’ ich noch nie gesehen! Ihr glaubt’s nicht, Herren: das Tier war so weit entfernt, daß ich kaum sagen konnte, ob’s ein Bock oder Reh ist, und da legt der gute Wilbor an und zielt und...“

„Nun ja“, sagte der so Gelobte dazwischen, „das war sicher Firuns Werk – und vielleicht ein bißchen das von Meister Phex, glaube ich.“

„Wie dem auch sei“, warf der Graf ein, „wir wollen nun dem Gotte die Ehren erweisen und uns dann an dem Wildbret gütlich tun. Und dabei können wir genau bereden, wie wir auch die wichtigste Beute, den grauen Wolf, erlegen wollen.“

Und so geschah es. Bald erfüllte der Duft von zartem, rotem Fleisch die Lichtung, und nicht nur die Edlen, sondern auch die Treiber und Waidleute tafelten unter Praios’ blauem Himmel, bis ihre Bäuche gefüllt waren wie selten einmal.

„So läßt sich’s leben“, lobte Ritter Falk und schien rundum zufrieden – vor allem, nachdem man seinen Humpen wieder gefüllt hatte. „Jetzt müßt’ uns der Wolf nur noch vor die Füße laufen – der käm’ mir grade recht!“

Globerich nagte noch immer an einer Rehkeule, das Fett troff ihm vom runden Kinn auf das Wams, was er aber nicht zu bemerken schien.

Der Graf von Wengenholm lehnte satt und müde an einem Baumstumpf und summte leise: „Ach wieviel besser schmeckt doch der Braten, wenn du ihn selber hast erlegt.“ „Was ist das für eine Weise, Hochwohlgeboren?“ fragte Lucardus von Hirschingen. „Sie kommt mir bekannt vor.“

„Ach, ein Lied des Herrn Wolfhardt. Er hat’s auf dem Weg nach Trallop so gerne gesungen, und es will mir nicht mehr aus dem Sinn.“

„Und mir geht einfach nicht aus dem Sinn, wie wir in dieser Weite einen einzelnen Wolf finden sollen“, seufzte Vogt Stolzenburg und ließ den Blick über die Tannenwipfel schweifen. „Und mir geht einfach nicht aus dem Sinn, wie wir in dieser Weite einen einzelnen Wolf finden sollen“, seufzte Vogt Stolzenburg und ließ den Blick über die Tannenwipfel schweifen. „Das bereitet auch mir Kopfzerbrechen“, gestand der Graf und kratzte sich unter dem Kinn. „Da ist guter Rat teuer.“

„Nun, Hochwohlgeboren, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte“, begann der Greifenfurter Schütz vorsichtig, doch als ihn der Herr von Wengenholm mit einer Handbewegung zum Sprechen aufforderte, rückte er näher an den Kreis der Edlen und erläuterte in knappen, klaren Worten seinen Plan: „Zunächst braucht’s die Spur des Tieres, soviel steht fest. Darum sollten wir uns in einer langen Kette über das Gebiet verteilen und den Boden absuchen, besonders die Wildwechsel; vielleicht finden wir auch Überreste einer Beute, die der Graue gerissen hat. Auf diese Weise jedenfalls habe ich schon manche Jagd zu einem guten Ende geführt.“

Doch in den Stirnen der Adligen standen nachdenkliche Falten. Der junge Auersbrück erwiderte dem Waidmann: „Ihr seid Euch aber bewußt, Meister Wilbor, wie groß und weit das Land hier ist? Auf diese Weise benötigten wir Tage oder Wochen, um den Wolf zu finden – falls er überhaupt hier ist. – Wär’s denn nicht besser, ihn durch den Lärm unserer Treiber aufzuscheuchen, mit Stöcken, Schellen und Tröten, wie es schon immer Sitte war?“

„Damit versetzen wir zwar alles Wild in weitem Umkreis in Furcht und Schrecken, aber nicht unbedingt unseren grauen Freund“, meinte der Rondrianer. „Doch ich finde Meister Wilbors Vorschlag gar nicht übel, wir sollten nur das Gebiet eingrenzen. Sagt, Ihr Herren, hat nicht der selige Gevatter Treupfeil den Wolf zum ersten Mal an einem Wasserlauf erblickt? Es scheint doch also ein Tier von Fleisch und Blut zu sein, das ebenso Herrn Efferds Naß bedarf wie jedes andere Geschöpf des Waldes. Allzu viele Tränken wird es hier am Wulfenstieg wohl nicht geben.“

„Und wenn das nichts hilft“, warf Lucrann von Auersbrück ein, „können wir noch einen saftigen Köder für den Wolf auslegen. Ein totes Reh, oder noch besser: eine Ziege im Wald anbinden und uns in der Nähe auf die Lauer legen.“

„Und ihm so seine eigene Blutgier zum Verhängnis machen“, stimmte der junge Bockzwingel mit eifrigem Nicken zu. „Da habt Ihr wirklich eine gute Idee, bester Lucrann. Mit Speck fängt man Mäuse, und um einen Wolf zu fangen...“

„...braucht man Wölfe, wie unser Herr Fürst so gerne zu sagen pflegt“, ergänzte Baron Kordan. „Auf jeden Fall denke ich, daß wir firungefällig zu Werke gehen sollten. Denn wer weiß, ob der Wolf nicht doch aus finsteren Domänen stammt – oder andererseits eine Prüfung des Weißen Herrn ist?“ Dem stimmten sie zu, und so beschloß man, anderntags die Ufer eines nahen Wildbachs auf Fährten zu untersuchen.

Kurz bevor sie sich dann zur wohlverdienten Ruhe legten, trat der Ritter von Auersbrück zu seinem ehemaligen Lehrherrn und nahm ihn beiseite. „Euer Hochgeboren“, sprach er, „wie ich schon zu Wengenholm bemerkte, herrscht zwischen Euch und Baron Kordan eine knisternde Spannung, deren Ursprung ich jedoch nur schlecht beschreiben kann. Hat er Euch beleidigt oder unangemessen behandelt?“ Doch der Vogt runzelte nur die Stirne als Antwort, und so setzte Lucrann hinzu: „Verzeiht, wenn ich Euch deswegen zu nahe trete, doch Ihr sollt nicht denken, daß ich Euch nicht mehr schätze als Mentor und Freund, wenn ich mit den Geistmärkern verkehre. Dieser Globerich scheint mir ein sehr netter junger Mann zu sein, zumal er in meinem Alter sein dürfte.“ Der Stolzenburg nickte nachdenklich, klopfte seinem früheren Knappen auf die Schulter und wünschte ihm boronseligen Schlaf, wonach er sich in sein Zelt zurückzog. Es ward stille, und Madas Antlitz alleine regierte den Himmel.