Wolfsjagd zu Wengenholm - Rückendeckung
„Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh, nicht hier alleine warten zu müssen“, sagte Metzel und blickte die beiden Ritter aus glänzenden Augen an. „Naja, ich hätte ja schon gerne geholfen, den Wolf zu erlegen, aber am Ende wäre ich den Herrschaften nur ein Hindernis gewesen und...“ Der Blick Lucranns ließ ihn in seinem Redefluß stocken. Er begriff, daß die beiden Ritter sich nur schwer damit abfanden, hier, sozusagen hinter den Linien, zu bleiben. „Aber vielleicht will der Schurke den guten Grafen auch überfallen, und dann sind zum Glück wir zur Stelle und können rechtzeitig eingreifen, und dann hat es auch etwas Gutes, daß wir warten müssen.
Nicht wahr?“ Globerich nickte. „Das mag schon sein. Lucrann, schaut doch nicht so griesgrämig drein, das hilft uns auch nicht weiter.“ „Ich hätte mit seiner Hochwohlgeboren gehen sollen, vor allen anderen!“ „Weil Ihr sein Vertrauen habt. Und eben deshalb sollt Ihr ihm den Rücken schützen, das hat er gesagt. Und darum wollen wir nun aus unserer Aufgabe das beste machen.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und schaute erstaunt nach rechts und links. „Ei, wo ist denn die alte Isgrimma? Eben war sie doch noch hier!“ Die anderen beiden wirbelten auf dem Absatz herum. „Sie ist verschwunden, verdammt!“ zischte Lucrann.
„Aber wohin?“ fragte Metzel und kratzte sich am Kopf. „Also, weit kann sie ja wohl kaum gekommen sein. Sollen wir sie suchen?“ „Ich glaube kaum, daß wir sie finden werden, wenn sie nicht will“, raunte Globerich. „Ihr seht, mein guter Lucrann, der Graf hatte durchaus recht.“ Seine Hand lag am Schwertgriff. „Meint Ihr, sie hat uns hintergangen?“ fragte Metzel. „Gute Götter, vielleicht stimmt ja die ganze Geschichte mit dem Walbrod gar nicht, und sie selbst... und wir haben auch noch die Pilzsuppe gegessen.“
Er war bleich geworden, aber Lucrann schüttelte den Kopf. „Nein, irgendwie glaube ich nicht, daß die Alte uns verraten hat.“ „Und woher wißt Ihr das?“ wollte Metzel wissen. „Das, mein junger Freund, kann ich dir auch nicht sagen.“ Sie schwiegen eine Weile ratlos, bis Metzel stöhnte: „Jetzt kommt auch noch Nebel auf.“ Und wirklich, den Wald durchzogen grauweiße Schwaden, die zusehends dichter wurden und die letzten Reste Tageslicht verschluckten. „Rondra mit uns“, murmelte Globerich. „Abendnebel... das muß nichts heißen“, sagte Lucrann wacker, doch seine Hand fuhr nun gleichfalls nach dem Heft des Schwertes. „Seid wachsam und lauscht!“ mahnte er. Sie horchten in die Stille, angespannt, zu allem bereit. Dann hörten sie den Ruf. Oder war es ein Schrei? Die Ritter zogen blank.
„Es kam von dort“, zischte Globerich und wies in die Richtung, in welche die Gefährten verschwunden waren. „Brauchen sie Hilfe? Was war das für ein Schrei?“ Mit einem Male ein helles Klingen, wie von Schwertstreichen. „Wir gehen!“ sagte Lucrann entschlossen und eilte voran. Metzel warf einen flüchtigen Blick auf die Tiere: „Aber die Pferde!“
Doch der Ritter von Auersbrück war schon ein paar Schritt voraus und pfiff seinen Hund Reto herbei. Der Junker von Bockzwingel folgte. Für einen Moment stand der Knappe ratlos da, dann zuckte er mit den Achseln und eilte den beiden Gestalten nach, die schon im Nebel zu verschwinden drohten.
Die weißen Schwaden waren undurchdringlich für den Blick, und die Ritter hatten das Bedürfnis, sich mit ihren Klingen einen Weg durch die feuchtweißen Schleier zu schneiden. Während sie in fahler Blindheit dahintappten und nur mit Mühe den Weg zu ihren Füßen erkennen konnten, verloren sie jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Einige Male war ihnen, als hörten sie abermals Stimmen, doch mochte auch bloß der Hall von den Felsen ihren genarrten Sinnen einen Streich spielen. Mit einem Male gabelte sich der Pfad. Lucrann stutzte, und sein Hund ging schnüffelnd und suchend ein paar Schritt in beide Richtungen und blieb doch unschlüssig.
Globerich ließ sich auf die Knie nieder untersuchte den Boden. Der harte, steinige Boden wies keine Spuren auf. Sie lauschten, doch alles war nun still. „Da vorne ist ein Licht – glaube ich“, sagte Metzel und deutete in die weiße Dunkelheit. Die andern beiden kniffen die Augen zusammen und spähten in die Richtung. Sie erkannten nichts. Dennoch beschlossen sie, zumindest ein Stück dem linken Pfad zu folgen, in der Hoffnung, daß die Gefährten ihn ebenfalls gewählt hatten.
Diese standen zu jenem Zeitpunkt am Eingang zu einem Talkessel, dessen volle Ausmaße sie im Nebeltreiben nicht erkennen konnten. Ritter Falk schob sein Schwert zurück in die Scheide und blickte verdutzt auf das Dornengesträuch, das sich mit einigen Ranken an seinem Mantel verfangen hatte und nun, zerschlagen und zerhauen, einen eher kläglichen Anblick bot. „Und ich hätte schwören können, da packt mich einer!“ murmelte er zerknirscht. „Vielleicht habt Ihr da gar nicht mal so unrecht“, bemerkte Wilbor Tannschlag und wies auf das an einigen Stellen übel traktierte Wams des Recken. „Entweder habt Ihr Euch höchst unglücklich darin verfangen...“
Er führte den Gedanken nicht weiter aus, sondern schlug ein Schutzzeichen. Der Graf brummte etwas Unwilliges und setzte sich wieder in Bewegung. Doch er kam nur wenige Schritt weit. Ein Laut ließ ihn zusammenfahren. Es war ein Heulen. Ein langgezogenes Heulen aus einer wilden, tiefen Kehle, ein Klagelied, das über Täler schwebt und Wälder, das emporsteigt zu Madas schimmerndem Auge, ein Warnruf und Locken, ein Werben um die Nacht, einWinseln aus der Verdammnis. Das Heulen eines Wolfes. Es kam von links aus der Höhe.
Dann tönte Antwort von der anderen Seite des Tales. Und aus Norden. Und Süden. Von ringsumher klang die wölfische Klage über Tal und Wald und bohrte sich in die Ohren und Geister der Lauschenden. König Kasimir knurrte, seine Nackenhaare sträubten sich, doch er schlug nicht an.
„Jetzt gilt’s“, raunte der Vogt von Albumin und griff seine Jagdwaffe fester. „Gütige Ifirn“, murmelte Meister Wilbor. Dann aber verstummte das Lied der Wölfe ebenso rasch, wie es begonnen hatte, und das Schweigen war nicht minder drückend und furchteinflößend. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Das zumindest“, sagte der Graf ruhig und entschlossen. Nur seine wandernden Blicke und das Pochen der Adern an den Schläfen verrieten, wie sein Blut in Wallung war. Sie bahnten sich ihren Weg durch den Nebel und drangen in das Tal ein.