Wolfsjagd zu Wengenholm - Die Erlebnisse des Ritter Lucrann II

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Wengenholm, 1023

„Das Wasser sprach zu Euch?“ fragte der Graf „Es mag seltsam klingen, Hochwohlgeboren“, meinte Lucrann etwas verlegen, „aber es war eine Stimme, fast wie von einem Menschen, nur irgendwie lispelnd, glucksend, manchmal wie eine Melodie. Die Stimme nannte mich bei meinem Namen und sagte, sie freue sich, daß ich endlich einmal gekommen sei. Und was für schöne rote Haare ich hätte.“

„Na, so was naseweises!“ wunderte sich Ritter Falk. „Und woher kannte Euch der Bach, hm?“ „Götter, ich weiß, wie lächerlich das klingen muß!“ stöhnte Lucrann. „Genau das habe ich auch gefragt, und da ertönte wieder dieses Lachen, die Stimme machte seltsame Andeutungen und meinte, wir Menschen hätten ja genug Aufsehens in den Wäldern und besonders an ihren Ufern gemacht, wie immer.“ „In der Tat, ein vorlautes Stimmchen“, grinste der Graf. „Aber bester Lucrann, wenn das nur ein Scherz ist, so habt Ihr uns nun genügend erheitert, finde ich. Was ist wirklich geschehen? Seid Ihr gestürzt und ward bewußtlos?“

„Meiner Treu! Herr Graf! Hochwohlgeboren! Ich halte Euch doch nicht zum Narren! So unglaublich das klingen mag – es ist doch die reine Wahrheit! Ich schwör’s bei den Zwölfen und allem, was mir heilig ist! Auf mein Schwert, meine Ritterehre, wenn’s nötig ist! Dies und nichts anderes ist geschehen, als ich in besagter Höhle war!“

Der Graf blickte seinen Ritter lange an und sprach dann langsam und in tiefem Ernst: „Ihr seid wirklich davon überzeugt. Und sollte nicht ein unerklärlicher Zauber Eure Sinne getrübt haben, dann muß es wohl stimmen. Fahrt bitte fort.“

„Nun denn. Die Stimme meinte daraufhin, sie könne mir raten, wie wir den Wolf finden würden. Ich fragte, ob sie wisse, welcher Art das Wesen sei. Sie lachte und meinte: ein Wolf ist ein Wolf, kein Mensch, doch manchmal ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. Um einen Wolf zu fangen, braucht es Wölfe, doch um einen Mensch zu fangen, Menschen. – Ja, genau das waren die Worte.“ „Also, da komm’ ich nicht mehr mit!“ gestand Falk. „Und ich finde es unerhört, daß sich eine hundsgewöhnliche Waldquelle so unverständlich ausdrückt! Ja, wenn es wenigstens der Große Fluß gewesen wäre...“

„Und was geschah weiter?“ fragte der Graf, ohne auf den kauzigen Recken zu achten. „Ich sagte, daß ich das Rätsel nicht verstehe. Da wurde die Stimme sehr ernst, soweit man das bei einer solchen Erscheinung sagen kann, und sprach: Menschen macht das Alter weiß und weise. In den Zeiten liegt die Frage, in den Jahren liegt die Antwort. Mehr hörte ich nicht – alles weitere war gewöhnliches Rauschen, wie es der Bach wohl schon seit vielen Götterläufen tut. So trat ich wieder ans Tageslicht – und finde Euch am Ufer stehn, und es ist Abend. Obgleich ich nach meinem Empfinden doch nicht einmal ein Viertel Stundenmaß in der Grotte zugebracht habe!“

Der Rondrianer blickte ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an: „Bester Lucrann, entweder seid Ihr völlig von Sinnen, was ich keineswegs glaube, oder Ihr habt eine besondere Offenbarung gehabt – ob göttlicher oder anderer Natur, das mag ich noch nicht zu sagen.“ Der Auersbrücker nickte bedächtig. „Da mögt Ihr recht haben. Ich verstehe nur nicht, warum Globerich nicht auch die Höhle gesehen hat, in der ich war. Ich hätte nicht übel Lust, noch einmal hinabzusteigen und dem auf den Grund zu gehen.“

„Das könnten wir tun“, entgegnete der Graf, „und vielleicht gäbe es uns Antwort auf die entscheidende Frage: War das alles nur ein Traum, vielleicht der Schabernack eines Waldgeistes, der uns in die Irre führen will; oder wurde Euch da ein wichtiger Hinweis zuteil, den wir beachten sollten? Ihr Herren, Ihr seht mich verwirrt. Schlachtenlärm und der Zwist gekrönter Häupter sind Dinge, worin ein Graf bewandert sein muß – doch wenn die Wildbäche in unverständlichen Rätseln sprechen, weiß ein gerader koscher Geist sich nicht zu helfen.“

Aber der Graf sollte keine rasche Antwort erhalten. Denn als sie sich noch einmal dem Wasserfall näherten, fanden sie dahinter nur Felsen und Stein, doch keine Höhle, in der ein Ritter hätte verschwinden können, und nichts, das größer war als ein Schlupfloch für Wasserratten. So ließ man sich enttäuscht, aber nicht wirklich überrascht am Ufer nieder, während das Wasser mit munterem Rauschen an ihnen vorbei über die blankgespülten Steine schoß.

„Ach, weiß der Hanghas“, sagte Vogt Gelphart mürrisch, „wenn’s Graubolde, Valpodinger oder Schrate wären, ja selbst der Rabbatzmann ... aber eine sprechende Quelle ist mir noch nicht untergekommen.

Auf jeden Fall weiß ich nicht, was das Rätsel zu bedeuten hat.“ „Au weh, das hab’ ich die ganze Zeit befürchtet“, seufzte Ritter Falk mit einem Male aus dem Hintergrund, daß die andern überrascht herumfuhren. Der kauzige Ritter wiegte seinen Kopf und meinte: „Na, wenn man einen Wolf mit Wölfen fängt – da hätten wir den Edlen Wolfhardt mitnehmen sollen! Der wäre auch gleich auf solche Wortspielereien gekommen.“

Es entstand eine verdutzte Pause, in die sich der Knappe des Siebentalers, der junge Metzel, zaghaft einmischte: „Ihr Herren, darf ich was sagen?“ Und als der Graf ihm freundlich zunickte, fuhr er langsam fort: „Ich bin ja nicht so erfahren und klug wie Ihr ... aber kann das Rätsel denn nicht meinen, daß wir uns firungefällig in die Gedanken des Wolfes hineinversetzen sollen? Vielleicht sogar mit einem Wolfsruf bei Nacht anlocken?“ „Also, das...“, begann Ritter Falk.

„...ist gar nicht einmal so verkehrt gedacht“, fuhr Baron Kordan dazwischen, und Metzel strahlte. „Bleibt aber dennoch die Frage, wie der Graue alle unsere Köder wegschnappen konnte“, warf der Rondrianer ein, und Wilbor der Jäger pflichtete ihm bei. Das sei schon höchst merkwürdig, meinte er, und vielleicht war an den Gerüchten über die Underischkeit des Wolfes doch etwas dran. Die Stirne des Waidmanns blieb von nun an in nachdenklichen und besorgten Falten.

„Was grämt Ihr Euch?“ gab der Stolzenburger mit munterer Stimme zurück, „der Wulfenstieg war doch die rechte Wahl – im Borrewald hätten wir die Beute vergebens gesucht, Ihr Herren. Ist der alte Bursche uns auch entwischt und gewitzt obendrein, so ist er doch aus Fleisch und Blut, sonst hätt’ er sich die Köder nicht geholt.“

„Wenn man es so sieht, Vogt“, meinte Jallik von Wengenholm. „Es ist ja alte Koschersitte, das Gute einer Sache zu betonen, nicht wahr?“

„Euer stolzer Herr Vater hat es immer so gehalten, mein Graf. Zudem war er ein begnadeter Jäger.“ „Und er hat keinen Fehler ein zweites Mal gemacht, wie Ihr Euch erinnern werdet“, entgegnete der Geistmärker. „Wir sollten also unsere Taktik ändern, nachdem der Wolf offensichtlich nicht auf die gewöhnlichen Mittel hereinfiel.“ „Ihr wollt doch nicht so schnell aufgeben, Herr von Sighelms Halm? Ist das in der Seegrafschaft Sitte?“ gab der Albuminer pfeilschnell und spitz zur Antwort.

Kordans Augen blitzten auf, aber bevor er etwas erwidern konnte, hob der Graf von Wengenholm die Hand. „Kein Streit, Ihr Herren! Die Wölfe jagen einträchtig im Rudel, und das beschert ihnen den großen Erfolg. Also wollen wir’s ebenso halten, nicht wahr?“

Die andern nickten schweigend. Dann meinte Seine Gnaden Lucardus in die Stille: „Die Quelle hat doch gesagt, ein Wolf ist ein Wolf – und wenn wir das wörtlich nehmen, heißt es wohl, wir haben es in der Tat mit einem Wesen aus Fleisch und Blut zu tun. Also würde ich nach wie vor an unserem Plan mit den Wasserstellen festhalten. Auf seine Spur sind wir ja dadurch immerhin schon gestoßen.“ „Mich wundert nur, daß wir sie verloren haben“, grübelte Wilbor Tannschlag. „Selbst wenn der Wolf sich einen Bach zunutze macht, um seine Fährte und Witterung zu verwischen – irgendwann muß er ja wieder heraus, vielleicht einige hundert Schritt stromab. Oder“, und sein Gesicht hellte sich bei dem Gedanken auf, „der Bursche war so gerissen, daß er den Bach gar nicht überquert, sondern ihn auf derselben Seite wieder verlassen hat! Und wir haben nur das jenseitige Ufer nach Spuren untersucht. Bei Ifirns Gletschern, das haben wir ja gar nicht bedacht. Allmählich bekomme ich Respekt vor dem Grauen.“

„Dann wissen wir ja, was wir zu tun haben“, sprach der Graf mit neuem Mut. „Aber für heute entzieht uns der Götterfürst bald sein helles Licht. Wir sollten zunächst ins Lager zurückkehren und uns stärken. Morgen werden wir beim ersten grauen Streifen Licht die Fährte nochmals aufnehmen und den Bach in seiner Länge untersuchen. Wenn in der Tjoste die erste Lanze bricht, nimmt man die nächste.“

„Hochwohlgeboren“, wandte sich der junge Globerich an den Grafen. „Ich hätte da noch einen Vorschlag zu machen. So vieler Jäger bedarf’s bei der Spurensuche ja nicht. Da könnten doch Ritter Lucrann und ich uns auf die Suche nach den Wilderern machen. Schießlich wäre es gefährlich, wenn uns die Kerle bei der Jagd in die Quere kämen.“ „Da hat Globerich recht“, nickte der Rondrianer. „Und ich würde die beiden gerne begleiten.“ Graf Jallik nickte, und Lucrann von Auersbrück reichte dem Geweihten die Hand: „Es ist mir eine Freude. Und ich werde mich bemühen, nicht wieder in irgendwelchen Höhlen zu verschwinden“, fügte er lächelnd hinzu.

So ritten sie einträchtig zum Lager, doch der Geistmärker warf Vogt Gelphart so manchen finstren Blick zu.