Wolfsjagd zu Wengenholm - Pilzsuche II

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Wengenholm, 1023

„Ist recht“, nickte der Graf, „und während des Mahles wollen doch die andern Herren von ihren Erlebnissen berichten – auch wenn sie keinen zur Strecke gebrachten Wolf zum Inhalt haben werden.“ „Das nun nicht“, sagte Baron Kordan und schüttelte den Kopf, „aber doch etwas, das Euch gewiß interessieren wird.“ Er kostete von der Pilzsuppe, die ihm eben in einem Holzschälchen gereicht wurde und ganz verführerisch duftete. „Vorzüglich, fürwahr. Falk Barborn hätte sich der Kochkunst widmen sollen, nicht dem Waffenhandwerk. --- Doch zu uns: Nach einigen Meilen gaben die Hunde Laut und zogen uns zu einer Mulde, von Büschen und Sträuchern verborgen. Zunächst sahen wir nichts Verdächtiges, doch als sich die Tiere gar nicht beruhigen wollten, schauten wir nach und erkannten, daß die Mulde mit Gräsern, Laub und Zweigen bedeckt war und an ihrem Grunde ein toter Rehbock lag.“ „Doch nicht vom Wolf erlegt und dort verscharrt?“ wunderte sich der Graf. „Nur, wenn Wölfe neuerdings mit Pfeil und Bogen umzugehen wissen. In dem Kadaver staken drei Pfeile, der erste im Hinterlauf, der zweite im Rücken, der dritte endlich im Hals. Ein schlechtes Waidwerk, wohl kaum von kundiger Hand, auch waren die Pfeile schlicht gefertigt, nicht die von Jägern oder Edelleuten.“

„Es wird Euch nicht gefallen, Hochwohlgeboren, aber in Eurem Wald hat’s Wilderer“, erklärte Lucrann von Auersbrück. „Allerdings müssen es nicht Waldbauern aus einem der Höfe in der Gegend gewesen sein. Die Spuren, die wir in der Nähe fanden, können genausogut von Söldlingen oder Herumtreibern stammen, die ebenfalls dem Wolf auf der Spur sind und eine andere Beute gefunden haben. „Ja, warum aber haben sie dann das Tier nicht mitgenommen?“ fragte der Vogt. „Weil sie uns hörten, wahrscheinlich die Hunde. Da haben sie das Reh rasch zugedeckt in der Hoffnung, es später holen zu können.“

„Das gefällt mir nicht“, murmelte der Graf, „Wilderer, schön und gut. Aber wenn’s Söldlinge sind, oder Räuber ... der Jergenquell gar!“

„Nun malt nicht den Namenlosen an die Wand!“ beteuerte Auersbrück. „Vielleicht waren’s ja doch nur Bergbauern, die sich ein unrechtmäßiges Zubrot verdienen wollen. Wenn Ihr es wünscht, kann ich mit ein paar Knechten zu den Höfen in der Nähe reiten, um nachzuschauen. Die Pfeile mögen zwar, wie der Baron sagt, von minderer Machart gewesen sein, aber sie haben eine auffallende Fiederung, die den Schützen verraten wird.“

„Es ist ja schön und gut, wenn wir die herrschaftlichen Jagdrechte bewahren, aber im Moment sollten wir doch lieber unsere Zeit darauf verwenden, den Wolf zu fangen“, warf der Vogt von Albumin ein. „Und ich sehe nicht ganz, inwiefern uns dieser Wilderer dabei helfen könnte. Oder meint Ihr, er habe auf seinen Streifzügen den Wolf gesehen?“

„Nein, das nicht“, entgegnete der junge Hausritter. „Aber ich habe mittlerweile den Verdacht, daß der Wolf vielleicht gar nicht für alle Opfer verantwortlich ist, sondern daß da jemand die Gerüchte um die Bestie nutzt, um seine Wilderei zu verbergen.“ „Aber es waren doch vornehmlich Rinder und Schafe, die gerissen wurden!“ widersprach Globerich und blinzelte.

„Nun, warum viele Stunden im Wald auf die Pirsch gehen, wenn man sich von Nachbars Weide bedienen kann, ohne dafür verdächtigt zu werden?“ hakte Lucrann listig nach. „Also, das ist weder göttergefällig noch koscher“, bemerkte der Graf, „und ich hoffe, bester Lucrann, daß Ihr Unrecht habt. Lieber wär’s mir, den Wolf als Schuldigen zu finden, und sei er auch den Niederhöllen entsprungen, als solche Arglist und Zwietracht bei meinen Untertanen zu finden.“ „Euer Wort in der Zwölfe Ohr!“ bekräftigte der Geweihte der Leuin, und die andern nickten zustimmend.

„So sei es denn, Lucrann: reitet Ihr morgen zu den Höfen im Umkreis – es sind nur wenige, soviel ich weiß; wir werden indessen versuchen, den Wolf mit einem Leckerbissen zu ködern.“ „Doch nicht die gute Pilzsuppe!“ rief Ritter Falk erschrocken und hätte sich um ein Haar an einem dampfenden Elfenschößling die Zunge verbrannt. „Seid unbesorgt, Ritter, wir werden das gewilderte Reh nehmen. Damit soll aus dem Rechtsbruch doch noch Segen erwachsen.“

„Dann ist’s ja gut“, brummte Falk Barborn und genehmigte sich vor lauter Erleichterung einen großen Nachschlag des herrlichen Mahles.

„Ihr Herren, da wir heute schon so viele wunderliche Geschichten gehört haben, hätte ich ja auch noch eine zum besten zu geben“, bemerkte Wilbor Tannschlag in die entstandene Stille. Der Graf nickte: „Nur zu, und selbst, wenn’s Jägerbosparano ist.“ „Na, das nun nicht gerade. Aber vor einigen Monden haben wir in Greifenhorst auch mal einen seltsamen Vorfall gehabt. Eines Abends ist der alte Gersam, auch ein Jagdaufseher, beim Herrn Baron erschienen.

Ganz aufgeregt war er, ist direkt vom Greifensee gekommen, einem fischreichen Weiher, der mitten im Wald liegt. Er erzählte schnaufend, die Fische lägen alle tot am Ufer. Ein paar von der Garde, und ich auch, sind mit ihm am nächsten Morgen los. Wir haben uns das angesehen, aber keine Spuren gefunden – nur die Fische eben, die wie gesagt tot am Strand lagen. Das waren recht viele, müßt Ihr wissen; und bis heute hat niemand herausgefunden, was da geschehen ist. Das war schon seltsam...“

„Schade“, sagte Globerich von Bockzwingel. „Ich hätte gerne gewußt, was dahinter steckt. Die Welt ist so voller Geheimnisse.“

„Da habt Ihr recht, junger Freund“, erwiderte Lucardus von Hirschingen und lächelte wissend. „Und manchmal ist es sogar der Wille der Götter, daß ihre Diener nicht alles wissen und erfahren.“ „Manchmal, aber den Wolf werden wir stellen“, schnaubte Graf Jallik und warf ein Stück Holz in die Flammen. „Und ich bin sicher, sein grauer Pelz wird sich herrlich im Rittersaal der Angenburg machen.“

„Oder in der Halle Firuns“, schlug Kordan von Sighelms Halm vor. „Na, jetzt verkauft nicht die Haut des Bären, bevor Ihr ihn habt. Des Wolfes, mein’ ich“, mahnte Gelphart von Stolzenburg. „Mit Verlaub, Hochwohlgeboren.“ „Schon recht, Vogt. Aber mich ärgert’s, daß wir nicht die kleinste Fährte entdeckt haben. Das kann Tage dauern, und nach dem großen Prunk und Pomp von Trallop ergreift einen um so schneller die Langeweile.“

„Dem sollten wir vielleicht durch ein Liedchen Abhilfe schaffen. Wozu haben wir einen Spielmann im Gefolge. Er soll sich sein Essen wohl verdienen“, schlug Ritter Lucrann vor. Man schickte nach dem Spielmann, der beim Gesinde Platz genommen hatte; er kam in Strümpfen und auf Zehenspitzen, die Stiefel hatte er schon ausgezogen; die Laute hing ihm über die Schulter, in der Linken hielt er noch einen Kanten Brot, an dessen vorletztem Bissen er eilig kaute. „Die Herrschaften wünschen?“

„Was wohl, von einem Barden: daß er Handstand macht“, meinte Baron Kordan ironisch. Der Spielmann sah ihn mit großen Augen an.

„Törichter Mensch, ist er so auf den Kopf gefallen? Ein Lied soll er uns spielen!“ Der Barde schluckte erleichtert die Brotkrümel herunter und griff nach der Laute. „Habt Ihr einen besonderen Wunsch?“

„Das überlassen wir seiner Wahl – wie ja auch bei den Mägden, wenn mich nicht alles täuscht“, sagte der Graf und spähte hinüber zu der braungelockten Treiberin, bei welcher der Spielmann vorhin gesessen hatte. „Nun mach’ er nicht wieder Augen – wir wissen recht wohl, wie’s in der Welt zugeht. Aber nun greif er beherzt in die Saiten, daß man’s klingen hört!“ Der Jünger Torbenias tat’s, und die ersten Akkorde stiegen mit dem Knistern der Flammen alveranwärts.

Dann mischte sich sein Gesang zu den silbernen Tönen der Saiten: Wenn abends steigt Frau Mada aus den Tannen, Dann klingen Flöten durch die stille Nacht. Das frohe Feuer soll die Kälte bannen, Gemeinsam halten Hirten heute Wacht. Und im Gehege drängen sich die Schafe, Ihr Blöken mischt sich fern in unsern Sang. Schenkt voll die Becher, widersteht dem Schlafe, Die Nacht ist dunkel, kalt und lang, so lang. Vom Himmel funkeln tausend helle Sterne, Der Wolf heult heiser aus dem Nachbartal. Wir blicken träumend in die weite Ferne, So saßen Hirten hier schon viele Mal. „Sehr schön!“ klatschten die Edlen Beifall.

„Ist das eine tobrische Weise?“ fragte Globerich den Sänger, „wegen der Schafe, mein ich.“ „Herr, Schafe hat’s überall, aber ich glaube, das Lied stammt aus den Gratenfelser Landen – doch hörte ich’s auch schon bei den Wengenholmern.“ „Na, wenigstens unsere Hirten sind einträchtig, wenn’s die Herren schon nicht waren“, bemerkte der Graf. „Aber auch das hat sich ja nun geändert.“ „Im Grunde müßt Ihr dem Jergenqueller doch dankbar sein, Hochwohlgeboren“, bemerkte Vogt Stolzenburg grinsend.

„Wie das?“ „Nun, durch seine Schurkerei seid Ihr zum Freund und Retter des Gratenfelsers geworden, nicht wahr?“

„So gesehen!“ lachte der Graf. „Aber trotzdem wird er eines Tages hangen, und zwar am höchsten Galgen! Doch nun genug der unerquicklichen Themen, ihr Herren. Der Tag geht bald zur Neige, und morgen gibt es viel zu tun. Ich zumindest werde mich zur Ruh’ begeben und wünsche Euch allen einen guten --- was war das?“

„Was war?“ „Ein Laut!“ „Dort!“ „Im Gebüsch!“ „Der Wolf?“ „Nein, Hufschlag!“ „Die Wilderer?“ „Ein Überfall!“

Sie waren aufgesprungen, die Hände lagen an den Griffen ihrer Schwerter. Das Strauchwerk teilte sich, die Klingen glitten aus den Scheiden. „Endlich hab’ ich Euch gefunden, Ritter Falk! Ich sehe schon, Ihr wolltet erkunden, wie weit ich schon in der Lage bin, alleine Eure Spur zu verfolgen, als ihr mich alleine in der Herberge vor Burg Wengenholm zurückließt...“

Sie alle blickten verdutzt auf die kleine, schwitzende und keuchende Gestalt, die dort aus dem Tannicht trat: ein etwas dicklicher Knabe von nicht mehr denn einem Dutzend Sommern, der nun doch etwas verwirrt auf die Schwerterspitzen vor ihm glotzte.

Falk blickte seinen Knappen – denn um diesen handelte es sich – mit großen Augen an, kratzte sich Kinn, Schläfe und Nacken, durchbohrte dann mit dem Zeigefinger der Rechten die Lüfte und posaunte kühn: „Äh, ganz recht, Metzel, ganz recht. Und prächtig gemacht, das ganze, jawoll.“ „Ritter, würdet Ihr uns erklären...?“ fragte der Graf.

„Na, freilich doch! Das hier ist mein tüchtiger Knappe, der Metzel von Uztrutz, der Enkel vom wackeren Baron Ontho, wie Ihr sicher wißt“, erklärte Falk und deutete auf den Burschen, als stünden noch Dutzende andere Knaben umher, mit denen man ihn hätte verwechseln können. „Ich habe ihn nämlich vor Wengenholm verg... zurückgelassen, damit er sich ein bißchen alleine zurecht findet.“ Die Recken nickten dem Edelknaben aus dem Schetzeneck freundlich zu und führten ihn in ihre Mitte, boten ihm Speise und Trank an und fragten ihn, wie er den Weg hierher gefunden habe. Alleine bei Nacht durch den Wald, das war beileibe nichts für einen zaghaften Jungen wie ihn, und heilfroh sei er gewesen, als er endlich den hellen Schein des Feuers durch die Bäume hatte lodern sehen. „Da dachte ich mir, und wenn’s auch Räuber sind, ich geh’ doch hin.“ „Ganz recht, immer mutig!“ lobte Ritter Falk. „So war ich auch in meiner Jugend. Aber die ist schon ein paar Jährchen her, und darum braucht der gute Falk jetzt seinen Schlummer“, fügte er gähnend hinzu. Man nahm das als allgemeines Zeichen.