Wolfsjagd zu Wengenholm - Der Weg zum Ziel

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Wengenholm, 1023

„Fürwahr, diese Jagd ist das seltsamste, das ich seit langem erlebt habe“, murmelte der Vogt von Albumin, während sie hinauf zu ihren Rössern stiegen, die schon voller Ungeduld schnaubten. Gerade hatten die Jäger sich zum Aufbruch bereitet, als Isgrimma zu ihnen trat. Die Alte trug nun einen Mantel in Waldestönen, und wie sie vor dem Blattwerk der Sträucher stand, erkannte man nicht mehr als ihr schlohweißes Haar. In der Hand hielt sie einen wundervoll geschnitzten Stecken, und ein kleiner Lederbeutel hing an ihrem Gürtel. „Es ist Zeit, Ihr Herren. Bitte folgt mir.“

Damit schritt sie voran, und die Ritter folgten ihr. Der Waldpfad, der sie aufnahm, war schmal und voller Wurzeln, so daß man ohnehin nicht reiten konnte. Dennoch wollten sie die Pferde nicht missen, denn wer konnte schon sagen, ob man sie nicht für eine rasche Verfolgung brauchen würde – von Flucht sprach freilich keiner.

Während des Marsches bedachten sie das weitere Vorgehen. Der Geweihte Lucardus wollte, wie nicht anders zu erwarten, dem finstern Walbrod offen gegenübertreten.

„Das ist redlich und mutig“, stimmte ihm der Geistmärker zu, „doch nach den Worten der Alten halte ich Walbrod für einen mächtigen Hexer – gegen den die Gebote des ehrlichen Zweikampfes nicht gelten müssen. Es wäre das beste, ihn zu überraschen, bevor er zahlreiche Wölfe in seinen Bann gezogen hat und auf uns hetzt. Denn das gäbe ein dem Herren Firun höchst ungefälliges Gemetzel...“ Dies war nun nicht von der Hand zu weisen, doch geboten es Ehre und Würde des Grafen, sich einem solchen Friedensbrecher offen entgegenzustellen.

„Ganz abgesehen davon“, warf Vogt Stolzenburg ein, „kennt er das Gelände wohl recht gut und ist im Wald zuhaus’ – da wird es schwer werden, ihn zu überlisten. Vertrauen wir auf Kraft und Mut – und den Beistand der Götter.“

Und mit diesem Vorsatze harrten sie der Dinge, die da kommen mochten. Während ihrer Wanderung durch den heimlichen Tann fand sich Globerich bald an der Seite der seltsamen Isgrimma, die ihm einmal so vertraut wie ein gutes Mütterchen erschien und dann wieder fremd und ungeheuer wie eine Gestalt aus den alten Mären.

„Sag an, Mütterchen, was meintest du doch vorhin wohl mit deinen Worten, du wachest über den Wald?“ fragte er und bemerkte nicht, daß der Baron Kordan, der hinter ihm ging, ihm darob einen finstern Blick zuwarf.

Isgrimma lächelte milde. „Junger Herr“, erwiderte sie, „ich habe Augen zu sehen und Ohren zu hören, was in diesen Wäldern vor sich geht. Ich lausche auf das Rauschen des Windes in den Blättern, und sie geben mir Kunde von fernen Orten, und ich weiß die Sprache der Tiere und ihre Zeichen zu deuten.“ „Die Sprache der Tiere? So läßt sich’s mit den Hanghasen reden?“ fragte Globerich verwundert. „Und was sagen die?“

Die Alte lachte leise. „Ein Hanghase weiß zu sagen, was das Leben eines Hanghasen ausmacht. Das Wachsen der saftigen Kräuter, das Nahen des listigen Marders, die grimme Kälte, die Geborgenheit im Bau, das weiche Fell und der Duft der Häsinnen...“

„Und was sagt dir der Wind?“ erklang eine Stimme von der andern Seite. Ritter Lucrann hatte seinen Schritt beschleunigt und war zu den beiden Vorangehenden aufgeschlossen. Das Waldweib lauschte in das Wehen des Nordosts, der die Wipfel und Zweige schwanken machte und Vogelstimmen und andere Laute mischte.

„Er sagt mir, daß wir keine Zeit zu verlieren haben. Walbrod ist nicht mehr fern.“ „Aber wie kannst du das wissen? Es ist doch nur Wind, und man hört nicht Schritte noch Worte!“ rief Globerich aus. Doch das Waldweib hob die Hand. „Junger Herr, ich bitte Euch, schweigt nun stille. Nicht nur mir trägt der Wind Botschaften zu.“

Da rief ein Eichelhäher aus den Wipfeln, es klang weithin durch Firuns Halle. Dann war Schweigen, und selbst der Wind schien sich mit einem Male gelegt zu haben. Die Bäume standen eng zusammen und machten den Wildpfad zum Hohlweg, den kaum ein Strahl aus Praios Auge mehr streifte. Sie kamen an einem großen Felsen vorüber, der aus der Erde ragte, von Moosen und Flechten bewachsen, wie ein Denkmal aus längst versunkenen Zeiten, dessen Sinn ebenso vergessen ist wie seine Erbauer. Doch es war nur der erste, der dort stand – wie ein Vorposten, ein eherner schlafloser trutziger Wächter.

Der Pfad stieg an, das Land wurde felsiger, der Boden war bedeckt vom Laub vieler Jahre, das unter den Füßen und Hufen raschelte wie die schwarzgoldenen Seiten von Satinavs Buch, in das er den Weltenlauf mit unermüdlicher Feder schreibt. Ansonsten war kein Laut in den Lüften, nicht vom Winde, nicht von Vögeln, im Gehölze schwieg es gleichsam, wo sonst doch munter der Eichhörner Schar die Nüsse und Eckern vom Boden zu sammeln pflegte. Die Jäger waren schweigsamer geworden, je weiter sie der Pfad führte, und nun verstummten ihre Gespräche ganz.

Zwei Felsen ragten zur Rechten und Linken des Weges auf, grau, zerfurcht von Hitze, Frost und Regen. „Wie ein Tor“, flüsterte Lucardus von Hirschingen und betrachtete die viele Manneslängen aufragenden Monolithen mit einer Mischung von Schaudern und Ehrfurcht. Dahinter schien der Pfad allmählich abzufallen und in eine Senke zu führen, vielleicht ein enges Tal, von hochaufragenden Felswänden umgeben.

Die Alte war stehengeblieben und wandte sich nun ihren Begleitern zu. „Von hier an müßt Ihr nun alleine weiter gehen. Ich kann Euch nicht mehr begleiten.“ „Warum denn nicht“, wollte der Knappe Metzel gerade fragen, doch die ernsten Blicke der andern hielten ihn davon ab. Die Zeit der Fragen war vorüber.

„Wir sollten uns aufteilen“, schlug Baron Kordan vor. „Jemand muß hier bei den Pferden bleiben...“ „Das könnte ich ja machen“, sagte Metzel von Uztrutz. „Aber nicht alleine“, bestimmte der Graf. „Auersbrück...“

„Hochwohlgeboren?“ fragte der Genannte und blinzelte verwundert. „Ihr meint doch nicht, daß ich hier bei den Pferden...? Mein Platz ist an Eurer Seite, Herr, um Euer Leben zu beschützen und Euch zu dienen und...“

„Bester Lucrann“, sagte der Graf milde. „Niemand zweifelt an Eurer Treue und Tapferkeit. Doch die Treue gebietet’s, daß Ihr meinem Befehl folgt und hier wartet. Denn wenn es gegen einen Feind voller Heimtücke geht, ist die verletzlichste Stelle eines Kriegers in seinem Rücken. Haltet hier Wache, daß niemand uns überrascht. Sollten wir in eine Falle geraten, könnt Ihr uns noch immer zu Hilfe eilen oder davonreiten, um Verstärkung zu holen.“

Lucrann von Auersbrück sah ihn schweigend an, dann senkte er das Haupt mit der rotbraunen Lockenmähne und sagte: „Gewiß, wie Ihr es wünscht. Verlaßt Euch auf mich.“ „Und wir würden gerne den jungen Globerich von Bockzwingel an Eurer Seite wissen“, fuhr der Wengenholmer fort. Baron Kordan stimmte zu.

Den Siebentaler auf diesen Posten zu stellen, versuchten sie nicht erst, denn der kauzige Recke murmelte bereits etwas von Wolfspack und Fellen über die Ohren ziehen und schaute dabei so grimmig und entschlossen drein, daß ihn nicht einmal ein ausgewachsener Drache würde abgehalten haben. „Nun wird es ernst“, sagte der Graf. „Meister Tannschlag, wir wollen uns Eurer Führung und Eurem Wissen anvertrauen.“

Der Waidmann nickte. „Lieber würde ich mit bloßen Fäusten gegen einen Bären kämpfen, als gegen einen Schwarzkünstler ziehen. Doch es muß wohl einmal sein, denke ich.“ So sprach er leise vor sich hin, überprüfte nochmals seinen Bogen und das scharf gewetzte Messer. Dann wählte er aus dem Köcher drei gefiederte Pfeile aus, die stärksten und besten. „Die sind für euch, grauer Wolf und schwarzer Walbrod.“

Schweres Gewölk bedeckte den abendlichen Himmel, und weder Stern noch Sonne verrieten die Himmelsrichtung. So ließ er sich auf die Knie nieder in jene Richtung, wo er den Norden vermutete, ergriff ein kleines Firunsamulett an seinem Halse und versank ins Gebet. Die übrigen taten’s ihm gleich.

„Gestrenger Herr Firun“, so sprach er leise, „ich will die Gesetze der Jagd ehren und achten, kein Wild leiden lassen. Gib mir und den anderen die Kraft, den Mut und den Willen, heute den irregeleiteten Wolf und jenen Frevler zu stellen, der deinem Willen zuwiderhandelt. Es gilt, Unheil abzuwehren, das mannigfaltig die Menschen hier heimsuchen wird. Herr Firun, ich bitte dich, schütze uns auf dieser Jagd.“

Nach diesen Worten blieben sie noch eine Weile schweigend auf der herb duftenden Walderde knien und lauschten in die Stille des Forstes.

Bevor sie sich trennten, reichte Wilbor der alten Isgrimma noch einen kleinen Schlauch, gefüllt mit dem Schwarzberger Praioströpfchen.

„Gute Frau, hab dank für deinen Rat, und das traviagefällige Mahl. Ich möchte dir dafür diesen Weinschlauch geben, als Geschenk. Ein guter Greifenhorster Wein, der den Gaumen erfreuen wird an den langen Winterabenden hier in den Bergen...“

Dann brachen sie auf. Voran ging Wilbor, den Bogen gespannt, mit wachem Blick. Nach ihm der Vogt von Albumin mit seinem Jagdhund König Kasimir. Es folgten ihnen auf dem Fuße der Graf und der Geweihte der Göttin. Ritter Falk und der ernste Kordan von Geistmark bildeten den Abschluß. Vor der ersten Wegbiegung drehte sich der Baron noch einmal um und hob grüßend die Hand: „Firun mit Euch. Und uns allen...“ Dann waren sie außer Sicht.