Rettet die Prinzessin!

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Ausgabe Nummer 55 - Rondra 1035 BF

Rettet die Prinzessin!

Wie ein Drachentöter nur Undank erntete


OBERANGBAR. Undank ist der Welt Lohn, heißt es im Sprichwort, und fürwahr: Während manch einer als Orkentöter oder Riesenbezwinger gefeiert wird, muss ein anderer, obwohl er einen Drachen zur Strecke gebracht hat, Schmähungen und Gelächter erdulden. Solcherlei trug sich im ansonsten so beschaulichen Orte Oberangbar zu, wo des öfteren reisende Barden und Schausteller zu Gast sind, wissen sie doch, dass der Baron Wolfhardt von der Wiesen gute Kunst (aber nur solche) zu schätzen und zu lohnen weiß.

So hatte sich in der Mitte des Rahjamondes eine Gruppe Fahrender in der Baronie eingefunden, die auf dem Wege gen Greifenfurt waren, nun aber in einem Gasthofe am Rande der Stadt ihre Bühne aufschlugen. Am Vormittage schon war der bunte Zug mit Schellen, Pfeifen, Trommeln und all dem Mummenschanz durch die Gassen gezogen und hatte eifrig die Neugierde zu wecken verstanden; und so strömte nach dem Tagewerk zahlreich das Volk zusammen, um Die Holde und das Ungetier – Ein Bühnen-Stück in fünf Aufzügen frei nach einem wahrhaftigen Ereignis aus dem Almadanischen zu sehen. Schon waren die Reihen dicht gefüllt, schon hatte man sich mit Bier und Zuckerzeug, mit Semmeln und Würsten gut versorgt und harrte unter gespanntem Gemurmel der Dinge, sie da kommen würden. Der Vorhang, den man quer über den schmalen Innenhof gespannt hatte, wurde aufgezogen, und vor den Augen der Zuschauer entspann sich eine gar rührende Szene, als der almadanische Ritter Don Alricio von der bildschönen Edeldame Dulcessa Abschied nahm, da er – ach! – den Koscher Nachbarn im Kampfe wider die Orken helfen müsse.

„Schön wär’s!“, ertönte da eine Stimme aus dem Publikum, und: „Als ob wir die Almadaner dafür bräuchten!“ – „Still doch! Sie meinen’s ja nur gut!“, forderte ein dritter Ruhe.

Der fesche Don in seiner blankpolierten Rüstung auf der Bühne verneigte sich kurz gegen das Publikum, um dann endgültig Abschied von seiner Donna zu nehmen, freilich nicht ohne ein mit Rosen besticktes Seidentüchlein als Pfand zu empfangen. „So ein Kitsch“, brummelte da eingraubärtiger Töpfermeister, ward aber von seiner Schwester und ihren Nichten durch ein deutliches „Scht!“ zum Schweigen gebracht. Derweil entfernte sich Don Alricio im Galopp vom Schlosse seiner Angebeten, wobei ein im Hintergrund verborgener Komparse das Pferdegetrappel kunstvoll mit den Schalen zweier Brabaker Palmnüsse nachahmte.

Während nun die liebliche Dulcessa gedankenverloren in den aufgehenden Mond blickte, der wirklich als große rote Scheibe am Bühnenhimmel erschien und einige „Ahs“ und „Ohs“ hervorrief, näherte sich die Gefahr: Ein leibhaftiger Drache (natürlich nicht ganz so leibhaftig, doch recht gefällig von zwei Schaustellern unter einem grünen Tuche mit weit ausladenden Schwingen und großem Pappmachékopfe verkörpert) – ein leibhaftiger Drache kroch heran, um (wie nicht besser von dem Schuppengezücht zu erwarten) die Prinzessin zu entführen.

Habt Acht, Dulcessa!“, entfuhr es einem erschreckten Lehrburschen aus dem Publikum, den die Handlung mit sich fortgerissen hatte. Doch zu spät! Schon war das Untier heran, eine Flucht unmöglich, das Unheil musste seinen Lauf nehmen, wenn nicht ein wackerer Ritter kam, um die Holde aus der Not zu reißen. Und dieser Ritter kam! Doch war es keineswegs der fesche Don, denn dieser kämpfte derweil sicher gegen die Orken... Nein! Mit einem Male öffnete sich ein Fenster des Gasthofs oberhalb der Bühne, und ein im Koscherlande wohl bekanntes Gesicht blickte heraus, blinzelte verschlafen, überschaute dann mit einem Blick die Lage, griff nach Schwert und Helm und schwang sich todesmutig mit dem Ruf „Harret aus, Prinzessin!“ hinab auf die Bühne, um dem garstigen Ungeheuer in Grün das Lebenslicht auszublasen.

Was soll man sagen? Gekreisch, Gezeter, Schwerthiebe, zerfetztes Tuch und splitternde Holz, Aufruhr, Geschrei, Gelächter, Tränen, Flucht, Geschimpfe, Flüche, Kampf und Ringen – und am Ende ein indignierter Ritter Falk, der gar nicht verstehen konnte, warum eine ganze Schaustellertruppe und ein Großteil der Oberangbarer Bürgerschar wütend gegen ihn wetterte, wo sie doch den Zwölf- und allen Halbgöttern besser danken sollten, dass er zufällig in dem Gasthofe Quartier genommen hatte und – aus seinem Nachmittagsschläfchen heraus! – so eilig bei der Sache gewesen war, um die holde Dame aus den Klauen der Bestie zu erretten. Angesichts solchen Undanks zog Ritter Falk es vor, seine Abreise zu beschleunigen, wobei er es nicht versäumte, einen im Kampfe ausgeschlagenen Drachenzahn als wohlverdiente Trophäe mit sich zu nehmen. Ein zufällig anwesender Wundarzt versorgte die beiden armen Schauspieler (wobei der Mime des Kopfes freilich mehr abbekommen hatte als sein Kollege vom Hinterleib), und der Wirt tröstete ihn mit einem großen Humpen Blaubeerschnaps.


Karolus Linneger, nach dem Bericht zahlreicher Zeugen