Graf Orsinos langer Schatten - Ein Edler für Beilklamm
Sindelsaum, Ende Hesinde 1041
Den ganzen Tag über saßen Baron Erlan von Sindelsaum und sein Junker Boronar vom Kargen Land beieinander und zerbrachen sich die Köpfe darüber, wie es mit dem Gut Beilklamm weitergehen sollte, schließlich war es durch die Flucht Eberhelms von Treublatt und dessen anschließende Ächtung heimgefallen. Anders als der Name es vermuten ließ, handelte es sich dabei nicht etwa um ein entlegenes und armes Lehen, sondern um ein wohlhabendes Edlengut im Herzen der Baronie. Es gehörte zum Junkergut Boronars, dem Mistelsteiner Land, war aber natürlich auch dem Baron hörig.
Boronar hatte zweierlei Grund, sich mit seinem Baron abzusprechen: Zum einen war das Junkergut Furgund von Entenstegs in direkter Nachbarschaft. Er befürchtete Ärger mit dem Haus Entensteg, sollte er als Junker alleine eine Entscheidung treffen, die diesem nicht gefallen würde. Doch einem gemeinsamen Beschluss mit dem Baron würden sie nur schwer widersprechen können. Zum anderen drohten Probleme mit dem Haus Treublatt, falls die Einigung zu sehr zugunsten der Entensteger ausfallen würde. Erlan hatte zumindest in der Vergangenheit einige Kontakte gehabt und würde, so Boronars Hoffnung, bei einem Kompromiss die Wogen schon glätten können.
Doch wie sollten sie vorgehen? Bereits vorher war Eberhelms Dokument, mit dem er Bolzer von der Erbfolge ausgeschlossen hatte, anerkannt worden, da es vor dem tödlichen Streit verfasst worden war. Boronar hatte nicht vor, das Schreiben anzuzweifeln… er erinnerte sich nur zu gut daran, wie die unklare Testamentslage im Hause Uztrutz beinahe zu einer Schlacht geführt hätte!
Bolzer selbst war inzwischen an Voltan von Falkenhags Seite am Grafenhof und es würde aus Sicht der Treublatts wie eine Schmähung aussehen, ausgerechnet ihn auf Beilklamm einzusetzen. Dass er selbst an der Sache vollkommen unschuldig war; ja selbst auf der Reichsstraße keine Waffe gezogen hatte, würde dabei keine Rolle spielen.
Damit blieben zwei Möglichkeiten: Govena von Treublatt als Erbin einzusetzen, so wie es Eberhelm vorgesehen hatte, oder – trotz ihrer Abwesenheit – Anghild von Entensteg zu wählen.
Boronar war grundsätzlich bereit, Govena den Vorzug zu geben. Für sie sprach aus seiner Sicht, dass sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun gehabt hatte, was zuerst durch seinen eigenen Besuch auf Beilklamm und danach den von Wolfberta Sauertopf bestätigt worden war. Das war jedoch nicht in Erlans Sinne. Er hatte bereits Eberhelm einen Gefallen getan, als er ihn entkommen ließ – was er freilich für sich behielt. Stattdessen schob er als Grund vor, dass Govena zu jung und unerfahren war – sie hatte ja noch nicht einmal den Ritterschlag erhalten und war ihm völlig unbekannt. Zudem befürchtete er, dass sie zu sehr unter dem Einfluss ihres umtriebigen Vetters Gisbrun von Treublatt stehen könnte, in dessen Schatten sie ja in den letzten Jahren gestanden hatte. Darauf sprang Boronar an, hatte er doch bereits bei seiner Belehnung vermutet, ein Auge auf die Treublatts in Sindelsaum werfen zu sollen. Die Zurückhaltung Govenas könnte natürlich auch Berechnung gewesen sein... Erlan wandte ferner ein, Eberhelm habe das Lehen seinerzeit auch bekommen, weil die Familienverhältnisse geklärt schienen; Govena sei zwar unschuldig, aber auch passiv geblieben. Gulda die Glucke habe nach dem Ende des falschen Fürsten aus demselben Grund die Grafschaft Angbarer See verloren...
Auf der anderen Seite konnte sich Boronar beim besten Willen nicht dazu durchringen, Beilklamm den Entenstegern zu überlassen. Anghild hatte aus seiner Sicht durch ihre Unehrlichkeit kein Lehen verdient. Dem musste Erlan zustimmen. Es widerstrebte ihm ohnehin der Gedanke, dass eine Partei, die sich auf der Reichststraße mit scharfen Waffen bekämpft und den Konflikt nicht direkt an ihn herangetragen hatte, das Lehen haben solle. Einen völlig neuen Ritter zu belehnen würde natürlich den Zorn beider Familien auf Erlan und Boronar lenken. Welches Haus würde das auf sich nehmen? Darum grübelten sie immer weiter, nannten ab und an einen Namen, nur um ihn dann wieder zu verwerfen.
„Heiliger Argelion“, murmelte Boronar mit wachsender Verzweiflung, „wie sollen wir das nur auflösen?“ „Heiliger...“ Eine Idee begann in Erlans Kopf Gestalt anzunehmen. „Das ist überhaupt eine Möglichkeit… warum nicht das Lehen einer Kirche der Zwölfe überlassen, zumindest für einige Zeit?“ „Ja, nicht schlecht!“, stimmte Boronar zu. Er führte den Gedanken weiter aus. „Warum machen wir das Gut nicht einfach zu einem Klostergut? Das hat schon bei der Sindelfehde den Streit gelöst und auch jetzt könnte niemand böse sein, zumindest nicht öffentlich.“ Erlan wirkte nachdenklich. „Hm, ja… wir könnten das Gut erst einmal zeitlich befristet an das Kloster Eichenholtz verleihen, vielleicht erst einmal für fünf Jahre. Wenn sich die Regelung dann bewährt hat, können wir sie fortsetzen oder uns etwas anderes überlegen. Bei einem Traviakloster kann bei einem solchen Frevel an ihren Geboten auch wirklich niemand Einspruch erheben. Und selbst die Treublatts werden sich hüten, sich mit der Ingerimm-Kirche anzulegen! Ich als ihr Laiendiener habe jedoch allen Grund, hier plötzlich eine befristete Überlassung vorzunehmen.“ Boronar gab zu bedenken: „Das Kloster müsste dann allerdings einen Verwalter oder einen Vogt einsetzen. Schon jetzt sind ihre Eichenholtzer Ländereien ja recht ansehnlich, aber wenn Beilklamm auch noch dazu kommt, wird die Äbtissin das nicht mehr alleine stemmen können.“ Erlan nickte. „Ein guter Gedanke. Da ich ja selbst im Klosterkapitel sitze, werde ich darauf achten, dass da jemand ausgewählt wird, der uns nicht unangenehm ist.“ Kurz überlegte der Baron. „Kennst du da jemanden, der taugen würde?“ Boronar dachte nach. Dann fiel ihm jemand ein. „Es gibt da diesen Ritter, Eichbart von Garnelhaun… mit dem habe ich damals am Trolleck zusammen gekämpft und seither sind wir in Kontakt geblieben. Er ist jedenfalls ein aufrechter Koscher, der schon für seinen Grafen gestritten hat.“ Erlan schien zufrieden. „Die Garnelhauns sind immer unverfänglich. Das klingt doch nach einem Plan.“ Und so schafften sie es doch noch, am Ende einer langen Beratung auf ihr Ergebnis anzustoßen…