Wolfsjagd zu Wengenholm - Ein Traum

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Wengenholm, 1023

Wieder prasselten die Flammen in der Waldeinsamkeit, und wie weit der rotgelbe Kreis des Lichtes reichte, so weit erstreckte sich Frau Travias Segen in Firuns grünem dunklem Reiche. Man erfreute sich an Speise, Trank, Geschichten und Gesängen, doch als schließlich das Sternbild des Schwertes den schwarzen Himmel durchschnitt, begab man sich zur verdienten Ruhe. Alles lag bereit, damit die drei Gefährten in aller Perainenfrühe aufbrechen konnten, um den Wilderern das Handwerk zu legen. Der zweigestaltige Bishdariel verließ die Pforte Uthars und nahm seinen Flug übers Nirgendmeer, streifte mit seinen ungleichen Schwingen die Schläfer im weiten Lande und ließ sich schließlich auch in einer Tanne nieder, die ihren Schatten auf den Geweihten Lucardus warf. Ungesehen von Menschenaugen starrte der göttliche Bote auf den Priester herab, und die letzte Glut des Feuers beschien sein buntes, träumefrohes Gefieder. Dann wandte er das Haupt, und jene Seite seines Kopfes war unaussprechlich. Er schüttelte die finstere Schwinge und entließ das Traumbild, das Etilia in der Schweigenden Halle für Rondras Diener gewoben hatte.

Noch war es dunkelste Nacht, doch für Lucrann von Hirschingen erhob sich eine Sonne in Rot und Purpur. Er stand auf, schüttelte Decke und Traumstaub von sich ab und stieg zu Pferde. An seiner Seite sind mit einem Mal auch Globerich und Lucrann. Frisch auf geht’s in den Wald, den morgentauschimmernden Forst. Der Pfad gleitet unter den Hufen dahin, es knacken die Reiser, es raschelt das Laub. Die Stunden flattern vorüber, der Mittag hält Einzug in goldener Königspracht. Das Summen der Bienen, das Spiel der Zikaden sind ihm Trompetenschall, Fanfarenhall. Voller Freude jagen die Helden einher, und Globerich den andern voran, er lacht, sein strohblondes Haar umglänzt die junge Stirn, hinter der so viele Hoffnungen und Erwartungen schäumen. Nun zeigt er nach vorne, wo sich der Waldfächer teilt, wo Gräser und Farne den Rand einer Lichtung umsäumen. Stahlblaue Veilchen wachsen dort und blutrot die Tarnele, leichenblaß der Ifirnsstern. Und mitten darin lagern wilde Gestalten mit kratzigen Bärten und lodernden Augen, die flatternden Hüte tief in die Stirne gezogen. Sieben Bögen lehnen am Stamm einer Ulme, und sieben Bündel Pfeile ragen gefiedert aus den Köchern. Im Grase liegt ein Rehbock, gehäutet und blutig.

Drei Hände greifen zum Schwert, und sieben zum Jagdmesser. Die Worte, die gesprochen werden, raubt der Wind. Nun spricht man eine andere Sprache, die scharfzüngige Rede der Klinge. Lucranns Schneide beschreibt zwei silberne Kreise, beim dritten Mal ist sie rot. Lucardus sieht das Weiße im Auge des Gegners, erst zornig, dann ängstlich, dann brechend. Metall tönt auf Metall: so klingt’s schon in der Schmiede, wenn die Waffe geboren wird, und selbst im Dienste erinnert sie sich gerne an ihr Wiegenlied. Im Rondramond fährt ein Sturmwind in das wogende Korn und bricht die Halme; ein Hagelschauer zerschmettert die Ähren; ein Blitzschlag entzündet die Gräser: so steht Lucardus inmitten der Feinde.

Da hört man ein Pfeifen, wie’s Pfeile spielen im Flug, ein Pfeifen, wie wenn die Luft entweicht aus durchdrungener Brust und Kehle. Globerich sinkt auf die Knie, sein Blick ist voll Staunen, die Lippe bebt, ein dünner Faden Blut quillt hervor und rinnt übers Kinn auf das Wams, rinnt über das Wappen darauf und teilt es mit rötlichem Strich entzwei. Dann umfängt das knisternde Laub grüßend die strohfarbnen Haare, der Schimmer entweicht vom Scheitel, der Glanz aus den Augen. Erwartung und Hoffnung ergießt sich schäumend in purpurnen Strömen.

Lucardus hört sich rufen. Zwei Hiebe noch, die zerfleischen, dann fliehen die Gegner, die Lichtung ist frei und friedlich und stumm. Ohnmächtig knien die Sieger, Globerichs Haupt ruht im Schoß des Geweihten, diese jungen, eben noch blühenden Wangen, sie schmiegen sich an das Löwinnenhaupt, so rot wie sein strömendes Blut, so bleich wie das welkende Antlitz. Für wenige Worte reicht noch der Atem – wem gilt nun der letzte Gruß hier auf Deren, wem der letzte Gedanke? Schweift nun die Seele zu Vater und Mutter, den Freunden, zur Herrin in Alverans weitem Palaste? Zur Herrin! Rondra befohlen, Globerich! bald schon an ihrer Tafel wirst du speisen! Dort sehn wir uns wieder, wenn Rondra es will...

Jemand griff nach seinem Arm, und das Traumbild verschwand. Lucardus von Hirschingen öffnete die Augen und blickte in die besorgte Miene des Auersbrückers. „Verzeiht, wenn ich Euch wecke. Doch Ihr habt im Schlafe um Euch geschlagen und geschrien“, sagte er leise. „Habt Ihr schlecht geträumt?“

Der Geweihte schwieg eine Weile, so lange, daß der junge Ritter schon glaubte, keine Antwort mehr zu erhalten. Dann aber sprach er: „Ich glaube, es war mehr als nur ein Traum. Ich habe uns drei gesehen, wie wir ausreiten, um die Wilderer zu stellen.“ „Vortrefflich. Dann wißt Ihr ja hoffentlich, wo...“, begann Lucrann, aber der Diener der Leuin packte sein Handgelenk mit eisernem Griff und zischte: „Und ich habe den Kampf gesehen und unseren Sieg. Und Globerichs Tod.“

„Meinen Tod?“ ertönte da die bekannte Stimme des Junkers von Bockzwingel. Er hatte ja in der Nähe gelegen und war zugleich mit Lucrann erwacht. „Ja, junger Freund. Euren Tod. Doch die Herrin der langen Tafel scheint ihn noch nicht zu wollen. Denn sonst hätte sie ihrem Diener nicht diese Warnung zukommen lassen. Und wir wollen sie beherzigen und morgen mit den anderen auf die Spur des Wolfes gehen.“

„Meinen Tod...“ Globerich kauerte auf seinem Lager und fuhr sich mit der Hand durchs strohfarbne Haar. Man sah ihm Angst und Zweifel über die Stirne huschen wie schreckende Gespenster. „Ihr seid nun erschüttert, das glaube ich“, sprach der Geweihte mit sanfter Stimme. „Doch ich glaube, die Göttin schaut gütig auf Euch herab. Beweist Euch würdig und verbannt die Angst aus Eurem Herzen. Wer mutig und sicher schreitet, der darf auf IHREN Schutz am meisten hoffen.“ Globerichs helle Augen suchten die Blicke des Geweihten und ruhten einige Zeit darin. „Euer Gnaden“, sagte er leise, „ich möchte Euch trotzdem bitten, mit mir ein Gebet zu sprechen.“ Lucardus von Hirschingen nickte und erhob sich. „Wir wollen uns ein Stück entfernen, um nicht alle aufzuwecken.“

Zu dritt gingen sie einige Schritte weiter, und am Waldrand ließen sie sich auf die Knie nieder. Jeder hielt sein Schwert in den Händen, die Spitze zur Erde gesenkt, den Griff gen Himmel: Denn die Leuin führt die Klinge ihrer Helden, und was die Spitze trifft, das wird in Sumus Schoße ruhen. Dann sangen sie leise, und es war kaum mehr als ein Summen, das „Dir zu Ehren“, während Frau Mada die Herde ihrer Sterne bereits den Hürden zuführte.