Ein neuer Herr zu Sindelsaum

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Ausgabe Nummer 48 - Peraine 1031 BF

Ein neuer Herr zu Sindelsaum

Von der ungewöhnlichen Kür eines Vasallen

BRN. SINDELSAUM. Die Belehnung eines Edelmannes mit einer Baronie mag dem geneigten Leser nicht gerade als herausragendes Ereignis erscheinen - zumindest nicht bedeutend genug, um auf einem Titelblatte zu erscheinen - doch die Umstände, die zur Wahl und Kür des neuen Barons von Sindelsaum führten, rechtfertigen dies; und die Schriftleitung des Kosch-Kurier hofft, dass der geneigte Leser nach der erbaulichen Lektüre dieses Artikels der gleichen Ansicht sein wird...

Wenn die Würde zur Bürde wird
Bei der letzten Lehnsvergabe nach dem Jahr des Feuers wurde die Baronie Hügellande in die Baronien Sindelsaum und Birnbosch aufgeteilt. Ein Freund des bisherigen Lehnsherren und Cantzlers Nirwulf wurde als Baron eingesetzt. Sein Name war Madrax Sternhagel, ein Nachkomme von Groinsa, der Grevin, die zur Zeit Rohals über die Geschicke der Provinz wachte. Er galt als ähnlich klug und umsichtig wie seine Vorfahrin und manch einer vermutete hinter dem Zwergen gar einen echten Geo- den. Die vergangenen zwei Jahre regierte er sein Lehen mit recht leichter Hand, sah er sich doch eher als Berater denn als Herrscher – eine Rolle, die ihm durchaus gefiel und in der er sich rasch einen guten Ruf als weiser Schlichter erwarb. Doch musste er bald erkennen, dass zum Führen eines Lehens auch andere Dinge gehören, die ihm weitaus weniger lagen... wie das Eintreiben und Verwalten der Steuern, das Überwachen der Wehrfähigkeit und derlei mehr. Seine Umgebung spürte schnell, dass der einst vor Lebensfreude sprühende Hügeling unter der Last und Verantwortung seines Amtes ernst und bitter wurde. Vor allem aber konnte er den in ihm lodernden Forschungseifer in seinem lieblichen Lehen am Angbarer See kaum noch ausleben, und so traf er schließlich eine schwere Entscheidung: Er reiste nach Fürstenhort, sprach lange mit Cantzler Nirwulf und dem Fürsten und entschied schließlich, dass es das Beste sei, sein Amt niederzulegen, um sich seinen Studien widmen zu können.
Schon bald darauf sah man den Hügelzwerg in altbekannter Spritzigkeit seine Rumtasch-Kutsche mit allerlei Geschirr, Kissen, Büchern, Messgeräten und ähnlich merkwürdigen Utensilien bepacken. Sein erstes Ziel sollte Punin sein, doch bevor er seine Reise antreten konnte, musste die Frage der Nachfolge geregelt werden. Und so rief Madrax eines schönen Tages im Phex die beiden Kandidaten zu sich, die er sich als Nachfolger vorstellen konnte. Da war zum einen Thalian Has von Hügelsaum, ein Ritter, dessen Ehrgeiz von seiner Frau Mechte stammte. Auf der anderen Seite stand Erlan von Sindelsaum, Spross des greisen Alderan von Sindelsaum, der sich in seinem gesegneten Alter von 80 Götterläufen nicht mehr mit der Verwaltung eines Lehens befassen wollte. Madrax tat den beiden kund, dass es einen Wettkampf zwischen ihnen geben würde. Dieser Wettkampf teilte sich in zwölf Disziplinen und würde von einer Gruppe Richter, be- stehend aus Nirwulf S.d. Ne- gremon, Herold Hernobert von Falkenhag und seiner eigenen Person überwacht. Zwei Tage gab er den beiden Zeit, sich auf den Wettkampf vorzubereiten.

Des Wettkampfes erster Tag
Zwei Tage später waren sämtliche Einwohner der näheren Umgebung auf dem Dorfplatz von Sindelsaum zusammengekommen, um den beiden Anwärtern bei ihrem Wettkampf zuzuschauen. Dieser Wettkampf bot den Bürgern von Hügelsaum und Sindelsaum eine willkommene Gelegenheit, die altbekannte Rivalität beider Orte aufs Neue auszuleben. Auf beiden Seiten wurden immer wieder freche Spötteleien gerufen, begleitet von höhnischem Gelächter. Fast schien es, als würden die drei Richter auf der kleinen, offenbar rasch zusammengezimmerten Tribüne mehr auf die Zuschauer als auf die Teilnehmer achten müssen.
Zur Rechten der Tribüne hatten sich die Mitglieder des Hauses Sindelsaum versammelt. Da war der greise Alderan, der sich jedoch immer noch aufrecht hielt. Unweit neben ihm stand Selissa von Sindelsaum, die Befehligerin der Gräflichen Land-Gendarmen. Dazu kam noch die Ehefrau Erlans, Alvide, mit ihren Kindern und natürlich Erlan selbst: ein Edelmann von altem koscher Schlage, der dafür bekannt ist, gerne an passender Stelle einen Spruch Kaiser Retos zu zitieren. Ein wenig beunruhigt blickte Madrax zur anderen Seite der Tribüne, denn dort stand Thalian Has mit seiner Ehefrau Mechte, und diese sprach unentwegt auf ihn ein und schien ihm allerlei anzudrohen, sollte er diesmal die Baronswürde nicht erringen. Der hagere Ritter ließ die Tiraden seiner Gattin scheinbar teilnahmslos über sich ergehen. Nach einer Weile des Abwartens trat Hernobert von Falkenhag vor und verkündete mit weit tragender Stimme die erste Disziplin. Die beiden Bewerber sollten ein Wettschießen mit der Armbrust bestreiten. Da brandete Jubel bei den Hügelsaumern auf, war doch bekannt, dass Thalian ein begnadeter Armbrustschütze war. Schnell konnte er den Wettkampf für sich entscheiden, nachdem er drei seiner fünf Bolzen in die Mitte der Scheibe gesetzt hatte. Erlan schlug sich zwar recht wacker, aber es gelangen ihm nur zwei solcher Treffer. Ritter Thalian schien sehr erleichtert und auch seine Frau für den Moment beruhigt. Nun folgte ein Stabkampf, und diesmal schlugen die bei- den Kontrahenten bestimmt eine Viertelstunde verbissen mit den Stäben aufeinander ein, bis Erlan ein kapitaler Hieb gegen seinen Kontrahenten gelang. Thalian stolperte zu Boden und gab auf.
Als dritte Disziplin wurde nun ein Wettkochen verkündet, bei dem die Richter das beste Essen küren würden. Der Sindelsaumer bereitete einen Wengenholmer Lauchkuchen zu, und dieser fand durchaus die Zustimmung der Richter, doch der Hügelsaumer übertrumpfte ihn mit seinem berühmten Hasenbraten. Das brachte ihm von Seiten der Sindelsaumer Dorfbevölkerung zwar einiges an Spott ein, aber nun lag er vorne.
Für eine biedere Aufgabe ging es nun die Amtsstube des Barons, wo es galt, Steuerlisten korrekt zu berechnen. Nicht Schnelligkeit, sondern Gründlichkeit zählte hier. In dieser Disziplin konnte Erlan brillieren, hatte er doch schon lange das Familiengut verwaltet. Die Richter waren ehrlich beeindruckt von der Präzision, mit der Erlan die Aufgaben in Rekordzeit löste. Der arme Thalian saß geschlagene vier Stunden vor den Aufgaben und kam doch zu keiner überzeugenden Lösung. Einmal mehr war nun ein Gleichstand hergestellt worden. Mit einiger Sorge mussten die Richter beobachten, wie Mechte Thalian zusetzte, und dieser war das Elend in Person, als sie mit ihm fertig war.
Sein Gesicht hellte sich erst auf, als es darum ging, das bekannte Koscher Lied in der örtlichen Schenke zu singen. Wer die meisten Strophen zum be sten geben konnte, war der Sieger. Erlan von Sindelsaum kam auf ganze fünfzehn, doch dann versagte sein Wissensschatz. Thalian hingegen trug die unglaubliche Zahl von 47 Strophen vor, und selbst die Richter klopften am Ende den Takt mit.
Im anschließenden Wetttrinken tat sich Thalian erneut hervor und trank den Sindelsaumer gnadenlos unter den Tisch. Und damit endete der Tag mit einer Führung von vier zu zwei Punkten zugunsten des Hügelsaumers. Beim Hinausgehen grummelte ein Hügelzwerg aus Sindelsaum: „Das war doch nicht gerecht. Jeder weiß doch, dass Thalian säuft wie ein Fass, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt.“ – „Ja“, erwiderte ein anderer, „das liegt aber auch nur an seiner Frau.“

Des Wettkampfes zweiter Tag
Der nächste Morgen dämmerte, und die Kandidaten fanden sich mit ihrem Anhang erneut auf dem Dorfplatz ein. Nun mussten die beiden mit verbundenen Augen auf ihren Pferden aufsitzen und wurden an einen unbekannten Ort weggeführt. Von dort aus sollten sie dann zum weithin bekannten Traviatempel in Heimthal reiten. Einige Stunden später warteten die Richter am Tempel, als sie die beiden Reiter gleichzeitig den Weg heran preschen sahen. Kopf an Kopf lagen die Pferde, und keiner gab auch nur einen Handbreit nach. Gnadenlos trieben sie ihre Tiere vorwärts, doch mit einem Mal griff das Pferd Thalians aus, als säßen ihm die Niederhöllen im Nacken, und ließ Erlan weit hinter sich. Am Wegesrand, just an der Stelle, an der das Pferd so ausgegriffen hatte, stand ein kleiner Junge und spielte unschuldig mit Kieselsteinen.
Mittlerweile führte Thalian mit fünf Disziplinen weit vor Erlan, der nur zwei gewonnen hatte. Die Zuversicht war unter den Sindelsaumern stark geschmolzen, während Mechte, die Gattin des Hügelsaumers, das Geschehen schon mit dem eitlen Blick einer künftigen Ba- ronsgemahlin zu verfolgen schien. Wollte Erlan gewinnen, musste er ab jetzt jede Diszi- plin für sich entscheiden.
Zunächst galt es mit den Waisenkindern im Heimthaler Traviatempel zu spielen. Wen die Kindern nach zwei Stunden zum Sieger erklärten, sollte gewinnen. Vom Zaun her schauten die Dörfler und Angehöri gen stumm zu oder kommentierten das Geschehen. Die Kinder teilten sich recht gleichmäßig auf und tollten mit den beiden Erwachsenen herum, die sich alle Mühen gaben den Kindern ein Lachen zu entlocken. Erlan gelang dies deutlich öfter, immerhin hatte er auch mehr Übung angesichts seiner eignen sieben Kinder. Thalian hingegen stellte sich ein wenig unbeholfen an, wusste nicht so recht, was er mit den Kleinen machen sollte. Nach einigen Minuten krabbelte die kleine Emer, das kleinste Kind im Waisenhaus, welches gerade einmal einen Sommer zählt, Richtung Erlan und schleppte dabei ihren Valpobären mit sich. Als Mechte das sah, fauchte sie das kleine Kind mit solch einer bösen Stimme an, dass die kleine Emer sich auf der Stelle hinsetzte und zu weinen begann. Die anderen Kinder bemerkten dies und ein älterer Knabe griff zu einem Stock und stürmte auf Mechte zu. Die riss Hals über Kopf aus, hinter ihr eine schreiende Kinderschar, die sie bis an den Dorfrand jagten. Danach kehrten sie zurück und stimmten alle für Erlan. Wer eine solche Frau hatte, sollte ihrer Meinung nach nicht Baron werden. Nur die kleine Emer schien auf Thalians Seite zu sein, hatte er sie doch mit großer Hingabe getröstet, während Erlan dem Spektakel mit einem Lächeln zugeschaut hatte. Im Anschluss machten die Richter und Teilnehmer erst einmal eine ausgedehnte Pause, in der sich alle für den Rest des Tages stärkten.
Als neunte Disziplin wurde das so beliebte Fürstenraten genannt. Hierzu wurden Eigenschaften eines Koscher Fürsten aufgezählt, und der Kandidat, der den Namen als erster korrekt nennen konnte, hatte gewonnen. Nach neun Fragen gab Thalian entnervt auf, hatte doch Erlan bisher jeden Fürsten mit minimalen Hinweisen erraten können. Sein Großvater Alderan klopfte ihm auf die Schultern und schien sich sehr zu freuen, dass bei „dem Jungen“, wie er ihn nannte, ein wenig von seiner Erziehung hängen geblieben war.
Nun folgte die zehnte Aufgabe, in der die beiden Wettstreiter ein möglichst gerechtes Urteil in einem erfundenen Gerichtsverfahren fällen sollten. Cantzler Nirwulf, seines Zeichens leidenschaftlicher Aufklärer von Verbrechen aller Art, hatte diese Aufgabe ersonnen und konnte hier auf seinen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Als Kläger, Angeklagte, Leumünder und Zeugen traten die Puppen der Angbarer Puppenbühne auf, die eigens zu diesem Schauspiel (und zur großen Freude der Waisenkinder) angereist war. Es ging um einen schienbar schlichten Hühnerdiebstahl, den der böse Räuber Jergenpelle begangen haben sollte. Thalian lachte mehr, als dass er sich zum Richter berufen sah. Erlan von Sindelsaum lachte zwar kaum weniger, doch es gelang ihm durch geschickte Befragung der Zeugen die Wahrheit zu entlarven. Nachdem sich der Angbarer Wengel hoffnungslos in Widersprüche verstrickt hatte, wurde klar, dass hinter dem angeblichen Diebstahl ein Fuchs steckte und Jergenpelle freizusprechen war. Der Auftritt der Puppen, doch auch die findige Aufklärung Erlans, der damit in Punkten gleichgezogen hatte, wurde anschließend mit langem Applaus belohn.
Aufgrund des hohen Zwergenanteils in der Baronie galt es in der vorletzten Aufgabe, einen Text aus dem Garethi ins Zwergische zu übersetzen und diesen Text dann auf Rogolan dem Kanzler vorzutragen. Hier erwiesen sich beide Teilnehmer als sattelfest, so dass Nirwulf nach sorgfältiger Überlegung entschied diesen Punkt zu teilen.

Die Entscheidung
Die letzte Aufgabe sollte die Entscheidung bringen. Es galt, den Dachswald am schnellsten zu durchqueren, um in Sindelsaum schließlich gekürt zu werden. Der Dachswald ist ein lichtes Laubwäldchen zwischen Heimthal und Sindelsaum, und so kam es nicht auf die Gaben eines Jägers oder Waldläufers an, sondern eher auf die größte Ausdauer. Nach einigen Stunden traf schließlich Erlan unter dem lauten Jubel der Versammelten in Sindelsaum ein. Er war völlig durchnässt und berichtete, dass die kleine Brücke über den Dachsbach unter seinem Gewicht nachgegeben hätte. Beinahe hätte er hier aufgeben müssen, doch kam Thalian des Weges und half ihm aus der Patsche. Als Thalian daraufhin die Brücke überprüfte stellte er fest, dass sie angesägt worden war. „Ich muss hier einen Moment verschnaufen. Geh du schon mal vor“, seien seine Worte gewesen, und anschließend soll er immer wieder „Mechte, das geht zu weit!“ gemurmelt haben. Eine Weile später kam Thalian betont gemächlichen Schrittes aus dem Wald. Seine Frau Mechte kochte vor Enttäuschung und hob erneut zu einer wütenden Tirade an. Doch diesmal wurde sie durch Thalian gebremst, der sie derart grimmig ansah, dass ihr Wortschwall ins Stocken geriet und erstarb.
So hatte Erlan von Sindelsaum nun doch den Sieg errungen und Madrax überreichte ihm ohne viel Federlesens den Reif des Barons. Nirwulf, der darauf nur gewartet zu haben schien, klopfte dem frisch gebackenen Baron freundschaftlich auf den Rücken und rief dann: „Möge das Fest beginnen.“ Und so begann ein Fest, an das sich die Menschen noch in einigen Generationen erinnern werden. Bier floss in Strömen und Spanferkel wurden über dem Feuer gebraten. Mechte wollte sich derweil mit der Niederlage ihres Gatten nicht abfinden und war eben im Begriff, sich an den Cantzler Nirwulf zu wenden, als sie von hinten eine starke Hand am Kragen packte und Thalian brummte: „Du hast schon genug angerichtet. Wir gehen jetzt.“
Die Menschen und Zwerge blickten dem Ritter verdutzt nach, hatten sie ihn doch noch nie solcherart in Rage gesehen. Normalerweise stand er unter der Fuchtel seiner Frau und getraute sich nicht, ihr zu widersprechen, doch diesmal war Mechte wohl zu weit gegangen. Wenn es etwas gab, was Thalian gegen den Strich ging, so war es Betrug. Nie hätte er so Baron werden wollen. Somit war er gezwungen, zähneknirschend zwar, Erlan von Sindelsaum als Baron von Sindelsaum und neuen Lehnsherren anzuerkennen. Madrax Sternhagel packte bereits am nächsten Morgen sein letztes Bündel, stieg in seine gemütliche Kutsche und machte sich laut pfeifend auf gen Punin.

Garubold Topfler