Wolfsjagd zu Wengenholm - Wie viele mögen das sein?

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Wengenholm, 1023

„Wie viele mögen das sein?“ flüsterte der Geweihte Lucardus von Hirschingen. Die Recken standen mit den Rücken zueinander in einem Halbrund, ihre Klingen und Spitzen vorgestreckt wider das schwarze Rudel, das sie mit glitzernden Augen umschweifte. Dem Ruf des einen Wolfes waren viele Brüder gefolgt, und von allen Seiten erklommen sie die Felsenplatte, auf der die Jäger standen. Doch sie blickten die Menschen nur stumm an, einige trotteten auf und nieder, andere hatten sich auf ihre Bäuche niedergelassen, die Schnauzen auf die Läufe gelegt und blickten nun lauernd in die Mienen der Umzingelten.

Diesen lief der Schweiß von den Stirnen. Ihre Augen wanderten im Kreis umher. „Tut nichts Unüberlegtes, sonst wird es übel für uns enden!“ befahl der Graf heiser. „Ich fürchte, wir sitzen in der Falle“, ächzte Wilbor Tannschlag. „Wahr gesprochen, Jägersmann!“ tönte da mit einem Male eine menschliche Stimme von oben herab und brach sich schaurig hallend in den Felsen. „Ich habe Euch schon erwartet. Seid mir willkommen in meinem Reich!“

„Dein Reich?“ schnaubte der Graf. „Elender! Zeig dich! Hier steht der Graf von Wengenholm, und in seinem Lande befindest du dich!“ Ein Lachen, kalt und grausam. „Sieh an, welch hoher Gast, wenngleich auch ein ungebetener. Ihr wollt uns beim Nachtmahl Gesellschaft leisten, Herr Graf? Freilich, so bekömmlich wie die Pilze der Alten wird’s nicht werden, nicht für Euch. An unsern Tischen speist man Fleisch, schön roh und blutig. Stimmt’s nicht, meine Freunde?“

Da hoben die Wölfe ihre Nasen in den Wind und jaulten auf, als wollten sie dem Fremden zustimmen. „Nun, meine Kinder, habe ich euch zu viel versprochen? Fette Beute, und sie wartet nur auf euch!“ erklang da wieder die dunkle kalte Stimme, doch die Gestalt, der sie gehörte, blieb noch immer unsichtbar.

„Zeig dich endlich! Walbrod, wir wissen um deine Geschichte!“ rief der Graf. „Ihr glaubt zu ahnen!“ klang es höhnisch zurück. „Die alte Eule hat Euch etwas vorgekrächzt, und Ihr haltet’s für Musik. Doch ich werde Euch ein andres Lied singen!“

Da wandelte sich seine Stimme plötzlich auf eine Art, wie sie wohl keines Menschen Mund entsteigen mochte. Hoch und schnarrend stießen die Töne hervor, die irgendwelche Worte sein mochten, eine seltsame Melodie aus andern Zeiten und Orten, ein Lied vom Urklang der Welt, archaisch, fern von jeder Formung und Kunst, ein freies Wallen der Laute wie außerhalb des Kopfes und der Kehle, und doch ein Gesang von unendlicher Gewalt. Die Nebel zerrissen mit einem Male, und durch die Lücke fiel der helle Blick der Nacht herab auf diesen Felsen – Madas Auge war zur Gänze geöffnet. Die Jäger standen starr und wie gebannt, die Wölfe lauschten mit zuckenden Ohren und bewegten sich alle im Rhythmus des seltsamen Sanges. Wie lange dies so gehen mochte – wer vermag es zu sagen? Doch so plötzlich, wie der Pfeil vom Bogen schnellt und sich die Spannung der Sehne im Bruchteil eines Augenblickes löst, brach nun der Singsang ab und entlud sich in einem einzigen peitschenden Wort in jener fremden Sprache, die sie nicht kannten und noch nie gehört hatten. Und in diesem Wort lag Rache und Töten.

König Kasimir riß sich los. Doch nicht, um sich auf die Wölfe zu stürzen. Seine Kiefer schnappten zu und umschlossen den Arm des Vogtes, seines Herren. Blut spritzte hervor über das Fell des Tieres, und der Schreckensschrei Gelpharts hallte von den Felsen. Für einen Herzschlag lang standen die andern still. Der Graf schließlich war es, der als erster handelte und seine Klinge auf den Nacken des Hundes niedersausen ließ. Doch auch im Sterben lösten sich die eisernen Kiefer nicht aus dem wunden Fleische.

Der erste Wolf sprang vor. Aber Lucardus war darauf gefaßt gewesen, seine Waffe beschrieb einen blitzenden Halbkreis, und furchtsam wich die Bestie zurück. Doch nur für einen Moment, dann setzte sich die schweigende Schar der Wölfe in Bewegung und kam unaufhaltsam auf die Menschen zu. Die Beute jagte ihre Jäger.

„Dort vorne!“ stieß Metzel hervor und zeigte auf jene Gestalt, die sich scharf und dunkel vor dem fahlen Mondstrahl abzeichnete. Ohne zu zögern, rannten sie los. Da verfing sich der Fuß des Knappen an einem Stein, er stolperte und stürzte nach vorn. Globerich wollte ihn gerade fassen, als sich die Gestalt herumwandte und ihnen entgegenblickte. Glühende Augen! Mitten in der Bewegung hielt Globerich inne, sein Blick verschmolz mit dem des Fremden, und eine Stimme tönte schallend in seinen Ohren und Sinnen. Vergessen war der taumelnde Metzel, vergessen auch Lucrann an seiner Seite, nichts gab es mehr als diese Augen, diese glühenden Sonnen und Monde und Sterne, die den Himmel seines Daseins erhellten. Er sah nicht, wie Lucrann vorwärtsstürmte und plötzlich mit den Händen an die eigne Kehle griff, als ringe er nach Luft, als wolle er sich selbst ersticken. Nur diese Augen!

Gelphart stöhnte vor Schmerz. Dutzende glühender Nadeln brannten in seinem Arm. Dann fühlte er, wie der Griff sich lockerte. Kordan war neben ihm, und mit gewaltiger Stärke und Entschlossenheit preßte er den Rachen des leblosen Hundekörpers auseinander. Sein Arm war frei, doch das Fleisch war zerwühlt, und aus den Wunden pulste Blut. Ein roter Schleier legte sich kurz über Gelpharts Augen, dann traf sein Blick den des Geistmärkers. Er brachte kein Wort hervor und vielleicht nicht einmal jenes Nicken, das er seinem Kopf befahl. Seine kampferprobte Rechte war unbrauchbar, er preßte sie gegen sein Wams und vergrub die schmerzende Wunde unter den Falten, die sich sogleich purpurn färbten. Er schaute sich um. In einem kurzen, blitzgleichen Augenblick erkannte er die Lage: stolz und herrlich mit ragendem Ger stand die Gestalt des jungen Grafen da, und hinter ihm, auf einem Felsen, der Umriß eines großen Wolfes mit gespannten Muskeln. „Graf!“ schrie Gelphart hilflos. Jallik wirbelte herum. Der Wolf sprang. Alles ging rasend schnell. „Neeeeeiiiiiin!“ schrie Metzel mit greller Stimme. Vor ihm brach Lucrann in die Knie, die Hände noch immer an der Kehle.

Die schwarze Gestalt auf der Klippe lachte und hob die linke Hand. Der Schrei ließ Wilbor aufblicken. Sein Arm fuhr unwillkürlich in die Höhe. Der Pfeil, der eben noch auf einen Wolf gezielt hatte, tanzte nun vor seinen Augen und zeigte auf den schemenhaften Umriß eines Menschen vor dem Rund des Madamals, oben auf dem Rand der Klippe. Der Jäger hielt den Atem an, sein Geist schickte ein Stoßgebet in die Sphähren, sein Arm den Pfeil in die Lüfte. Die Gestalt erbebte.