Wolfsjagd zu Wengenholm - Isgrimma vom Walde

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Wengenholm, 1023

Die Spur des Wanderers mit dem Stecken endete plötzlich, unerwartet und vor einem Abgrund: mehr denn fünf Schritt ging es hier schroff, fast lotrecht in die Tiefe, als wäre ein Riß durch Sumus Leib gegangen und hätte die eine Hälfte nach unten gezogen. Das tiefer liegende Land war ebenfalls bewaldet, und man erkannte von hier oben kleine, silberne Adern, Gebirgsflüsse, die sich in rauschenden Windungen ihren Weg zur Ange suchen mochten. Doch nichts ließ darauf schließen, ob der Wanderer rechts oder links weitergegangen war und welchen Weg er von hier aus genommen hatte; selbst die Hunde liefen verwundert umher, ohne eine Witterung aufzunehmen, und gaben nicht einmal Laut.

„Schöne Wälder sind mir das!“ wetterte Ritter Falk. „Keine ordentliche Spur hält hier länger als ein paar Meilen. Wölfe hüpfen in Flüsse, ohne rauszukommen, alte Wanderer kriegen plötzlich Flügel und schweben munter in die Tiefe, um dort fröhlich weiterzulaufen. Man sollte meinen, wir wären hier gar nicht mehr im guten Koscherland, wo alles seine liebe Ordnung hat...“

So absonderlich das Gezetere des kautzigen Recken auch war, er sprach doch aus, was alle irgendwie dachten und fühlten. Vor allem Wilbor Tannschlag kniete fassungslos neben der plötzlich abgebrochenen Fährte und schüttelte ratlos den Kopf.

„Meiner Treu, als ob diese Kluft erst vor kurzem entstanden wäre und den armen Kerl hinabgerissen hätte. Aber das sieht man ja gleich, wie alt der Abbruch hier ist, schon an den dicken Bäumen umher... Verzeiht, Ihr edlen Herren, aber ich sehe mich mit meinem Jägerbosparano ganz und gar am Ende. Da bin ich ja eine schöne Hilfe...“

„Verzagt nicht, Meister Tannschlag. Selbst ein Elfenspäher würde hier nicht weiterwissen, trotz seiner Zauberei“, meinte der Geweihte und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Dann zeigte er auf eine Stelle, einige Dutzend Schritt zur Rechten. „Dort jedenfalls scheint ein schmaler Pfad hinabzuführen.

Man kann jedenfalls hinunter – auch wenn es nicht danach aussieht, als hätte unser ‚Freund’ diesen Weg ebenfalls genommen.“

„Zumindest führen keine Spuren dorthin, aber darüber mache ich mir im Augenblick keine Gedanken“, sagte Ritter Lucrann grimmig. „Wir sind jetzt schon allzu lange diesem Weg gefolgt, daß es sich auf jeden Fall lohnt, nachzusehen, was sich am Grund dort verbirgt.“ Die andern nickten schweigend, nur der kleine Metzel lachte.

„Warum so fröhlich, junger Freund?“ fragte der Graf und beugte sich zu dem Knappen herab. Der deutete die Geste als gestrenge Mahnung, ward bleich und stumm, machte große Augen und stammelte: „Verzeiht, Hochgeboren, ich wollte nicht... aber... das ist doch eigentlich das beste Zeichen, was wir haben können... na, daß hier offenbar etwas nicht stimmt. Denn wenn’s nur ein Krambold oder Wandergeselle wär’, na dann wär’ doch nichts dabei. Aber so was Unheimliches wieder... da scheint ja wohl mehr dahinterzustecken.“

Der Wengenholmer stutzte für einen Augenblick und überdachte die ungeordneten Worte des Knaben, dann aber lachte er aus vollem Halse und wandte sich Falk Barborn zu: „Ritter, Euer Bursch’ ist Goldes wert! Ein Kind muß uns lehren, das Offenkundige zu erkennen! Das ist nur zu wahr, junger Metzel, nur zu wahr!“

Der Uztrutzer strahlte ob des Lobes, und auch Ritter Falk schwellte die Brust, so gut es ging, als wollte er sagen: „Das hat er alles von mir gelernt.“

Und voll guten Glaubens, wirklich etwas Geheimnisvollem auf der Spur zu sein, machten sie sich an den Abstieg just an der Stelle, die der Geweihte Lucardus angezeigt hatte. Der Pfad erwies sich jedoch schon auf den ersten Blick als eng, steinig und schmal, so daß sie sich entschlossen, die Pferde hier oben zurückzulassen. Aber nicht unbewacht, wie der Graf mahnte. Nur brachte er es nicht recht übers Herz, den jungen Metzel mit dieser Aufgabe zu betrauen und hier als einsame Wache aufzustellen, wo er sich doch gerade als so scharfsinnig erwiesen hatte. Der Knappe jedoch blickte auf die Ritter, die Pferde und seine eigenen Füße und meinte schließlich mit gedehnten Worten: „Ich werd’ mich gut um die Rösser kümmern, Ihr Herren, seid getrost. Ich setz’ mich hier oben hin, genieß’ den weiten Ausblick und schnitz’ mir eine Flöte.“

„So ist’s recht“, brummte Ritter Falk, der am liebsten auch eine Rast hier gehalten hätte, wenn er nicht diesem fliegenden Wanderer mit dem Stock gerne auf die Schliche gekommen wäre. „Nur eine Bitte hätt’ ich irgendwie“, setzte der Knappe hinzu. „Wenn ich nur nicht auf die Hunde achten muß, die sind mir so grimm...“ Und er zog die Brauen nach oben und die Mundwinkel nach unten, um seine Bitte zu unterstreichen.

Die Edlen nickten und verabschiedeten sich mit aufmunternden Worten von ihrem jüngsten Gefährten, wobei sie Reto und König Kasimir mit sich nahmen. Erst einige Zeit später wandte sich der Graf verwundert an die andern und meinte: „Ist denn nicht der Uztrutzer berühmt für seine Hundezucht? Und da hat der kleine Metzel Angst vor diesen Tieren? Nun ja, wenn man von Kindesbeinen an mit etwas lebt, dann lernt man es wohl lieben oder hassen.“

„Solange er vor Orks und Drachen keine Ausflüchtungen macht, soll’s mir nur recht sein“, tönte Falk. „Schließlich hat man einen Ruf zu wahren!“

Wer hier was für einen Ruf zu wahren hatte, erklärte er nicht, und besonders Kordan von Blaublüten- Sighelms Halm dachte schmunzelnd darüber nach, bis sie am Fuße des Pfades und der Senke angekommen waren. Dort sahen sie sich überrascht einem kleinen moosüberwachsnen Häuschen gegenüber, das von oben wegen seines Bewuchses nicht zu sehen gewesen war. Ein Außerkoscher hätte es vielleicht für ein zwergisches Hügelhaus halten mögen, doch auf den zweiten Blick erkannte man es als hölzerne Blockhütte, deren Dachflächen fast bis zum Boden reichten und im Laufe von Jahren oder Jahrzehnten von allerlei Flechten und Ranken überwuchert worden waren. Die Vorderseite lag hinter Sträuchern und beerentragenden Hecken halb verborgen, allein eine schmale Türe inmitten verriet, daß hier ein Mensch in Travias Schutze leben mochte.

„Hol’s der Hanghas“, murmelte Vogt Stolzenburg und rieb sich die Augen. „So ein phexisches Hüttchen“, knurrte Ritter Falk, und auch die anderen gaben ihrer Überraschung Ausdruck.

„Wer mag in dieser Firunseinsamkeit wohl hausen?“ fragte Lucrann von Auersbrück und schritt zur Türe. „Und wenn’s eine Falle wäre?!“ raunte Globerich plötzlich mit Entsetzen und fiel dem Ritter in den Arm, den dieser schon zum Klopfen erhoben hatte.

„Dann, mein lieber Globerich, hätte man uns wohl eher auf dem engen Pfad mit einem Pfeilhagel bedacht“, entgegnete Kordan und ärgerte sich insgeheim, daß er nicht früher an die Gefährlichkeit eines solchen Abstiegs gedacht hatte. Allein, die Hunde hatten nicht angeschlagen noch geknurrt, vielmehr schienen sie nun unsicher, fast verängstigt und schlichen in einem weiten Bogen um den Vorplatz der Hütte.

„Klopft an“, gebot der Graf. „In meinem eignen Land und Lehen muß ich niemanden fürchten.“ Lucranns Hand schlug dumpf auf das Holz der Pforte. Zweimal, darauf Schweigen. Er klopfte ein drittes Mal, als die Türe aufschwang. Dahinter lag ein dunkler, von schwacher Glut erleuchteter Raum voller Schemen und Schatten.

„Tretet ein und seid willkommen“, ließ sich eine leise Stimme vernehmen, „so hohen Besuch hat man nur selten, Herr Graf.“ Jallik von Wengenholm, der schon auf der Schwelle stand, prallte zurück und spähte in das Dunkel. „Wer bist du, und woher weißt du, wer ich bin?“

Die Stimme antwortete aus dem Dunkel: „Habt keine Furcht, edle Ritter. Wir kennen uns bereits, oder wußtet Ihr etwa nicht, wer in diesem Tale lebt? Weshalb seid Ihr dann gekommen?“ „Wir folgten einer Spur und hofften jemanden zu finden, der uns ein Rätsel lösen kann.“ „Ein Rätsel?“ fragte die Stimme und lachte leise, ein helles, klares Lachen, freundlich und auch ein bißchen spöttisch. „Und wer soll Euch dabei helfen?“

„Jemand, den das Alter weiß und weise machte“, entgegnete Baron Kordan, der hinter dem Grafen stand. „Weiß und weise!“ Wieder dieses helle Lachen. „Dann also stellt Eure Frage.“

Ein Licht flammte auf, und es ward hell in dem Raum, einer kleinen, engen Kammer, in der sich wenig befand außer einem Herd, einer Schlafstelle, einem Tisch mit einem Schemel und etlichen Regalen mit Vorräten und Schnüren voll getrockener Pilze. Am Herd stand eine Frau, alt und mit schlohweißem Haar, die in einem großen Kessel gerührt hatte, aus dem es nun köstlich nach Pilzsuppe duftete. Sie stand ein wenig gebeugt und auf einen knotigen Ast gestützt, schaute aber den Edelleuten mit klarem Blick entgegen.

„Ich will Euch Antwort geben, während wir essen“, sagte sie freundlich. Mit diesen Worten nahm sie den Kessel vom Feuer.

„Habt keine Sorge, es ist genügend da. Aber eigentlich hatte ich einen Gast mehr erwartet, mit einem jungen, kräftigen Appetit“, fügte sie hinzu und allen fiel die nicht ganz schlanke Gestalt des kleinen Metzel ein, den sie oben bei den Pferden gelassen hatten...

„Die Götter zum Gruße, Mütterchen! Hab Dank für deine traviagefällige Einladung – doch was lebst du alleine hier im Walde? Ist dir unheimlig unter den Menschen?“ sprach der junge Rittersmann Lucrann.

Der meergrüne Blick der Alten traf den seinen. „Oh, mein Sohn“, erwiderte das Waldweib in freundlichem Tone, „in Euren Adern fließt nicht nur das Blut eines ungestümen Rittersmannes. Die Kräfte der Natur stehen Euch näher, als Ihr denkt!“ Der so angesprochene blinzelte verwirrt.

„Die ist mir nicht geheuer“, brummte Meister Wilbor im Hintergrunde währenddessen vor sich hin, erntete aber nur verständnislose Blicke von Ritter Falk, dem der würzig-waldige Duft der Pilzsuppe in die neugierig schnuppernde Nase stieg.

„Nun denn, Gevatterin“, sagte daraufhin Herr Jallik zu der Alten, „da du offenbar genau weißt, wer wir sind – so ist’s, bei Travia und dem Herren Praios, recht und billig, daß du uns auch deinen Namen nennest.“ „Man ruft mich Isgrimma vom Walde“, sprach das seltsame Weib und senkte leicht das schlohweiße Haupt.

„So nehmen wir deine gastliche Einladung gerne an, Isgrimma vom Walde. Nicht wahr, meine Jagdgenossen?“ meinte der Graf und wandte sich an seine Begleiter. Die nickten, doch so manche Stirne lag in nachdenklichen Falten.

„Ihr wollt doch nicht etwa von der Suppe essen!“ tönte besorgt der Greifenfurter. „Das kann ja firunweißwas sein...“

„Seid unbesorgt, mein guter Waidmann aus dem Greifenlande“, erwiderte ihm die Frau. „Es sind nur Kupferhelmchen, Zwergenpilze und Rohalskappen darinnen... bekömmlich für Gaumen und Magen.“ „Außerdem sind wir hier nicht in Darpatien...“, fügte Baron Kordan vielsagend und mit einem sarkastischen Lächeln hinzu.

„Ein echter Ritter hat keine Angst vor Pilzen!“ gab auch der kauzige Siebentaler noch zu bedenken. „Ebensowenig vor Orken, Drachen...“ „So werden wir also Pilzsuppe speisen. Trefflich“, meinte zusammenfassend der Geweihte Lucardus, der die ganze Szene mit einer stillen Heiterkeit verfolgt hatte. „Und du hast recht, Mütterchen, wir haben noch einen weiteren Begleiter, dessen jugendlichem Appetit wir den Schmaus nicht vorenthalten wollen.“ Damit ging er davon, um den Knappen des Siebentalers zu holen. „Und sagt ihm, er brauche sich vor Pilzen nicht zu fürchten! Höchstens vor den roten, wenn sie weiße Tupfen tragen!“ rief ihm Falk Barborn nach...