Wolfsjagd zu Wengenholm - Die Zeit drängt

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Wengenholm, 1023

Sie waren frisch gestärkt an Leib und Mut, doch die Erzählungen der alten Isgrimma hatten auch tiefe Sorgen in ihre Herzen gegraben. Baron Kordan sprach aus, was die meisten denken mochten: „Herr Graf, mir scheint, daß dieser Walbrod ein Hexer oder Schwarzkünstler ist – wenn nicht gar Schlimmeres.

Und haben wir nicht in den vergangenen Monden und Jahren nur allzu oft erfahren, wie wenig eine noch so wackere Klinge gegen unheilige Magie nützt?“

„Da habt Ihr recht“, erwiderte der Wengenholmer und fuhr sich gedankenvoll über die Stirne. „Vielleicht sollten wir uns kundigen Beistand holen“, warf der junge Globerich ein, der aufmerksam die Worte seines Barones verfolgt hatte. „Etwa die Magierin Domaris von Atalente, die nicht weit von Bocksbergen wohnt – Ihr wißt, sie hat auch damals den Geistmärker Ochsen...“

Doch bevor der junge Ritter geendet, winkte Herr Kordan ab. „Dies, mein guter Globerich, erscheint mir aus verschiedenen Gründen ... sagen wir, nicht angebracht. Ganz abgesehen davon, daß uns Herr Satinav im Nacken sitzt, wenn ich die Alte recht verstand. Mit andern Worten, die Zeit drängt, und in dieser Nacht sei also getan, was getan werden muß.“

„Das ist freilich wahr“, nickte Globerich. „Sonst hätten wir wohl auch den hehren Orden zur Hanghasenjagd versammeln können.“

„Das wäre wohl das Rechte gewesen“, pflichtete man ihm bei. Da räusperte sich der Greifenfurter Schütze, Wilbor Tannschlag, und sagte: „Wenn’s erlaubtist, Ihr Herren – wir haben ja auch noch den Jagdtroß und den wackern Meister Pannlapp, der irgendwo in diesen Wäldern vergeblich die Spur des Wolfes sucht und bald schon besorgt sein wird, wo Hochwohlgeboren und die übrigen bleiben.“

„Wahrlich!“ rief der Graf aus. „Wir sollten den Troß herbeirufen oder zumindest eine Nachricht senden, was wir vorhaben und wohin wir uns wenden.“ Und zu der Alten gewandt: „Sag an, Mütterchen, wird uns die Zeit reichen, auf unsere Jagdleute zu warten und mit großer Schar gegen Walbrod vorzugehen?

So schicken wir auf der Stelle einen guten Reiter aus, daß er sie hole.“ Doch Isgrimma vom Walde schüttelte das schlohweiße Haupt und wies zum Praiosmal: „Der Tag schreitet voran, und wir sollten vor Einbruch der Dämmerung am rechten Orte sein. Um Eure Gefolgschaft macht Euch indessen keine Sorgen, Herr Graf. Ihr müßt auch keinen Eurer Ritter als Boten entbehren – selbst wenn er den Troß so rasch fände, er wüßte doch nicht, wohin er ihn zu führen hätte.

Gebt Ihr mir statt dessen eine Nachricht für Euren Jagdmeister und ein untrügliches Zeichen, daß sie von Euch stammt. Seid gewiß, sie wird den Troß erreichen. Setzt nur hinzu, daß man dem Überbringer dieser Nachricht folgen und sich weder wundern noch fragen soll.“

Der Graf hob die Brauen: „Seltsame Worte sprichst du, Weib. Wen willst du als Boten ausschicken, wenn du selbst uns zu Walbrods Versteck führen willst? Du lebst doch hier alleine, oder verbirgst du jemanden? – Es spreche ohne Geheimnis, wer Vertrauen fordert! pflegte unser Kaiser Hal, Boron hab ihn selig, oft zu sagen.“

„Wenn Ihr mir mißtraut, Graf von Wengenholm, warum wollt Ihr Euch dann meiner Führung überlassen?“ fragte das Waldweib leise.

Die Ritter wagten für einen Herzschlag nicht zu atmen, denn in den Augen des jungen Grafen blitzte es von Stolz und Wut, weil eine alte Kätnerin es wagte, so mit ihm zu reden.

Und wer weiß, was als nächstes geschehen wäre, hätte sich in diesem Augenblick nicht König Kasimir, der treue Hund des Stolzenburgers, behaglich zu Füßen des Mütterchens niederlegt und dem hochwohlgeborenen Herren einen gar seltsamen, fast vorwurfsvollen Blick aus braunen Hundeaugen zugeworfen.

Der junge Metzel stieß mit einem überraschten Pfiff die Luft aus den Lungen. „Die Hunde wissen’s immer“, murmelte er ganz leise, doch der Graf besaß scharfe Ohre und wandte sich um. „Wie meinst du das, Bursch?“ fragte er.

Metzel zuckte zusammen und wünschte sich, geschwiegen zu haben; dann brachte er mühsam hervor: „Verzeihung, Hochwohlgeboren, aber das hat mein Großvater immer gesagt. Wenn seine Hunde, und er hat ja derer allzu viele, einen Fremden mochten, dann war’s wohl gut so... und wenn nicht... ach“, setzte er seufzend hinzu und dachte gewißlich an das schmachvolle Mißgeschick des Ritters Trest von Porquidstreu, dessen Knappe er eigentlich hatte werden sollen.

„Ja, das stimmt, das hab’ ich den alten Herrn auch schon sagen hören!“ bekräftigte Ritter Falk. „Brav, Metzel, immer schön drauf hören, wenn was die Väter sagen... und die Großväter... und natürlich die ritterlichen Lehrherren, das besonders!“

„Ihr Herren, mir ist hier nicht zum Scherzen zumut“, gab Graf Jallik barsch entgegen. „Ich glaube nicht, daß der junge Metzel es im Scherze meinte, Hochwohlgeboren“, erwiderte Vogt Stolzenburg. „Auch der Baron von Geistmark wird mir beipflichten, daß sich ein Jäger auf den Instinkt seines Hundes am ehesten verlassen kann.“

„Das tut der Baron von Geistmark in der Tat“, antwortete der Genannte kurz und bündig. „Nun denn, Alte“, sprach der Graf nach einem kurzen Augenblick des Sinnens. „Du hast gute Fürsprecher gefunden. So will ich eine Nachricht schreiben und lege diesen Ring hinzu, den Meister Pannlapp gewiß als Zeichen erkennen wird.“

Und er ließ sich ein Stück hellen Stoffes reichen und schrieb darauf ein paar eilige Zeilen. Die Botschaft ward zusammengerollt und in den Ring geschoben, dieser in Isgrimmas Hand gelegt. Sie nickte.

„Wir sollten nun so rasch wie möglich aufbrechen. Erwartet mich bei Euren Pferden“, sprach sie und verschwand für eine Weile hinter ihrer Kate. Ob und wie sie dort Sorge trug, daß die Nachricht überbracht wurde, wußte keiner der Edlen zu sagen.