Hochwürdens Wahl

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Ausgabe Nummer 27 - Travia 1023 BF

Hochwürdens Wahl

Ein Altarschwert für Baduars Stift

ANGBAR. Erst kürzlich betrat Herr Leodan von Tandosch als neuer Hochgeweihter die heilige Halle der Rondra auf der Kuppe des Dwulin. Und obgleich Seine Hochwürden aus dem Hinterkosch stammen, setzte er eine koscher Sitte fort, die ihre Wurzeln in den Tagen Halmdahls des Keilers hat und fast schon in Vergessenheit geraten war: nämlich, daß ein Vorsteher nach seiner Weihe ein neues Zeremonienschwert anfertigen läßt oder eine berühmte Klinge zu diesem Zwecke stiftet. Denn es heißt, daß man an dieser Wahl erkenne, wie der Geweihte seine Gemeinde führen werde.

Fast allerdings wäre es zum Streit gekommen, weil der Herr Leodan einen Schmiedemeister seiner Heimat mit diesem Auftrag ehren wollte; doch dagegen wehrten sich die Angbarer Klingenschmiede und ihrem Sprecher Anghalm Eisenstrunk mit so großer Heftigkeit, daß angeblich der Erhabene Ibralosch, Sohn des Igen, eine vertrauliche Botschaft an seinen rondrianischen Amtsbruder entsandte. Zumindest hat man in diesen Tagen einen Priester der Flammenden & Erzkirche das St.-Baduar-Stift aufsuchen und mit zufriedener Miene zum Feuerplatz zurückkehren sehen.

Also wurde die ehrenvolle Arbeit einem einheimischen Meister anvertraut, dem ehrwürdigen Ubarosch Silberhaar aus der Eisengasse. Man übergab ihm einen Stich mit dem gewünschten Aussehen des Schwertes, und der wackere Schmied machte sich ans Werk. Als aber die vereinbarte Zeit für die Fertigstellung der Waffe verstrichen war und zwei Tage ins Land gezogen waren, ohne daß der Schmiedemeister von sich hören lassen hatte, wollte der Hochwürden Leodan eben einen Novizen aussenden, denn der Tag des Schwurs sollte auch der der Weihe des Altarschwerts sein. Justament aber erklommen Silberhaar und seine Gesellen die Stufen des Tempels und präsentierten das Werkstück.

Welche Überraschung aber erlebte Hochwürden Leodan und die Seinen: was Silberhaar da brachte, war nicht wie gewünscht ein Rondrakamm mit kupfergeflammter Klinge und Löwenköpfen an Knauf und Parierstangen mit Augen aus Opal … sondern ein schlichtes, schlankes Schwert ohne jede Verzierung.

Erbost wollten die Rondrianer die Arbeit zurückweisen und den Vertrag für nichtig erklären, da winkte Meister Silberhaar seiner Gesellin. Diese trug ein weiteres Futteral herbei, schlug das Tuch zurück, und siehe! dies war nun die Waffe, ebenso schön und prächtig, wie sie Herr Leodan bestellt hatte. Beide legte der Schmied vor den Hochaltar. Der jedoch stammt noch aus ältester Zeit und ist in einem Stück aus andergaster Steineiche geschnitzt, Rondras heil’gem Baum.

„Wählt nun“, sprach Silberhaar, „welches Werk Euch angemessener erscheint.“

Da blickte der Herr von Tandosch in die Runde seiner Brüder und Schwestern, deren kleine Zahl sich in dem gewaltigen Bau zu verlieren schien, und schließlich griff er nach dem ersteren, dem schlichten Schwerte. „Ihr habt recht, Väterchen“, sprach er leise, „daß in diese Zeiten eine solche Klinge gehört. Doch laßt uns auch die andere – so Rondra will, werden wir sie dereinst mit Recht und Stolz zu ihrem Altar tragen.“

Karolus Linneger