Gedanken einer alten Frau

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Grimsaus Ehr, 1032 BF

"Ob aus dem Jungen irgendwann ein richtiger Grimsauer wird?"
Brodlinds Gedanken kreisten an diesem Abend erneut um ihren Enkel Rainfried. Die letzten Strahlen der Praiosscheibe verschwanden bereits hinter dem Horizont, und die alte Frau entzündete eine Wachskerze, die ihr von Hannafrid geschenkt wurde.
"Eigentlich eine nette Frau, wenn da nicht die eindeutigen, unziemlichen Blicke wären, die sie ihrem Mann in der Öffentlichkeit zuwirft. Andererseits, vielleicht wird ja Rainfried davon angesteckt, und begibt sich endlich auf Brautschau, wie es einem Mann von Stand in dem Alter geziemt."
Nur kurz wanderte ihr Gedankenstrang zur Imkerin des Dorfes, um gleich darauf wieder zu ihrem Lieblingsthema zurückzukommen.
"Wenn er sich doch endlich von diesem almadanischen Paradiesvogel Madalein lösen könnte! Die Frau ist nichts für ihn, und das weiß sie selber auch! Nur dieser dumme Bub nicht! Aber ausgerechnet dabei muss er ganz dem Vater nachgeraten. Anstatt sich eine vorbildliche Gattin aus dem Kosch zu suchen, musste Rahja Eberwulf nach Almada führen. Almada! Warum nicht wenigstens der Hinterkosch? Und wozu hat es geführt? Wüstenhunde haben ihn gemordet! Beim Schutz eines Landes, das nicht einmal das Geburtsland der Grimsauer ist!"
Brodlind griff mit vor Zorn zitternder Hand nach dem halbvollen Becher Strammen Muktur, der neben dem aufgeschlagenen Buch stand. Ein heftiger Luftzug ließ sie frösteln, und der trockene Wein war genau richtig, um sie von innen heraus zu wärmen. Und er betäubte die schmerzenden Gedanken an den viel zu früh verlorenen Sohn.
Fast zärtlich strich sie über den Namen ihres Sohnes im Buch, hinter den bereits das zerbrochene Rad gezeichnet war. Kurz verweilte ihre Hand über dem Namen ihres zweiten Sohnes, Hagen. Auch hier fand sich dahinter das zerbrochene Rad. Jedoch mit zwei Flügeln darüber, die zeigten, dass sich Hagen dem Orden der Golgariten angeschlossen hatte. Nicht tot, doch für den Erhalt der Familie genauso verloren wie der älteste Sohn.
Brodlind fröstelte trotz des Weins, und wickelte sich in eine Decke ein, um dem alten Körper auch von außen etwas Wärme zukommen zu lassen. Gedankenverloren blätterte sie weiter in dem Buch.
Das Familienbuch der Grimsauer, der größte Schatz, den die Familie noch hatte, nachdem sie vor über 300 Götterläufen alle Ländereien verloren hatte. Es beeinhaltete jeden Angehörigen, seit der Erhebung in den Adel, bis zum letzten Nachkommen der männlichen Linie, Rainfried.
"Und der Bengel hat doch tatsächlich geschafft, dass die Familie wieder ein neues Heim bekommt." Brodlind musste lächeln. "Vielleicht ist ja Hopfen und Malz doch noch nicht bei ihm verloren."
Ihr Blick ging aus dem Fenster nach draußen, wo sich die Dunkelheit immer weiter ausbreitete.
"Auch wenn das Fleckchen Land mitten im Sumpf ist, und mir die nasse Kälte bis in die Knochen steigt. Hätte ja auch ein Gut am Angbarer See sein können. Da wär es angenehmer."
Ihr Lächeln wurde wieder zu der für sie üblichen griesgrämigen Miene.
"Der Vogt allerdings, der wär schon recht, um mir die alten Tage noch zu erwärmen."
Erneut zuckten die faltigen Mundwinkel in einer Andeutung eines Lächelns nach oben. Sie war im Buch wieder auf den letzten Seiten, und erneut strich ihre Hand über einen Namen, Wulff.
"Keine Angst, mein Wolf. Ich werd dir auf meine letzten Tage schon nicht untreu. Lang dauert es nicht mehr, und wir sind wieder vereint."
Ihre Gesichtszüge wurden weicher, und vereinzelte Tränen liefen über die trockenen, eingefallenen Wangen. Sie füllte den leeren Becher erneut an, und nahm einen weiteren tiefen Schluck. Auch wenn sie die Vermischung mit Almadaner Blut in der Familie nicht gutheißen konnte, so wusste sie doch, die Vorzüge davon zu schätzen.
"Aber noch bin ich nicht soweit. Noch habe ich das Versprechen zu erfüllen, dafür zu sorgen, dass die Familie bestehen bleibt."
Brodlind blätterte weiter zurück in dem Buch, blieb nur kurz bei dem Namen Anger von Grimsau hängen. Ein Name, der so deutlich wie kein anderer machte, wofür die Familie stand, und doch genauso deutlich wie kein anderer Schande über sie gebracht hatte.
Sie blätterte noch ein ganze Zeit weiter, tief in Gedanken, ob bei der anstehenden Turney zu Ehren des jungen Prinzen vielleicht auch eine annehmbare Frau für ihren Enkel dabei sein würde. Der Wein forderte letztlich, zusammen mit der wärmenden Decke, seinen Tribut, und Brodlind schlief über diesem Gedanken ein.
Ein weiterer Luftzug ließ sich erneut schaudern und aufwachen. Die Kerze war bis auf einen kleinen Rest herunter gebrannt. Doch das Licht reichte noch vollkommen aus, um zu sehen, dass der Weinbecher umgekippt war. Ungläubig starrte Brodlind auf das vom Wein getränkte Buch. Die Hände versagten ihr im ersten Moment den Dienst, als sie die Seiten voneinander lösen wollte. Die Namen waren kaum noch lesbar, teilweise völlig verwischt! Als sie das Zittern der Hände wieder kontrollieren konnte strichen ihre Finger über einen völlig unleserlichen Namen.
„Wolf?"
Die ganze Siedlung Grimsaus Ehr wurde kurz danach geweckt, von einem nahezu unmenschlichen Schrei, der Verzweiflung, Wut, Trauer und tiefsten Schmerz beinhaltete.