Kein guter Tag für Zwerge
„Was für ein scheiß Tag!“ brummelte der Zwerg vor sich hin. Ramburox wandte seine Augen zum Himmel. Die dichten roten Augenbrauen machten es ihm gerade noch erträglich, die hell gleißende Scheibe, die am Himmel stand und zwischen den Ästen der Bäume durch blitzte, zu betrachten. „Das Ding brennt einem ja wirklich die Vernunft aus dem Schädel. Kein Wunder, dass die Verrückten, die hier oben leben, so verrückt sind.“ Langsam suchte er sich weiter seinen Weg durch den spätsommerlichen Wald, lautstark den Moment verfluchend, an dem er auch nur einen Fuß außerhalb Tosch Murs gesetzt hatte. „Geh nach oben, hat er gesagt! Pah! Geh besondere Steine suchen, hat er gesagt. Pah! Wollt mich doch nur loshaben, damit ich ihm nicht im Weg stehe, wenn er wieder seinen Wühlschrat melkt! Hätt’ er ja auch sagen können. Pah! Aber nein, er will ja, dass sein Sohn ein Meisterstück mit Oberflächensteinen macht! Pah!“ Wütend trat er gegen einen kleinen Stein auf dem Wildpfad, dem er folgte. Der Stein wich jedoch keinen Halbfinger, so dass Ramburox mit einem Bein durch den Wald hüpfte, den Fuß des anderen in den Händen haltend. „Oberflächensteine! Ich sag’s doch!“ Er setzte sich auf seinen Hosenboden, den angestoßenen Zeh zwischen den Händen reibend. „Hier oben ist sogar der Fels gemeingefährlich! Angrosch, bring mich weg von hier! Mach mir ein Loch auf, und bring mich in unsere Hallen zurück!“ Doch Angrosch wollte ihm wohl nicht antworten, und so ging der Zwerg mit noch schlechterer Laune weiter. „Was für ein scheiß Tag!“
„Was für ein schöner Tag!“ Der Reiter hielt sein Pferd kurz an, und genoss die wärmenden Strahlen der Praiosscheibe auf seiner Haut. Sie stand schon weit im Efferd, und lang würde es nicht mehr dauern, bis sie völlig am Horizont untergegangen sein würde.
Anger ritt gerne alleine aus, nicht, um sein Land zu begutachten, sondern hauptsächlich, um den, in seinen Augen völlig verblendeten Speichelleckern auf der heimischen Burg auszukommen. „Halmdahl hier, Halmdahl dort. Egal, wo man hingeht, es gibt nur noch Halmdahl. Den Koschkeiler nennen sie ihn jetzt schon! Bald traut sich keiner mehr was gegen den Fürsten sagen! Würde mich nicht wundern, wenn er noch zu Lebzeiten heilig gesprochen wird. Ha!“ Er erhöhte den Druck auf die Flanken seines Pferdes, und in langsamen Tempo ritt er weiter, die Burg Grimsau immer weiter hinter sich lassend.
„Sogar Vieska fängt schon damit an!“ Seine Gedanken schweiften zu seiner Gemahlin ab, die im vierten Monat von Tsa gesegnet war. „Das kann für das Kind nicht gut sein. Das kommt auf die Welt und sagt zu dem Eberstamm Papa, statt zu mir!“ Er ballte die Faust fest um die Zügel. „Ach, was red’ ich. Das liegt sicher nur an dem Umstand, dass sie schwanger ist. Da werden die Weiber immer etwas seltsam.“
Anger schüttelte kurz den Kopf, und wollte das Pferd bereits zur Umkehr bringen, als er ein leises Donnern hörte, dass von den nahen Bergen herüberschallte. „Oh jeh. Vorwärts, Schwarzer. Schauen wir zu, dass wir zurückkommen, bevor uns die Herrin Rondra die Blitze um die Ohren wirft, und der Herr Efferd uns von oben her zuschüttet.“
„Und jetzt werd’ ich auch noch von oben her zugeschüttet!“ Ramburox blickte missmütig wieder nach oben zum Himmel. Dunkle Wolken bauten sich dort bereits auf, vereinzelte Blitze zuckten über das Firmament. Er warf den kleinen Stein, den er kurz vor dem Donnerschlag aufgehoben hatte, achtlos in den Boruk an seiner Seite.
„Wo find ich jetzt einen Unterstand?“ Er hatte in den Tagen seine Wanderschaft schon mehrere Regenfälle erlebt, und so war dieser für ihn mehr lästig als überraschend. „Wär ich jetzt daheim, müsst ich mir um so was keine Gedanken machen! Angrosch, ich könnt immer noch das Loch brauchen!“
Aber wieder antwortete ihm sein Gott nicht.
„Dann grab ich mir halt selber eins! Wenn ich nur was zum Graben hätte.“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, öffnete der Himmel seine Schleusen, und ein massiver Regenschauer durchnässte Ramburox binnen weniger Sekunden.
„Das wird ja …!“
„… immer besser!“ Anger sah kaum mehr als 20 Schritt weit, so dicht war der Regen und der vom aufgeizten Boden aufsteigende Nebel. Wo genau er sich befand, konnte er schon seit Langem nicht mehr sagen. Er kannte die Wälder in Lûr eigentlich zur Genüge, besonders die um sein Gut, aber ohne einen einzigen Anhaltspunkt war auch er völlig orientierungslos. Er stieg ab, und vorsichtig führte er seinen schwarzen Warunker am Zügel durch den immer matschiger werdenden Wald auf der Suche nach irgendeiner Möglichkeit zum unterstellen.
Nach einiger Zeit konnte Anger durch den Regen ein leises Rauschen hören. Er hielt kurz inne, und versuchte, die Quelle des Rauschens genauer auszumachen. Ein erleichterter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Das wird sicher…“
„…ein Fluß sein!“ Die zu Zöpfen geflochtenen Barthaare des Zwerges hingen ihm wie tote Schlangen herunter, und das Wasser tropft vom Helm immer wieder auf die Nase des Zwergs oder in die Augen. Missmutig trottete er weiter bis er tatsächlich an einem kleinen Fluss angekommen war. „Und jetzt?“ Ramburox war vieles, aber ein guter Schwimmer war er nun wirklich nicht. „Bei meinem Glück muss ich da auch noch rüber. Mal sehen, ob sich ein Übergang findet.“
Er ging das Ufer des Flusses entlang, und nach einer kleinen Ewigkeit, die der Zwerg in Tropfen bemaß, die ihm inzwischen in den Nacken fielen, erkannte Ramburox einzelne Steine, die aus dem Fluß hervorragten, wohl von Generationen von Jägern und Waldkundigen glatt getreten. „Wenn das mal nicht ein Zufall ist! Da drüben scheint mir doch tatsächlich eine Höhle zu sein! Woher hab ich das nur gewusst. Natürlich muss ich rüber.“
Vorsichtig watete Ramburox durch das seichtere Uferwasser bis zum ersten Stein, und mit einem kurzen Satz war er auch schon auf diesem.
„Na bitte. Geht doch. Und jetzt Stein für Stein ins Trockene! Angrosch, ich brauch dein Loch nicht! Hilf mir lieber über die Steine.“
Aber auch diesesmal hörte Angrosch seinen kleinen Diener nicht.
Mit einem lauten „Whoa!“ rutschte der Zwerge auf einer glitschigen Stelle des Steins aus, auf den er gerade gesprungen war. Ramburox Welt kehrte sich von unten nach oben, als er auf dem Wasser aufschlug, und die Strömung ihn immer wieder nach unten zog. Das Gewicht seines Kettenhemdes und Helms tat sein übriges, und so sank er immer weiter nach unten im Wasser. Die letzten Gedanken, bevor ihm die Luft ausging, und um ihn herum alles schwarz wurde waren „Wär ich doch nur…“
„…zu Hause geblieben.“ Anger hatte den Fluß gefunden, und auch die Höhle war ihm aus früheren Streifzügen durchaus bekannt. Jäger nutzten sie als Unterschlupf für die Nacht, und hatten im Laufe der Jahre eine kleine Feuerstelle sowie eine Schlafstatt ausgehoben. Und auch, wenn das kleine Feuer in der Feuerstelle schon vor sich hin prasselte und wenigstens etwas Wärme in seinen durchnässten Leib brachte, so wäre er jetzt doch um einiges lieber in der Burg gewesen, Vieska an seiner Seite. „Sofern sie nicht wieder von den neuesten ‚Helden’taten des Fürsten schwärmt. Eines Tages muss ich ihr wohl doch beweisen, dass ihr Mann der größere Held ist.“ Anger seufzte kurz, und wollte seinem Pferd gerade den Sattel abnehmen, als er von draußen eine Stimme hörte. Viel konnte er nicht verstehen, da sein Rogolan nicht das Beste war. Aber das „Whoa!“ war ihm deutlich genug. Er lief zum Ausgang der Höhle und konnte gerade noch sehen, wie ein Zwerg in voller Rüstung ins Wasser stürzte, und verzweifelt den Kampf gegen die Fluten verlor. In aller Eile befestigte er das Sattelseil am Knauf und um seine Hüfte, und sprang dem Zwerg hinterher ins Wasser.
Auch wenn die letzten Tage äußerst warm gewesen waren, der Fluss selber war so kalt, dass sich Angers Brustkorb nur mit Mühe dazu überreden ließ, tief Luft zu holen. Er tauchte hinab, und griff nach dem Fuß des Angroschims im Wasser. Seine Finger ertasteten etwas und seine Hand schloss sich um den Stiefel. Mit zwei kräftigen Fussstößen versuchte der Grimsauer wieder an die Wasseroberfläche zu kommen, doch das Gewicht in seiner Hand wog zu schwer. Auch Angers Lungen begannen zu brennen, als er plötzlich Boden unter den Füßen spürte. Die leblose Gestalt weiterhin festhaltend, zog er sich an das Ufer, den Zwerg mit seiner letzten Kraft hinterher.
Nach ein paar Minuten, in denen er wieder zu Luft kam, erhob sich Anger und blickte auf den kleinen Mann neben sich, dessen Brustkorb sich mühsam senkte und hob.
„So, und jetzt sehen wir zu, dass wir uns ins Trockene bekommen.“ Den Zwerg unter den Achseln greifend, zog er ihn in die Höhle. Nachdem er ihm den Helm, das Kettenhemd und die Stiefel ausgezogen hatte, wickelte er ihn in die Satteldecke ein, nahe am Feuer, in das er noch zwei weitere kleine Scheite warf, um mehr Wärme zu erzeugen.
„Das hast du gut gemacht.“ Anger streichelte seinem Pferd über die Nüstern. „Sobald wir zurück sind, bekommst du eine Extraration Rüben und Äpfel. Und die Stallburschen sollen dich so richtig glänzend bürsten!“
Langsam forderte die Anstrengung ihren Tribut, und auch der Grimsauer legte sich, eingewickelt in eine Decke neben das Feuer auf die Schlafstatt und schlief ein, sobald sein Kopf den Boden berührte.
Langsam kam Ramburox wieder zu sich. Die Knochen taten ihm weh, und er fror ganz erbärmlich. „Angroschs Esse ist das nicht, es sei denn, ihm sind die Kohlen ausgegangen.“ dachte er sich. Ein Zupfen an seinen Barthaaren bestätigte ihm, dass er noch nicht zu seinen Vorfahren zurückgekehrt war. Vorsichtig öffnete der Zwerg die Augen, und starrte mitten in ein hässliches, langgezogenes Gesicht. „Bei Angrosch! Drachen! Drachen!“ Mit aller ihm verbliebenen Kraft sprang Ramburox auf, und griff zu seiner Waffe… die sich nicht an seinem Axtgehänge befand. Was daran lag, dass auch sein Axtgehänge nicht um sein Kettenhemd geschnürt war, und dieses wiederum nicht auf seinen Schultern ruhte. Er war völlig nackt.
„Ganz ruhig, Schwarzer. Er hat sich nur erschreckt. Was musst du auch an seinem Bart rumknabbern, der schmeckt doch nicht.“ Anger blickte zu dem Zwerg. „Einen guten Morgen wünsche ich. Ich hoffe, ihr habt einigermaßen gut geschlafen? Verzeiht, wenn mein Pferd euch so unsanft geweckt hat.“
Ungläubig blickte Ramburox auf das Pferd, dann wieder zu dem Mann, der vor einem brennenden Feuer saß, ein Stück Fleisch am Spieß darüber bratend.
„Wollt ihr auch etwas? Verzeiht meine Manieren.“ Anger stand auf. „Anger von Grimsau. Herr über die Burg Grimsau und die sie umgebenden Gehöfte. Und ihr seid?“
Ramburox stand mit weit geöffnetem Mund da. Er verstand zwar das Garethi des Mannes, doch war er viel zu verwirrt, um zu antworten. Und eigentlich war er auch wütend darüber, nackt vor einem Gigrim zu stehen, und ein Pferd mit einem Drachen verwechselt zu haben.
„Nun, wenn ihr mir euren Namen nicht sagen wollt, so seid ich halt für mich einfach ‚Einzwerg’. Einverstanden? Gut.“ Anger setzte sich wieder und schnitt mit dem Messer ein Stück Fleisch vom Spieß. Kauend deutete er auf ein Bündel am Höhlenende. „Ihr solltet auf euer Kettenhemd acht geben, das ist gut nass geworden. Nicht, dass es zu rosten beginnt.“
Ramburox drehte sich um und stapfte rot vor Wut zu seinen Sachen. „Jetzt muss ich mir von einem Großling auch noch sagen lassen, wie ich mein Kettenhemd pflegen soll. Was kommt als nächstes? Ein Bunferatosch, der mir beibringen will, wie man die Armbrust schießt?“ Er zog sein Unterzeug wieder an, nahm den kleinen Schlauch mit Öl aus seinem Beutel, der ebenfalls bei seinen Sachen lag, und setzte sich an das Feuer, die einzelnen Kettenglieder abwechselnd abreibend und wieder einölend.
„Bevor ich es vergesse.“ Anger richtete sein Wort wieder an Ramburox. „Ihr seid wohl wirklich von Phex gesegnet, Einzwerg.“ Er griff in den kleine Beutel an seinem Gürtel. „Das hier hat sich bei eurer unfreiwilligen Taucheinlage in eurem Helm verfangen.“ Er ließ einen kleinen, glitzernden Stein zwischen den Fingern wandern. „Es ist selten, dass man in dem Fluss Edelsteine findet. Ihr scheint eine Nase dafür zu haben!“
Ramburox blickte gebannt auf das kleine Juwel in der Hand des Menschen. „Dann habt ihr mich also aus dem Wasser gezogen?“
„Oh! Ihr versteht mich also doch. Schön. Ja, das habe ich. Und als Entlohnung für diese Tat nehme ich diesen Stein in Anspruch, Einzwerg.“ Anger grinste dem Zwerg zu.
„Den sollt ihr haben. Aber nennt mich noch einmal Einzwerg, und ich werde euch mit nach Tosch Mur nehmen, damit mein Vater euch persönlich auskochen kann.“ Sein Blick löste sich von dem Stein und seine Augen fixierten die Angers. „Ich heiße Ramburox.“
„Ich sehe schon, das ist der Beginn einer guten Freundschaft, Einz… Ramburox.“ Angers Lachen füllte die Höhle.
Ramburox lachte jedoch nicht mit, wusste er doch, dass so ein kleiner Stein nicht die Lebensschuld aufwiegen konnte, die er dem Grimsauer jetzt fällig war. Und so griff er zum letzten Stück Fleisch, dass schon etwas angebrannt war, und murmelte kaum verständlich vor sich hin. „Was für ein scheiß Tag!“