Die Jägerklause von Kargen
Schänken des Kosch: Die Jägerklause von Kargen
Am Ortsrand von Kargen liegt die Jägerklause, die ein altgedienter Wildschütz vor nunmehr vierundzwanzig Götterläufen dort errichtete. Heute erhält der hungrige und müde Wandersmann dort weder Speis’ noch Trank; das Dach ist eingestürzt, und in der Küche hausen Feldhamster und Eichhörner. Warum aber berichtet der Kosch-Kurier dann über diese Schenke, wird sich der geneigte Leser sicher fragen. Wir tun es, weil damit eine seltsam-traurige und auch lehrreiche Geschichte verbunden ist:
Über zwei Jahrzehnte also ist es her, dass der Jäger Anselm Rotpusch nach Kargen kam, um sich dort niederzulas- sen und ein Gasthaus zu eröffnen. Er verstand sich nämlich nicht nur aufs Schießen, sondern auch aufs Kochen. Im Orte gab es damals nur den Dorfkrug, eine – man muss es sagen – mehr recht als schlecht geführte Stube. Insofern hatte Anselm Rotpusch gute Aussichten, mit einer rechten Wirtschaft sein Glück zu machen – und dem eingesessenen Wirte wurden die Augen groß, als er die schmucke neue Schenke am Ortsrand erblickte und das bunte Schild, das über der Tür alsbald im Winde baumelte. Anselm Rotpusch war aber nicht nur tüchtig, sondern auch pfiffig, und so wartete er nicht darauf, dass die Gäste zu ihm kamen, sondern ging an einem schönen Nachmittag durchs Dorf und forderte die Leute auf, zum Abend nach getaner Arbeit doch bei ihm „einzuschmecken“, wie man so schön sagt.
In der Tat trieben Appetit und Neugier so manchen Gast in die Stube des neuen Wirtes; darunter waren etliche vom Hügelvolk, deren grüne Häuser man in dieser Gegend in großer Zahl findet. Unter ihnen war auch Mütterchen Stulpwurtz, eine Schusterin, der gutes Essen über alles ging. Sie hatte sich in großer Erwartung das „Jägerpfännchen“, die Spezialität des Hauses, bringen lassen, die von weitem schon ganz verführerisch duftete. Doch als der Wirt das nächste Mal nach diesem Gast sah, fand er die Zwergin beinahe betrübt vor ihrem Teller sitzen, mit der Forke im Essen herumstochernd. „Schmeckt Euch das Pfännchen nicht, Mütterchen?“, fragte Anselm Rotpusch sie besorgt. „Oder ist euch nicht wohl?“ – „Ach doch“, erwiderte die Stulpwurtz, „und das Fleisch ist auch recht saftig und zart, und die Tunke dick und rahmig... Aber... ach, wo sind denn nur die Pilze?“
Da musste Anselm Stulpwurtz ihr gestehen, dass er in seiner Küche keine Pilze verwende, da er selbst einmal an einer Pilzvergiftung schier zu Tode gekommen sei und daher einen Ekel vor diesen Gewächsen verspüre. Die Schusterin sah ihn bestürzt an: „Wie meint Ihr? Keine Pilze? Keine Pfifferlinge zu den Klösen? Keinen Helmling zum Wildragout?“ Der Wirt bestästigte ihr das bedauernd – und mochte noch so sehr beteuern, dass sonst aber alles gut Koschere auf seinen Tisch komme und mit aller Herzensliebe zubereitet werde --- die Stulpwurtz verließ kopfschüttelnd die Schenke, ohne ihren Teller leer gegessen zu haben, was ihr sonst nur ein zwei oder drei Mal im langen Leben widerfahren war, und ging hinüber in den alten Dorfkrug, um den Schreck in einem Schank Angbarer Alt zu ertränken.
Der Vorfall aber sprach sich herum im Orte, wahrscheinlich genährt und warm gehalten durch den Wirt vom alten Krug. Und so kam es, dass sich kein Gast mehr in der Jägerklause einfand, auch wenn der gute Anselm Rotpusch manches unternahm, um sein Geschäft am Leben zu erhal- ten. Allein das Einzige, was Not tat, nämlich gute Pilzgerichte anzubieten, brachte er nicht über sich. Und so verließ er nach nicht einmal einem Mond das Dorf – er soll hinunter nach Almada gegangen sein, heißt es, wo man keine Pilze isst, sondern Trauben zu Rosinen trocknet; was aber wirklich aus ihm geworden ist, das weiß niemand so recht. Die Jägerklause steht seitdem verlassen – wobei in dem verwilderten Gärtchen hinter dem Haus die schönsten Helmlinge der ganzen Gegend wachsen...