Der Schwurbund im Streit

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Ausgabe Nummer 55 - Rondra 1035 BF

Der Schwurbund im Streit

Hader statt Festlaune im Steinernen Tal


ANGENBURG. Einigkeit und Treue schworen sich die Orte Wengenholms im Jahr des Feuers, als der Alagrimm das Land verheerte. Doch von Einigkeit war am 7. Schwurbundfest im Steinernen Tal wenig zu merken. Stattdessen stritten sich Landvolk und Adelige und gingen einander an die Gurgel, bis die einen im Zorne den Ring verließen.

Seit dem Jahr des Feuers treffen sich die Vertreter der Wengenholmer Sendschaften immer am 7. Tag des Ingerimmsmondes, um den Bund zu feiern, den sie untereinander und mit dem Grafen Jallik geschlossen haben. Die Sendriche von gut vierzig Ortschaften ziehen mit ihrem Gefolge unter dem Sendschaftszeichen ins Steinerne Tal südöstlich der Angenburg, wo sich 1027 BF die ursprünglichen sieben Dörfer zum Schwur versammelt hatten. Einerseits werden im Ring der Sendriche wichtige Themen und Anliegen diskutiert und – mit Zustimmung des Grafen – Beschlüsse gefasst. Andererseits wurde bisher auch immer ausgelassen gefeiert. Am Festessen und an den Wettkämpfen des Schwurbundsfestes darf auch das Gefolge der Sendriche teilnehmen, doch aus dem Ring bleibt es ausgeschlossen. Daher kann der Schreiber des KOSCH-KURIERS im Weiteren nur berichten, was ihm zugetragen wurde.

Wie jedes Jahr eröffnete Graf Jallik von Wengenholm als Schirm- und Lehnsherr den Ring mit einer kurzen Grußrede. Danach erbat, wie gewohnt, Äbtissin Perdita vom Greifenpass den Segen der Mutter Travia und ihrer Geschwister für die Versammlung und leitete die Sendriche an, wie sie den Schwur feierlich erneuerten. Alsbald aber kam es zum ersten Tumult. Denn zum Schlichter, dem Leiter des Rings, wurde zum ersten Mal nicht der weise alte Niglas Bollenflug aus Groinhag gewählt, sondern sein kaum 40-jähriger und noch dazu glattrasierter Konkurrent Hadubald Waldmann, Sendrich für Passweiser. Die Überraschung war groß, und manch einer verlangte eine Nachzählung der Stimmen, die nach zwergischem Brauch als Steinkugeln von verschiedener Farbe abgegeben worden waren. Auch nachdem der Graf und Äbtissin Perdita die Richtigkeit des Ergebnisses bestätigt hatten, konnte sich keiner so recht erklären, wie es dazu gekommen war. Gewiss, das Alter zehrte an den Kräften des alten Bollenflug, und im letzten Jahr hatte er mehrere Wortmeldungen aufzugreifen vergessen und war einmal gar eingenickt. Und ja, unter den neueren Sendschaften hörte man Stimmen, die Urschwörer hätten lang genug den Ton angegeben. Auch hat man Waldmann im Vorfeld mit manchem Sendrich ein kleines Gespräch führen und ein Schnäpschen kippen sehen. Dennoch galt bis zuletzt als ausgemacht, dass kein anderer als der ehrwürdige und erfahrene Gevatter Bollenflug zum Schlichter bestellt würde.

Wie dem Schreiber zu Ohren kam, schien auch der Gevatter selbst dieser Ansicht. Denn kaum war die Wahl bestätigt, erhob er sich von seinem Sitz und wollte eine einstündige Pause verordnen, ganz als wäre er in Amt und Würden. „Du hast hier nichts mehr zu sagen!“, sei ihm der Waldmann über den Mund gefahren. „Aber wenn du das nicht merkst, machst du wohl am besten gleich den ganzen Tag Pause!“ Der gehässige Einwurf brachte dem Passweisener manch bösen Blick ein, sodass er sich beeilte, „Ein Scherzchen!“ nachzuschieben und umgehend seinerseits eine Unterbrechung von einer Stunde anzusetzen.

Zum Amt des Schlichters gehört es, die Tagesordnung für den Ring zusammenzustellen anhand der Anliegen, welche die Sendriche zuvor angemeldet haben. Hier zeigte sich, dass Waldmann andere Vorstellungen hatte als Gevatter Bollenflog. Der hatte jeweils zwischen jedes ernste oder umstrittene Anliegen ein lockeres, freundliches gesetzt. Dagegen schien es Waldmanns Absicht, alle schweren Brocken gleich zu Beginn abzuhandeln. Zuoberst stand eine Klage der Sendschaften Wintrang und Borrlingsheim gegen keinen Geringeren als Graf Jallik selbst. Sie sprächen für die geknechteten Bewohner von Erzdorf, rief der Borrlingsheimer Melchrad Dreibrodt in den Ring. Verkauft habe der Graf die armen Leute an die reichen Nadoreter und damit dem Schwurbund Treu und Recht gebrochen, als er und der Fürst den Junker Feron zum Herrn von Erzdorf machten.1 Denn wie alle aufrechten Wengenholmer hätten auch die vom Feind lang besetzten Gebiete das Recht darauf, sich selber zu verwalten, statt einem Herrn untertänig zu sein. Im Namen der Götter und des gemeinsamen Schwurs müsse Graf Jallik den Nadoreter umgehend dahin zurückschicken, woher er gekommen sei.

Ein großes Gemurmel erhob sich während dieser Rede, das sich alsbald in heftiges Geschrei wandelte. Der Ring war ganz und gar uneins. Zustimmung fanden die Kläger bei einigen Sendschaften aus dem Bärenklammer Land, wo nicht jeder glücklich war mit dem dort ebenfalls vor kurzem eingesetzten Baron. Die Sendriche von Firnstein und Föhrenwacht dagegen, seit jeher Anhänger des Grafen, schimpften den Dreibrodt einen Verräter und Schmutzfink und wollten ihn vom Platz weisen. Die Vertreterin von Rondrasdank rief gar, man hätte die Borrlingsheimer gar nie als Sendschaft anerkennen dürfen, noch nie sei etwas Gutes von diesem verfluchten Ecken gekommen. Vogt Feron von Nadoret, der sich selber zum Sendrich seines Lehens ernannt hatte, stand derweil ruhig im Ring und lächelte – boshaft, berichten einige, mitleidig, sagen andere. Nur mit Mühe und zornigem Brüllen konnte Schlichter Waldmann Ruhe schaffen für Graf Jalliks Antwort. „Teure Freunde, Wengenholmer“, hob er an, „dass einige empfinden, ich hätte ihnen die Treue gebrochen, bedauere ich zutiefst. Nichts liegt mir – nach meiner Gattin“ (zaghaftes Gelächter) „ – mehr am Herzen als unser gegenseitiger Schwur für unsere Heimat. Doch wenn die Erzminen Albumins 2 in Bälde wieder zur vollen Leistung gebracht werden sollen, so brauchen wir dazu einen fähigen Verwalter und dieser das nötige Einkommen, das ihm nur ein angemessenes Lehen wie Erzdorf geben kann. So muss es dabei bleiben, dass die Erzdöfler dem Vogt der Stolzenburg zinspflichtig bleiben. Ich stimme jedoch zu, dass sie wie ihr alle das Recht haben sollen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen. Und sollte der Vogt auch künftig als Sendrich seines Lehens hier stehen wollen, so wird er wie ihr alle sich darum bemühen müssen, dass die Menschen von Erzdorf ihn wählen.“

Das Lächeln des Vogts von Nadoret soll während dieser Rede zusehends kälter geworden und schließlich ganz verschwunden sein. Bei den Bärenklammern wurde noch etwas gemurmelt, und Sendrich Dreibrodt wollte sich erneut zu Wort melden, doch Graf Jallik bat den Schlichter in bestimmtem Ton, sofort zum nächsten Thema überzugehen, da hierzu nichts weiter zu sagen bleibe.

Zinspflicht des Ortes Rondrasdank folgte auf der Tagesordnung, beantragt vom Baron der Geistmark. Nicht zum ersten Mal brachte er dieses Anliegen vor den Ring. Bislang war dessen Ratschluss stets gewesen, die Rondrasdanker vom direkten lehnsherrlichen Zins zu befreien, bis alle Schäden des Jahrs des Feuers beseitigt wären und das Reichsgericht über den Status des Ortes entschieden hätte.

„Können wir das nicht abkürzen?“ rief der Borrlingsheimer Sendrich, der von seinem Auftritt immer noch in Fahrt war, noch bevor Baron Kordan sein Anliegen formuliert hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit der Sendrin von Rondrasdank je einig wäre“, zischte dieser in Dreibrodts Richtung, „aber es wäre uns wirklich allen ein Gefallen getan, wenn man diesen Schandfleck aus dem Ring entfernte!“ Dreibrodts Antlitz lief rot an und seine Hand zuckte zur Axt am Gürtel, doch da trat der Graf zwischen die beiden und sprach: „Mäßigt Euch, meine Freunde, hier im Ring hat jeder seinen Platz!“

Was der Baron von Geistmark dann vorbrachte, war auch in der Tat eine neue Idee: Rondrasdank solle künftig weder direkt dem Grafen noch der Geistmark, sondern dem Kloster Storchsklausen zinspflichtig sein, damit dessen Wiederaufbau endlich entscheidend vorangetrieben werden könne. Die Rondrasdanker Sendrin Lorine Bartelbank sei hochrot angelaufen bei diesem Vorschlag und habe erst nur lautlos den Mund auf- und zugeklappt, wurde berichtet. Stattdessen meldeten sich andere zu Wort. Angrich von Zweizwiebeln pries den Vorschlag als göttergefällig und weise. Feron von Nadoret bekundete seine Freude, dass mit diesem Antrag der unselig lange schwelende Streit nun so trefflich gelöst werden könne. Endlich trat Sendrin Bartelbank vor und protestierte: Es gehe nicht an, dass der Geistmäker Baron aus dem Hinterhalt mit neuen Ideen vorpresche und die Sendriche zu überrumpeln versuche. Handstreiche dieser Art möge er sich fürs Feld aufheben, im Ring aber gälten andere Regeln. Rondrasdank müsse Zeit gelassen werden, um sich darüber auszusprechen, abzustimmen sei frühestens im nächsten Jahr. „Schaut her, man möchte seine Taler in Rondrasdank behalten, statt sie der Herrin Peraine zu opfern. Die feinen Damen und Herren haben es, scheint’s, nicht so mit der Frömmigkeit!“ höhnte der Sendrich von Borrlingsheim dazwischen. Da sprintete die Bartelbank quer durch den Ring und hätte dem Vorlauten wohl übel mitgespielt, wenn sich nicht der Schlichter Waldmann dazwischen gestellt hätte. Nach kurzem Gerangel stellte sich die Sendrin wieder auf ihren Platz, und Graf Jallik verkündete seinen Beschluss: Die Sache solle aufs nächste Jahr vertagt werden und Rondrasdank erneut vom Zins befreit – wodurch der Ort die Gelegenheit erhalte, seine Frömmigkeit durch eine grosszügige Spende an das Kloster Storchsklausen zu beweisen.

Da und dort wurde jetzt vernehmlich nach einer Pause verlangt, doch Hadubald Waldmann schien gewillt, seine Tagesordnung auf den Punkt genau durchzusetzen. So erhob als nächstes erneut Alrich von Zweizwiebeln als Sendrich des gleichnamigen Dorfes das Wort. Er beklagte bitterlich, dass die Rädelsführer der [[Ortsnennung ist::Auersbrück (Stadt)|Auersbrücker Schwurschar, welche beim Kampf um die Stolzenburg im Erzdorf zu plündern begonnen hatten, noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien. Zu schweigen vom Mörder seines Bruders Firnrich, der erschlagen wurde beim Versuch, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Er verlange, dass die Auersbrücker diese Übeltäter auslieferten oder aber gemeinsam dafür zur Rechenschaft gezogen würden. „Mit Verlaub“, rief Storko Semmelbrot, Auersbrücks Sendrich, „genauso wenig wurde der Tod von Alma der Töpferin auf unsrer Seite gesühnt! Und hat nicht der Scharmeister selbst von einer Untersuchung und Bestrafung abgesehen?“

Der Angesprochene, Baron Kordan, entgegnete zornesrot: „War nicht genug, dass bereits zwei der Unsrigen durch diesen Händel gefallen waren? Wir brauchten jede Hand in jenem Moment! Der Herr Praios ist mein Zeuge, dass ich nach geschlagener Schlacht der Gerechtigkeit Genüge zu tun versuchte. Doch konnte ich der Übeltäter nicht habhaft werden, da man sie versteckte und mit allerhand Listen versuchte, mich von einer Untersuchung abzuhalten.“ Auf diese Klage erhob sich hämisches Gelächter bei den Freunden der Auersbrücker und den Feinden des Geistmärkers. „Vielleicht sollten wir als nächsten Punkt einen fähigeren Schwurmeister wählen“, rief eine Stimme, die manche als den Sendrich vom Oberen Tal erkannt haben wollen. „Sagt mir das nochmals ins Gesicht!“ donnerte der Baron. Darauf wurde es für einige Momente totenstill, bis der Junker von Nadoret vortrat. „Hier scheinen einige den rechten Respekt und Anstand verloren zu haben“, sprach er mit harter Stimme. „So will ich euch das Frechsein austreiben und mich gleic der Klage der Zweizwiebler anschließen. Schadensersatz verlange ich für die Plünderung des Erzdorfes, und zwar für jeden Taler Schaden deren zehn, damit der Bauer auch etwas lernt!“

„Jetzt zeigen die Herren ihr wahres Gesicht“, erscholl es als Antwort aus dem Lager der Freien. Graf Jallik hob zu einer Rede an, zweifellos, um die Streithähne zu beruhigen, aber über seine ersten Worte schrie Sendrich Strauchinger vom Oberen Tal: „Freie Bauern sagen, was sie wollen! Schert euch zum Namenlosen, ihr Leuteschinder!“ Im nächsten Augenblick stand schon der Baron von Geistmark vor ihm und drosch ihm die eisenbewehrte Faust ins Gesicht. Der Sendrich sank stöhnend zu Boden,wo ihm der Geistmärker noch ein paar Tritte in den Magen verpasste. „Ha!“ rief die Rondrasdanker Sendrin, „ist das, was Ihr unter Rondras Geboten versteht?“ Der Baron drehte sich wütend zu ihr um und fauchte: „Rondra kümmert es nicht, wenn ich meine Hunde trete!“ Gegen das Toben, das sich darauf im ganzen Ring erhob, konnten weder der Schlichter noch Graf Jallik oder der jäh aus einem Schläfchen gerissene Gevatter Bollenflug etwas ausrichten. Schließlich verließen die meisten Freien sowie die sonst zu den Gräflichen zählenden Rondrasdanker den Ring im Zorn und zogen aus dem Steinernen Tal ab. Als dann endlich wieder Ruhe einkehrte, befragten der Graf und der Schlichter die Verbliebenen, ob man den Ring zu Ende führen oder in den Praiosmond verschieben solle. Die Sendriche entschieden sich fürs Weitermachen, doch wurden die meisten Geschäfte aufs nächste Jahr vertagt und nur die unumstrittenen durchgewunken.

Erst als am Abend der Festbraten aufgetragen und die Bierfässer angezapft wurden, verflog die bedrückte Stimmung langsam. Gevatter Bollenflug wanderte von Sendrich zu Sendrich und beschwor alle, ob dem Gezanke nicht die guten Koscher Sitten zu vergessen. Selbst dem Baron von Geistmark redete er ins Gewissen, worauf dieser dem Sendrich vom Oberen Tal eine Summe zur Behandlung seines zerschlagenen Gesichtes zukommen ließ. So bleibt die Hoffnung, dass man sich bis zum nächsten Jahr zusammenreißt und das Schwurbundfest wieder zu der fröhlichen Feier werden kann, die es sein soll.

1 Siehe Artikel und Bekanntmachung auf Seite 5 in dieser Ausgabe. (Ruhe und Frieden im Wengenholm?)

2 Die Erzminen und die Stolzenburg sind fürstlicher Besitz und stehen als solcher außerhalb des Schwurbundes.


Stordan Mönchlinger