Flucht der Amme 3

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Fünfbrunnen, 1028

Als die Räder zum Stillstand kamen, erwachte die Amme aus ihrem unruhigen Schlaf. Von ihrer unbequemen Haltung auf dem Sack Bornäpfel tat ihr jeder Knochen weh. Von draußen hörte sie Stimmen, eine davon war die des Krämers. Es klang, als gäbe er Anweisungen, die Pferde auszuschirren. Sie mussten also in Fünfbrunnen sein!
Rasch warf sie sich ihr Bündel über die Schultern und nahm vorsichtig das Kind auf den Arm. Die Verschnürung des Wagens hatte sie bereits während der Fahrt gelöst, so dass sie nun rasch hinausschlüpfen konnte. Draußen war es bereits so dunkel, dass sie sich ungesehen in die Nische einer Hauswand zurückziehen konnte. Sie mussten im Hof des Krämers sein.
Langsam nahm die Betriebsamkeit zu – Bedienstete kamen mit Laternen, schirrten die Pferde aus, luden Waren ab, die Hausherrin gab schon Anweisungen, das Hoftor zu schließen. Rasch wandte sie die Amme um und lief zum Tor, welches, kaum dass sie sich auf der anderen Seite an die Wand drückte, quietschend geschlossen wurde. Das Herz schlug ihr bis zum Hals!
Ihrem Plan folgend, machte sie sich auf, das Haus ihrer Cousine zu finden. Nach einigem Suchen fand sie es denn auch und wurde nach wiederholtem Klopfen erstaunt, aber freundlich eingelassen. Sie erzählte den armen Verwandten, dass Livelind ihr Kind sei und die Herrschaften sie verstoßen hätten und bat um ein Nachtlager und Speis. Am nächsten Morgen wolle sie gleich in aller Frühe los, eine neue Anstellung finden.

Hauptmann Geron trieb seine Männer zur Eile an, er wollte nicht mehr Zeit als nötig mit der Suche nach dem Kind vergeuden. Mit der Abenddämmerung schafften sie es nach Fünfbrunnen, wo der Krämer seines Wissens sein Haus hatte. Sie fragten sich dorthin durch und fanden das Tor bereits verschlossen und den Hof dunkel vor. Er musste eine ganze Weile energisch an das Tor hämmern, bis ein verärgert aussehender Mann ein Fenster im Obergeschoss des Hauses öffnete.
„Was wollt ihr?“ schnauzte er. „Öffnet das Tor! Ich bin Geron, Hauptmann Elwart von Hochfelds Wache. Ich bin gekommen, um das Kind zurückzubringen.“
Im Haus gingen langsam Lichter an und im Tor wurde nach einer Weile ein kleines Fenster geöffnet. Nachdem der Krämer sich vergewissert hatte, dass Geron die Wahrheit sprach, öffnete er das Tor.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Mann, aber tritt ein und schau dich um, wenn es sein muss.“
Grummelnd ging er ins Haus zurück. Als er und seine Männer nach sorgfältiger Suche und Befragung des Haushaltes weder Kind noch Amme noch einen Hinweis auf deren Verbleib gefunden hatten, war für Geron klar, dass die Amme schon weiter gezogen sein musste. Sie war wohl heimlich im Wagen mitgereist, das konnte er aus den Erzählungen, die Plane des Wagens sei bei der Ankunft offen vorgefunden worden, schließen.
Aber wann hatte sie den Wagen verlassen und wohin war sie gegangen? Aus den Informationen, die sein Herr ihm gegeben hatte, konnte er annehmen, dass sie Richtung Hammerschlag unterwegs sein musste, also würde er seine Suche in diese Richtung ausweiten. Nachdem sie in einem Gasthaus übernachtet hatten, teilte er seine Männer auf.
„Ihr beiden sucht Richtung Uztrutz, ich werde nach Herolds Wacht reiten“.

Die Amme hatte eigentlich vorgehabt, früh am nächsten Morgen aufzubrechen, blieb auf Drängen ihrer Cousine aber doch eine weitere Nacht in Fünfbrunnen. Erst am Mittag des nächsten Tages verabschiedete sie sich von ihren Verwandten, die sie mit guten Wünschen und Reiseproviant eindeckten. Das Wetter war trocken und sonnig, so schritt sie frohgemut aus und schloss sich auf dem Weg einer Gruppe fahrender Händler an, die sich aufgrund der andauernden Gefahr durch Marodeure zusammengeschlossen hatten.
Wie sie in Erfahrung bringen konnte, fuhren sie Richtung Großer Fluss, um dann mit einem Schiff weiter zu fahren. Aber bis dahin könne sie gern mitreisen, eine helfende Hand sei im Lager immer willkommen.
So kam es, dass die Amme und Livelind ihren Weg bis Herolds Wacht gemütlich im Wagen eines Krämers verbrachten. Dort angekommen, suchten die Händler für sie einen Fährmann, der sie über den Fluss setzte, so dass sie am Abend des dritten Tags ihrer Reise in einem Ort namens Grantelweiher eintraf. Dort würde sie übernachten, sich am nächsten Morgen auf dem Markt mit Nahrung eindecken und dann über Moorbrück weiter ihrem Ziel entgegen wandern.

Der Hauptmann trieb sein Pferd an, so schnell er es auf dem schlechten Weg zwischen Fünfbrunnen und Herolds Wacht wagte. Nur wenige Leute waren heuer unterwegs, die Zeiten waren zu unruhig für einzelne Reisende. Begegnete er jemandem, fragte er nach einer einzelnen Frau mit Kind, aber immer erhielt er abschlägige Antworten.
Verdammt, wo mochte dieses Weibsbild abgeblieben sein? Auch in Herolds Wacht, wo er gegen Mittag des gleichen Tages ankam, konnte man ihm nicht weiterhelfen, so dass er nach einer Rast wieder kehrt machte und den Weg zurück ritt – entweder sie war noch hinter ihm oder sie war möglicherweise doch nach Uztrutz unterwegs.
Die Nacht verbrachte er wieder im gleichen Gasthaus in Fünfbrunnen und früh am nächsten Morgen war er wieder im Sattel. Mittags traf er mit seinen Männern zusammen, die auch in Uztrutz nicht fündig geworden waren. Noch einmal alles überdenkend kam er zu dem Schluss, dass Herolds Wacht vielleicht doch der richtige Weg gewesen war, vielleicht war er nur zu schnell gewesen. Fluchend trieb er die Gruppe zur Eile an.
In Herolds Wacht sagte man ihnen, dass am Mittag eine allein reisende Frau mit Kind übergesetzt worden sei, der Fährbetrieb für diesen Abend aber beendet sei. Also ließ der Hauptmann seine Gruppe rasten und am nächsten Morgen ebenfalls über den Fluss bringen. Auf dem Weg nach Grantelweiher überholten sie einige Bauern und Händler, die offenbar auf dem Weg zum Markt waren. Dorthin wollten sie reiten und Erkundigungen einholen.

Es herrschte schon Betrieb zwischen den Ständen, als Amme und Kind sich des Morgens auf den Weg machten. Auf dem kleinen Marktplatz versorgte sie sich mit Brot, Käse und Dörrobst. Kurz ließ sie sich hinreißen, bei einem Stoffhändler die Farben zu bestaunen, als sie Hufschlag vernahm. Interessiert drehte sie sich um und erstarrte in ihren Bewegungen – dort waren Elwarts Männer. Verzweifelt hielt sie nach einem Versteck Ausschau, doch da war sie bereits entdeckt!
„Habe ich dich endlich, Weib!“ schallte es über den Markt.
Was sollte sie nur tun? Fast hatte ihr Mut sie schon verlassen, da wurde sie wieder des kühnen Ritters angesichtig, der ihr schon beim Krämer aufgefallen war. Groß, stattlich und etwas Furcht einflößend stand er am Rand des Marktes und schien das Geschehen ein wenig abwesend zu betrachten. Ihre Gedanken rasten – was hatte sie schon zu verlieren? All ihren Schneid zusammennehmend, lief zu auf ihn zu, die Häscher Elwarts in ihrem Rücken, und warf sich vor ihm auf die Knie.
„Herr“, schluchzte sie, „Herr, bitte helft mir! Diese Männer wollen mir mein Kind stehlen!“