Flucht der Amme 4

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Fünfbrunnen, 1028

Was hatte sie sich nur gedacht? Dieser Ritter vor ihr sah zum Fürchten aus! Groß, dunkel, geradezu finster schauter er drein, das Gesicht von einer Narbe verunstaltet. Ihr Herz zog sich bang zusammen.
„Steh auf, Frau!“ hörte sie seine tiefe Stimme grollen, und mit schlotternden Knien erhob sie sich mit Livelind im Arm.
„Was wollt ihr von der Frau?“ fragte er die Soldaten Elwarts. Geron saß ab und grüßte knapp.
„Verzeiht, Herr, aber hier handelt es sich um Familienangelegenheiten, die Euch nichts angehen. Überlasst mir die Frau und das Kind, ich habe Befehl, sie zu meinem Herren zurückzubringen.“
„Nun, da du mir keine Erklärung für das hier geben willst, kann ich dir die Frau nicht lassen. Sie hat meine Hilfe erfleht, und die soll sie auch bekommen, außer, du erklärst dich, Mann.“
Sein Ton blieb weiterhin ruhig, aber die Amme zitterte vor seinem unausgesprochenen Ärger. Auch Geron wurde ärgerlich, deutlich sah sie es an seinem hochroten Gesicht. Doch musste er sich hier auf offenem Platze vor vielen Neugierigen beherrschen. So nickte er knapp „Wie Ihr meint, Herr“ und saß auf. Als sein drohender Blick sie traf, wusste die Amme, er würde wieder kommen und sie solange verfolgen, bis sie ihm ausgeliefert war.
„Nun, willst du mir die Geschichte erzählen, oder geht auch deine Geschichte mich nichts an?“ fragte der Ritter fast freundlich. Mit vor Angst fast versagender Stimme log sie:
„Der Vater will das Kind töten lassen, weil es nur ein Mädchen ist, Herr. Deshalb bin ich geflohen, um mit ihr bei Verwandten in Hammerschlag unterzukommen. Bitte, Herr, helft mir, dorthin zu kommen. Der Hauptmann wird mich verfolgen und für meinen Ungehorsam bestrafen, wenn er mich alleine findet!“
„Sei’s drum“ brummte der Ritter. Wer weiß, wie die Geschichte sich noch entwickelt, dachte er bei sich, denn das Hochfeldsche Wappen hatte er wohl erkannt.
Also machten sie sich auf den Weg Richtung Hammerschlag. Nachdem sie das Moor unbeschadet hinter sich gelassen hatten, kamen sie etwas schneller voran. Der Ritter führte sein Pferd, das seine und der Amme Habseligkeiten trug. Die Sonne wanderte über den Horizont und der Ritter trieb sie zur Eile an, da er Hammerschlag noch am gleichen Tag erreichen wollte. Wer weiß, wo uns dieser Hauptmann auflauert, dachte er, also bringen wir es schnell hinter uns.
Es dämmerte schon als sie die Hügel erblickten, hinter denen Hammerschlag lag.
„Nicht mehr weit, Frau, dann haben wir Hammerschlag erreicht.“
Kaum war der Satz ausgesprochen, als das Nahen von Reitern hinter ihnen zu hören war. Beiden war klar, dass dies nur Geron mit seinen Mannen sein konnte, der nun endlich die Gelegenheit nutzen wollte, sie zu stellen. Kurz erwog der Ritter, die Frau mit dem Kind auf seinem Pferd vorreiten zu lassen, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Was hier geklärt werden musste, sollte ehrenhaft und ritterlich ablaufen, also blieb er stehen und wandte sich den näher kommenden Reitern zu.
Als sie näher kamen, sah sich Geron sichernd nach den Seiten um, man konnte nie wissen, ob nicht irgendwo noch Verstärkung lauerte. Da dem nicht so zu sein schien, entschied er sich für ein direktes Vorgehen. Sein Pferd knapp vor dem wartenden Ritter anhaltend, kam er ohne Umschweife zur Sache.
„Ich sage es nur noch einmal: gebt mir die Frau und das Kind, und ich lasse Euch unbehelligt ziehen. Andernfalls …“
„Andernfalls?“ fragte der Ritter nach.
„Andernfalls werde ich sie mir holen“ drohte Geron offen und legte die Hand an den Griff seines Schwertes. Er hatte jetzt nichts mehr zu verlieren und zog sein Schwert. Mit kaltem abschätzigem Blick maß der Ritter den Hauptmann.
„Das wagt er nicht, Mann!“ und befreite sein Schwert ebenfalls aus der Scheide. Mit einem Wutschrei stieß Geron seinem Pferd die Hacken in die Seiten und trieb es auf den Ritter zu, den er mit einem Schwerthieb vom Pferderücken herab außer Gefecht setzen wollte. Der Ritter wich jedoch gekonnt aus. Noch aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, dass Geron einem seiner Männer Zeichen gegeben hatte, vermutlich sollte er sich der Frau bemächtigen.
Der Ritter verpasste Gerons Pferd mit der Breitseite seiner Waffe einen Schlag auf die Flanke, der es Steigen ließ. Sofort wirbelte er herum und schlug seinem Pferd mit der freien Hand auf das Hinterteil – erschreckt machte es einen Satz nach vorn.
„Lauf, Donnerhuf, lauf so schnell du kannst“, rief der Ritter seinem Pferde noch zu, bevor er einen schlecht gezielten Angriff abwehren musste. Die Amme konnte sich gerade noch mit der einen Hand an der Mähne des Pferdes festkrallen, die andere hielt Livelind fest umschlossen. Das Pferd sauste mit ihr davon Richtung Hammerschlag und alles, was sie tun konnte, war nicht herunter zu fallen.
„Hinterher“ brüllte Geron zweien seiner Männer zu, als er sein Pferd wieder unter Kontrolle hatte. Zu zweit würden sie hoffentlich auch mit diesem Ritter fertig werden. Wiederum hob Geron zu einer Attacke vom Pferderücken an, welcher der Ritter jedoch geschickt auswich und dabei mit einer Drehung seinem zweiten Gegner den linken Steigbügel durchtrennte. Mit einem Schrei fiel dieser vom Pferd.
„Ist er etwa zu feige, sich mir in einem Zweikampf zu stellen?“ fragte der Ritter den fluchenden Geron. Dieser hatte jedoch anderes im Sinn, als sich dem Ritter zu stellen und wendete sein Pferd für einen erneuten Reiterangriff.

Verzweifelt klammerte sich die Amme an der Pferdemähne fest, hinter sich hörte sie deutlich die Pferde ihrer Verfolger. Ich halte das nicht durch, ich falle runter, gleich haben sie mich, dachte sie unablässig. Das Pferd preschte einen Hügel hinauf und über die Kuppe. Vor Schreck schrie die Amme auf: der Weg vor ihr war durch einen Schlagbaum versperrt! Vor lauter Angst, beim Durchbrechen der Stange zu sterben, kniff sie die Augen so fest zu, dass sie die Männer hinter dem Schlagbaum gar nicht sah. Als diese das nahende Pferd und dessen Verfolger sahen, riefen sie jemandem etwas zu und machten sich verteidigungsbereit.