Ein neuer Wind - Die Belagerung von Barabein

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Barabein, den 5. Ingerimm 1035 BF

Grimmig blickte Boronar vom Kargen Land hinauf zur Burg. Zwei Tage war es her, dass sich die Sindelsaumer Landwehr in der Umgebung gesammelt hatte. Barthalm von Rohenforsten hatte ihm den Befehl über 100 von ihnen gegeben und war dann selbst gen Fuchsfels weitergezogen.

Burg Barabein war in einem Handstreich eingenommen worden. Eine unverfrorene Tat, die angesichts der Umstände aber recht umsichtig ausgeführt worden war, wie Boronar widerwillig zugeben musste. Von gerade zwei Verletzten hatte das Gesinde berichtet, welches man unversehrt ins Dorf hatte abziehen lassen. Nun befand sich noch der Heiler auf der Burg.

Soeben kehrten zwei seiner Leute zurück. "Wir haben die Umgebung abgesichert", berichtete Eberhelm von Treublatt. "Die Burg ist ja ohnehin nur über den Ort zu erreichen und runherum stehen unsere Leute." "Falls es dennoch einen Geheimgang geben sollte, so haben die Eingeschlossenen schlechte Karten", ergänzte seine Frau Anghild von Entensteg. "Wir haben alle Dörfer in der Nähe alarmiert, Ausschau zu halten nach verdächtigen Gestalten, die sich abseits der Wege herumtreiben, und Anweisung gegeben, diese sofort festzusetzen und uns zu benachrichtigen."

"Gut", nickte Boronar, "dann wollen wir doch einmal sehen, was die Belagerten dazu sagen." Er machte sich keine großen Hoffnungen darüber, dass sie bald aufgeben würden. Eine so geschickte Tat wie die Einnahme der Burg hatte gut vorausgeplant werden müssen. Aufgrund der Vorräte konnten sie lange aushalten. Zudem hatten sie Geiseln in ihrer Gewalt, einige davon sehr wertvoll: Ritter Balinor von den Silberfällen, Grimwulf von Borking sowie Burgvogt Roglom Sohn des Rugax.

Zu Boronars Überraschung brauchten die Belagerer kein Signal zu geben, um zu zeigen, dass sie reden wollten, denn von der Burg selbst kam eins. Kurz darauf erschien eine gut gerüstete Gestalt auf den Zinnen.

"Den Zwölfen zum Gruße! Ich nehme an, Ihr seid der Anführer der Truppen, die Burg Barabein belagern." begann eine kräftige männliche Stimme. "So ist es!", antwortete Boronar, der nach dem Signal mit einigen einfachen Leuten der Landwehr recht nahe an das verschlossene Tor getraten war. "Boronar vom Kargen Land. Mit wem habe ich die Ehre?" "Relf von Angenbrück. Wir unterhalten uns also von Hauptmann zu Hauptmann – und von Ritter zu Ritter. Ich gehe also davon aus, dass Ihr vernünftig sein werdet und nicht versucht, mich hier herunterzuschießen. Selbst wenn es Euch gelänge, müssten die Geiseln, die bisher gut versorgt worden sind, dafür büßen."

Boronar winkte ab. "Mit solchen Mitteln arbeite ich nicht. Heißblütigkeit war noch nie meine Sache." "Eine gute Einstellung. Nun, wir wollen auch nichts tun, was dumm oder unüberlegt erscheinen möge. Mein Wort darauf." "Sagt denn, warum wolltet Ihr mit uns reden? Ihr seid eingeschlossen, das müsste Euch auch so klar sein." "Wir haben immer noch den Heiler bei uns. Alle seine Patienten sind gut versorgt. Doch wird er inzwischen im Dorf womöglich dringender benötigt. Darum wollen wir ihn zu Euch herausschicken. Das wollten wir Euch ankündigen, damit Ihr ihm nichts tut." "Einverstanden. Wir lassen ihn und nur ihn passieren." "Ein guter Entschluss! So tretet weg vom Tor, damit wir ihn ziehen lassen können."

Boronar wartete am Ende des Burghügels mit einigen Wachen. Tatsächlich bewegte sich eine Gestalt in dunkelbrauner Kutte aus dem Tor und den Hügel hinunter. Beim Näherkommen konnte man einen bärtigen Mann in mittleren Jahren erkennen, recht hochgewachsen. Die Kutte verdeckte seine genaue Statur, aber er musste ziemlich kräftig sein. Als er auf wenige Schritt an die Belagerer herangekommen war, sah man, dass er sichtlich nervös war.

"Das ist doch nie im Leben ein Heiler!", sprach jemand den Verdacht aus, den auch Boronar hegte. "Los, den packen wir uns!", entfuhr es einem der Bewaffneten. Der Mann in der Kutte riss die Augen auf, als er von groben und kräftigen Händen gepackt wurde. "Nein, nein! Ich...", konnte er noch sagen, da legte ihm jemand die Hand auf den Mund. Er wollte beschwichtigend die Arme heben, doch schon wurde er festgehalten.

"Halt! Halt!", schrie da jemand von hinten. Boronar drehte sich um. Ein rothaariger Zwerg, den er sofort als Garosch Sohn des Grimmosch erkannte, der Gastwirt der Kneipe "Oberst Murgrim", kam herbeigerannt.

Völlig außer Atem deutete er auf den Mann. "Das... ist Geron... der Heiler... aus dem Dorf. Ich kenne ihn." Sofort gab Boronar mit einem Handzeichen das Signal, damit die Landwehrleute ihn freiließen. Geron wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und atmete sichtlich erleichtert tief durch. Nach einer kurzen Verbeugung gegenüber Boronar und Garosch eilte Geron seinem Zuhause entgegen.

"Heiliger Argelion", murmelte Boronar, "das war knapp!" "Misstrauen ist wie ein Unkraut, das nur schwer wieder auszumerzen ist, wenn es einmal gesät wurde. Wer konnte diesen Verrat von Alvide auch ahnen, nach all den Jahren?", sprach der Gastwirt halb zu Boronar, halb zu sich selbst. Jeder, der zur Burg wollte, musste zunächst durchs Dorf, und es wäre Garoschs Aufgabe gewesen, die Wagen genauer zu kontrollieren. Doch hatte er ebenso wie die Burgwache keinen Verdacht geschöpft – die Fuhrfrau war ja altbekannt. Nun jedoch sah er es als seine Schuld an, dass die Burg in der Hand des Feindes war.

"Es bringt nichts, sich jetzt Vorwürfe zu machen. Beraten wir uns lieber mit den anderen", beschloss Boronar. Dieser Aufforderung kam der Angroscho, der zugleich der Anführer des Barabeiner Aufgebots war, gerne nach.

Kurz darauf blickten Boronar, Eberhelm, Anghild und Garosch auf eine Karte der Umgebung. "Die Lage: Niemand kommt in die Burg hinein, aber auch niemand heraus. Die Belagerten haben keine Chance, einen Ausfall zu überleben, und werden sich dessen auch bewusst sein. Wir haben keine Möglichkeit, bei einem direkten Angriff die Burg einzunehmen, ohne die Gefangenen zu gefährden.", fasste der Ritter vom Kargen Land zusammen.

"Wie viele Leute befinden sich auf der Burg? Was hat der Heiler berichten können?", erkundigte sich Eberhelm von Treublatt. "Ungefähr zwanzig. Neben ihrem Anführer gibt es noch einen Ritter namens Ferk von Alrichsbaum, ansonsten nur Fußknechte." "Genug, um die Burg zu halten, und so wenige, um lange mit den Vorräten auszukommen", brummte Eberhelm missmutig.

"Wie wäre es mit einer List?", schlug Anghild von Entensteg vor. "Wir schicken den Heiler zurück auf die Burg. Er mischt einen Schlaftrunk in der Getränke. Geron kann sicherlich genug Mittel einstecken, um zwei Dutzend Leute schlafen zu schicken. Danach befreit er die Gefangenen und öffnet uns das Tor." Bei diesen Worten leuchteten Garoschs Augen auf. Die Aussicht, diese unangenehme Situation schnell zu beenden, war verlockend.

Eberhelm jedoch knurrte nur missbilligend auf den Vorschlag seiner Gattin. "Das ist ja wohl nicht gerade rondragefällig!" "Bei so einem Trick kommt es auf die Menge an.", fügte Boronar deutlich ruhiger hinzu. "Wir wissen jedoch nicht, ob alle gleichviel Wasser oder Wein trinken. Außerdem müssen alle Belagerer gleichzeitig das Mittel zu sich nehmen, sonst wird der Plan entdeckt. Dann jedoch könnten sie sich an dem Heiler vergreifen, und kämpfen kann Geron nicht. Nein, das ist mir zu riskant."

Garoschs blickte wieder niedergeschlagen auf die Karte. "Wir kommen also nichts machen als abzuwarten." "Im Augenblick scheint es so, ja. Aber wir werden aufmerksam wachen, das ist unsere Pflicht. Und wer weiß? Vielleicht ist diese Belagerung schon bald vorbei."