Ein Winter in Sindelsaum - Kordan von Sindelsaum

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Winter 1033 BF, Dachsbau, Findelstin

Erlan von Sindelsaum brütete über einem Privileg aus der Zeit Fürst Hardubrandts und ärgerte sich mal wieder darüber, dass er sich durch diese Unzahl aus Erlassen und Privilegien aus lang vergangenen Zeiten wühlen musste, aber das brachte seine Aufgabe als Säckelmeister eben mit sich. Ohne die fachkundige Hilfe durch Brin von Garnelhaun hätte er wohl schon lange aufgeben müssen.
Immerhin hatte die Fürstinnenmutter Thalessia endlich ihren Segen über die Räume des Säckelmeisters auf Thalessia gesprochen, sodass er sich mit seinen Schreibern nicht mehr in den Grevenhof quetschen musste. Seine neue Pflicht band Erlan zunehmend in Angbar, doch er wusste seine Baronie in guten Händen, und er musste ja nur das Stadttor hinter sich lassen, um seinem Land einen Besuch abzustatten.
Schade nur, dass Sindelsaum einen guten Tagesritt entfernt war. Das zwang ihn von seiner Familie fern zu bleiben, während er sich mit den Finanzen des Fürstentums beschäftigte. Er versuchte diese Zeit der Abwesenheit so kurz als möglich zu halten, aber einige Tage im Monat musste er sich eben doch nach Angbar begeben, um sein Amt vor Ort auszuüben.
Es klopfte verhalten an der Tür. Erlan wusste sofort, dass das Lechdan sein musste. Seit seiner Pagenzeit stand Lechdan in seinen Diensten und er kannte ihn so gut, wie wohl sonst kaum eine andere Person auf Dere.
„Immer rein mit dir“, rief Erlan, erfreut über die Ablenkung.
In dem Augenblick, in dem Lechdan eintrat, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Nach kurzem Zögern begann Lechdan zu sprechen.
„Ein Reiter ist aus Findelstin angekommen. Kordan geht es sehr schlecht. Er hat Atmungsprobleme, aber niemand weis wieso. Es kann sein, dass er nicht mehr lange hat.“
Erlan war für einen Augenblick wie vor den Kopf geschlagen, dann sprang er auf.
„Worauf wartest du noch?“ rief er.
„Sattel die schnellsten Pferde die du finden kannst. Ich muss sofort zu ihm. Schick auch einen Boten an Alvide, aber sagt Großvater nichts. Falls es nur falscher Alarm war regen wir ihn nur unnötig auf.“

Das Pferd war mit Schweiß übergossen, als Erlan aus dem Sattel sprang. Auch er war derangiert, doch achtete er nicht auf das Äußeres. Sein Sohn Kordan war in Gefahr. Er musste reagieren!
Kein Gefolge folgte ihm. Er hatte seine Leute losgeschickt, um die besten Heilkundigen und Magier um den Angbarer See herum aufzutreiben. Er würde alle Hebel in Bewegung setzen, um seinen Sohn zu retten.
In Kordans Kammer saß der Abt des Praiosstifts Ubriel Gelsach neben dem Lager des Jungen. Der alte Mann blickte müde auf, als Erlan eintrat.
Ein kurzer Blick genügte Erlan. Kordans Atem rasselte schwer und seine Brust hob sich ungleichmäßig beim atmen. Ubriel stand auf und ging auf den versteinerten Vater zu.
Er flüsterte leise: „Wir wissen nicht was mit ihm los ist. Es fing vor zwei Stundenschlägen an. Ich habe bereits einen Heilungssegen auf ihn gesprochen, aber das hat ihm nur vorrübergehend Linderung verschafft.“
Erlan nickte und näherte sich seinem Sohn. Kordan blickte seinen Vater aus tränenerfüllten Augen an. Er versuchte Worte zu formulieren, aber er konnte die Worte kaum herausbekommen.
„Vater… ich… habe… Angst…“
Erlan schossen die Tränen in die Augen. Er ergriff die Hand seines Sohnes und drückte sie fest. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und hatte Angst, dass er seinem Sohn noch mehr Angst machen würde. Er hatte früher Menschen sterben gesehen, aber niemals war es ein Kind gewesen. Kordan war gerade einmal vierzehn Jahre alt.
„Werde… ich… sterben…?“
Kordan bereitete jeder Atemzug unglaubliche Schmerzen. Fragend blickte er seinen Vater an. In Erlans Augen suchte er nach Hoffnung. Erlan schluckte schwer.
„Ja, du wirst sterben, mein Sohn, aber ich werde bei dir sein. Bis zum Ende.“
Tränen füllten Erlans Augen und flossen über seine Wangen. Auch Kordan hielt die Tränen nicht mehr zurück.
„Erzähl… mir… vom… Sommer…“
„Von dem Sommer in dem die Kirschen so schön blühten und wir gemeinsam mit Pergrim durch den Dachswald gewandert sind?“
Kordan nickte schwach. Das Reden bereitete ihm zu viele Schmerzen.
Erlan begann zu erzählen, von der Zeit, als sie gemeinsam durch den Wald gezogen waren, sich mit Holzschwertern geschlagen, Pilze gesammelt und wilde Erdbeeren gegessen hatten. Und während Erlan sprach, ließen Vater und Sohn ihren Tränen freien Lauf. Entsetzt musste Erlan mit ansehen, wie sich Kordans rechter Brustkorb immer schwächer hob. Der linke Brustkorb hob sich die ganze Zeit über kein Stück. Kordans Atem wurde immer rasselnder und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Erlan trocknete sie ihm ab, während er von dem Lagerfeuer erzählte, dass sie gemacht hatten.
Kordans Todeskampf dauerte eine ganze Stunde, dann hob sich seine Brust überhaupt nicht mehr.
Bevor sich sein Brustkorb nicht mehr hob, röchelte er: „Sag… Mutter…, dass… ich… sie… liebe…“
Erlan nickte. Er konnte kein Wort mehr heraus bringen und so blickte er Kordan in die Augen, während dessen Blick langsam brach.

Eine halbe Stunde später donnerte Erlans Kutsche in den Klosterhof. Gerwulf beförderte einen weißberobten Magier eher unsanft aus der Kutsche. Wie es schien, hatte er ihn halb gezwungen, in die Kutsche zu steigen.
Als er bei seinem Herrn ankam, saß dieser immer noch am Lager seines toten Sohnes und hielt dessen Hand. Gerwulf blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Er war zu spät gekommen. Nun half auch der Magier nichts mehr, wenn er denn überhaupt etwas hätte ausrichten können.
„Kein Vater sollte seinen Sohn beerdigen müssen.“
Erlans Stimme klang wie aus einer anderen Welt und der Schmerz der darin lag lies Gerwulf erschauern.