Der neunte Falke

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Ausgabe Nummer 29 - Peraine 1023 BF

Der neunte Falke

Die Abenteuer der Junkerin Macha Ni Grainne

Der Flug der Falken — Questen um des Prinzen Heil

Pitsch... Pitsch... Pitsch. Macha starrte gebannt auf die kleinen Tropfen, die sich an der Kante ihres Helmes sammelten und langsam den Nasenbügel hinunterliefen. An dessen unterer Spitze verharrten sie, wippten etwas auf und ab, so als könnten sie sich nicht entscheiden, und fielen schließlich mit einem sanften „Pitsch“ in die Pfütze, in der auch Machas Füße standen.

Sie schauderte. Ein unheimlicher Ort. Ein leicht moderiger Geruch drang in Machas Nase. Die Luft war kühl und feucht. Das Heulen des Windes verstummte hier zu einem sanften Wispern.

Pitsch... Pitsch. Zwei weitere Tropfen fielen zu Boden. Das Wasser der Pfütze sickerte allmählich durch die Nähte der Stiefel und sammelte sich kalt an Machas Füßen. Macha atmete tief durch und erschrak: Wie laut mein Atem hier klingt! Lauter als der Wind draußen. Die Felswände zu beiden Seiten ragten gerade hoch genug auf, um aufrecht zu stehen. Vielleicht hätte sie doch lieber der Flasche folgen sollen, statt irgendeinem Vogel hinterherzureiten. Nein, schalt sie sich selbst. Ein Falke ist nicht irgendein Vogel! Der Adler mag vielleicht der König der Lüfte sein, doch der Falke ist der erste seiner Ritter. Wo waren nun wohl die anderen? Hatte sich ihnen auch ein Falke gezeigt, ganz so wie im Traum des Prinzen? Haben die anderen gewußt, wohin sie gehen sollten?

Macha hatte es nicht gewußt. Vor zwei Wochen hatte sie vor dem Fürsten Blasius gestanden und höflich gebeten, einer der zwölf Ritter sein zu dürfen, die in seinem Namen auszogen, um ein Heilmittel für seinen kranken Sohn zu finden. Nun ja, aus den zwölfen wurden achtzehn Ritter, und wirklich höflich war Macha auch nicht gewesen. Genaugenommen hatte sie sich einfach nach vorne gedrängelt und den Mund aufgerissen. Der Liebfelder hatte sich sehr viel gewählter ausgedrückt, nicht so ungehobelt wie sie... aber wer mag schon Liebfelder?

Wie üblich hatte sie den Mund zu voll genommen. Zwei Tage später hatte sie immer noch in einer Angbarer Schenke gesessen, ohne jede Ahnung, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte. Also hatte sie eine Flasche genommen und sich im Kreise drehen lassen. Der Flaschenhals zeigte nach Norden, und am nächsten Morgen war Macha in diese Richtung aufgebrochen.

Wider Willen mußte Macha lächeln. Ob so etwas auch in Sagen vorkam? Was würde ein Barde dazu sagen: „Und der neunte der zwölf Ritter ließ eine Flasche sich im Kreise drehen und folgte der Richtung, in die der Hals zeigte. So wurde das Schicksal des Prinzen in die Hände einer Flasche billigen Fusels gelegt.“

Im Norden suchte Macha zuerst das Draconiterkloster Leuwensteyn auf, in der Hoffnung, dort vom Wissen der Hesindediener profitieren zu können und einen nützlichen Hinweis zu erhalten. Doch als der Stapel ungelesener Bücher die Höhe von Machas Kopf überstiegen hatte, war sie Hals über Kopf aus dem Kloster geflohen. Auch danach war sie nicht sehr erfolgreich gewesen.

Ihr Pferd, der störrische Timotheus, hatte sich mühsam durch den Schlamm der spätwinterlichen Wege gequält. Macha selbst war jedesmal nur zu froh gewesen, wenn sie am Abend vor einem Gasthaus stand und ihre völlig durchnäßte und kalte Kleidung ausziehen konnte. Und mit Schaudern dachte sie an jeden Morgen, an dem sie wieder in die feuchte, kalte Kleidung hineinschlüpfen mußte. (...)

Wieder folgten Wochen voller Regen, Schneematsch und kaltem Wind. Die Wege bestanden aus fast kniehohem Morast, und mehr als einmal konnte Macha sich nur knapp im Sattel halten, wenn Timotheus strauchelte. In jedem Weiler, jedem Dorf und jeder kleinen Stadt befragte Macha die Heiler, Medici und Kräuterweiblein, doch ohne Erfolg. Wohl wurden ihr zahlreiche Kräuter, Wurzeln und andere Heilmittel genannt, doch darunter nichts, was den Heilern bei Hofe nicht ebenso bekannt gewesen wäre. Es waren trostlose Wochen, die Macha allmählich des Mutes beraubten. Dann sah sie den Falken.

Es ging bereits gegen Abend. Macha war müde vom langen Ritt und sah sich bereits nach einem Nachtlager um. Das Wetter war wieder kälter geworden in den letzten Tagen. Noch immer hingen schwere, dunkle Wolken am Himmel. Doch statt Regen brachten sie wieder neuen Schnee, der die kecken Frühlingsblumen, die sich gerade zu öffnen begannen, zu ersticken drohte. Ein Windstoß riß die Wolkendecke auf, und ein Lichtstrahl, rotgolden wie die Abendsonne, brach wie eine Lanze durch die graue Heerschar und bohrte sich in den Boden. In seinem Lichte badete die sonst karge, winterliche Landschaft in den warmen Farben der Travia. Macha verhielt, um diesen seltenen Anblick zu genießen. Und dann bemerkte sie einen Schatten.

Ein kleiner dunkler Punkt, der im jenem Lichtstrahl schwebte und einen ungleich größeren Schatten über den Boden gleiten ließ. Der Schatten eines Falken. War ein solcher nicht auch dem Prinzen im Traum erschienen? War das ein Zeichen? Der Falke wandte sich ab, sein schwarzes Abbild glitt rasch über die schneebedeckten Felder. Einer Eingebung folgend beschloß Macha, dem Falken nachzureiten, und wie immer, wenn Macha einer Eingebung folgte, bedeutete das Ärger!

Den Falken hatte sie rasch verloren. Timotheus war ein gutes Roß, das sich an Mut und Schnelligkeit mit jedem anderen messen konnte. Doch kein Pferd vermag einem Falken zu folgen, sein Schatten verlor sich am Rande eines Waldstücks.

In der Nähe lag ein kleines Gehöft. Zumindest zu einem Nachtlager hatte der Falke sie also geführt, so dachte Macha bei sich. Doch der Hof war von Beginn an merkwürdig gewesen. Ungewöhnlich still lag er da. Kein Bauer, der geschäftig das letzte Abendlicht nutzte. Keine spielenden Kinder, nicht einmal Vieh in den Pferchen und auf den Weiden. Macha näherte sich mißtrauisch. Der erste Bewohner fiel ihr entgegen, als sie die Tür zum Haupthaus auftrat. Eine völlig entkräftete junge Frau sank in ihre Arme. Das Gesicht mager, leichenblaß, von Fieberschweiß bedeckt. Im Rest des Hofes sah es nicht besser aus: alle Bewohner, eine stattliche Großfamilie, waren krank. Bisher war niemand gestorben, doch dies würde bald geschehen, wenn keine Hilfe kam.

Nur wenig später betrat Macha die Hütte des alten Kräuterweibleins, dessen Namen ihr die junge Frau ins Ohr geflüstert hatte. Ein abgelegenes windschiefes Häuslein, mitten im Wald. Die Kräuterfrau hieß Merissa und erfüllte alle Vorurteile, die Macha von alten Kräuterweibern hatte. Die Hälfte der Zeit faselte sie leise irgendeinen unverständlichen Unsinn. Ihre greise Gestalt war klein und gebeugt, nur noch ein Schatten in einem Winkel ihrer Hütte, und ihr Antlitz war so von Falten überzogen, daß es Macha schwer fiel, die Gesichtszüge darin auszumachen.

Die alte Merissa redete meist in seltsamen Sätzen, aber was sie sagte, erweckte bei Macha den Eindruck, als wüßte sie von der kranken Großfamilie und auch von Machas Queste. Beides gefiel Macha ganz und gar nicht.

Doch dann hatte Merissa etwas gesagt, was sie aufhorchen ließ: Ja, sie wüßte ein Heilmittel, das helfen könnte. Etwas, das die Familie retten würde und vielleicht auch den Prinzen. Das Leid beider sei von etwas verursacht worden, das nicht gänzlich von dieser Welt sei und daher bedurfte es etwas aus der anderen Welt, um das Übel zu heilen. Sie, Merissa, wäre schon zu alt und schwach, aber sie wüßte einen Weg hinüber, morgen Nacht sei er offen, und sie wüßte auch, wonach Macha suchen müßte. Aber es wäre gefährlich, sagte sie, ob Macha denn auch den Mut dazu hätte?

Pitsch... Pitsch... Pitsch! Ihre Antwort hatte Macha dann in diese Höhle geführt. Im Augenblick fragte sie sich, ob sie nicht schon wieder den Mund zu voll genommen hatte, denn im Augenblick suchte sie ganz verzweifelt nach etwas Mut.

Die Höhle war eigentlich nur ein Felsspalt. Merissa hatte ihr den Weg zu einer Lichtung gewiesen, auf dieser standen einige große Felsen aneinander gelehnt. Auf diesen Felsen wiederum stand ein Baum, eine gewaltige Eiche, deren Wuzeln sich wie ein Netz um die Felsen legten, so fest, daß sie den Stürmen der letzten Jahrhunderte hatte trotzen können. Zwischen diesen Felsen aber hatte es einen kleinen Spalt gegeben, unsichtbar zwischen Wurzeln verborgen für jeden, der nicht wußte, wonach er suchte. In diesen Spalt war Macha hineingekrochen, und drinnen hatte er sich zu jener kleinen Höhle erweitert, in der sie nun stand.

Macha stellte ihre Laterne auf den Boden und begann, in ihrer Tasche nach Feuerstein, Stahl und Zunder zu wühlen. Habe ich Angst im Dunkeln? fragte sie sich. Kleine Kinder fürchten sich im Dunklen, weil sie nicht wissen, was im Dunklen auf sie warten könnte. Sie hören auf sich zu fürchten, sobald sie begreifen, daß es keinen Grund dazu gibt.

Das haben sie damals auch zu uns gesagt. „Es gibt keinen Grund zur Furcht.“ Ein paar schwarze Söldner vielleicht, die sich in die Mauer zurückziehen, aber nichts, was sich nicht mit gutem Stahl bezwingen ließe. Sie haben sich geirrt.

Es gab gute Gründe, sich vor der Dunkelheit zu fürchten, und seit damals hatte Macha Angst im Dunkeln, weil sie wußte, was im Schatten warten konnte. Mit klammen Fingern entzündete sie einen Funken und wenig später die Lampe.

Sie hob die Lampe mit der Linken und blickte nach vorn. Der Spalt führte abwärts. Sie glaubte, regelrechte Stufen im Boden erkennen zu können. Die Pfützen, in denen sich das Tropfwasser sammelte, verbanden sich zu einem Rinnsal und liefen mit einem kaum wahrnehmbaren Plätschern die Stufen hinunter.

Macha schritt weiter vor, kleine Steine knirschten unter ihren Füßen. Sie dachte an Merissas Worte: „Geh die Treppe hinunter und folge dem Bach. Er fließt ins Freie, in die andere Welt. Dort, wo ihr Lichtschein in die Höhle fällt, wächst ein Moos. Dies sollst Du nehmen. Doch gehe nicht weiter heraus, denn manchmal sind Wächter da, und sie lassen die, welche ihre Welt gesehen haben, nicht wieder zurück, davon zu berichten. Nimm das Moos aus dem Licht, aber verlasse die Höhle nicht.“

Doch von Tageslicht war noch nichts zu sehen. Die Dunkelheit wartete wie eine Wand jenseits des Lichtscheines der Lampe. Mit der Rechten tastete sie sich über das nasse Gestein. Ihre Hand zitterte, und die Handflächen waren feucht. Wasser oder Angstschweiß, überlegte Macha. Angstschweiß! entschied sie und umklammerte den Schwertgriff. Viel zu eng hier drin, um eine Klinge zu führen, aber es fühlt sich gut an. „Wenn jemand Dir Angst macht, dann lehre ihn selbst das Fürchten. Laß ihn Angst vor Dir haben!“ erinnerte sich Macha an die Lektion ihres Großvaters. Er hatte sie ständig wiederholt, mit Vorliebe vor ihren Waffenübungen. Eine gute Lektion, wenn man seinen Gegner sehen kann, doch im Augenblick sah Macha nicht viel.

Die Treppe endete. Aus dem Rinnsal war mittlerweile ein kleiner Bach geworden, der nun ihre Stiefel umspülte. Macha hob den Fuß aus dem Wasser und bewegte die Zehen. Das Leder quietschte, und etwas Wasser drang aus den Nähten. Macha seufzte. Nasse Füße! Warum immer nasse Füße?

Sie ging weiter. Die Höhle wand sich, war aber gut begehbar. Hier unten wurde sie auch weiter: Wenn Macha die Arme ausstreckte, konnte sie noch gerade eben beide Seiten berühren. Nach dreißig Schritten eine Biegung und dann — endlich — Tageslicht!

Macha atmete auf. Dort, wo die Höhle endete, bedeckte ein dichter Vorhang aus Wurzeln und Farn den Eingang. Dicht genug, um keinen Blick hinaus zu gestatten. Doch etwas Licht fiel hinein. Ein grünes, schillerndes Licht, das bizarre Schatten in die Höhle warf, wann immer ein Windzug den Vorhang bewegte. Vor dem Vorhang kniete Macha nieder. Kaltes Wasser durchdrang sofort ihre Hose, doch das war jetzt egal. An der Seite des Baches, wo spärliches Licht den Felsen streichelte, wuchs ein Polster zarten grünen Mooses.

Macha stellte die Laterne auf den Boden und nestelte einen Beutel vom Gürtel. Das Moos fühlte sich saftig-feucht und weich an. Ein leichter Geruch nach Erde stieg davon auf. Rasch stopfte Macha das Moos in den Beutel. Viel war es nicht, gerade eine Handvoll. Genug für den Prinzen? Macha wußte nicht, wieviel man für eine Heilung brauchte, aber ihre Ausbeute war gering. Sie sah sich um: kein Moos mehr in der Höhle. Kein Wunder, auf dem Felsen konnte nicht viel wachsen.

Macha lugte zum Ausgang. Ich darf nicht herausgehen, aber vielleicht muß ich das auch gar nicht. Sie kroch zum Vorhang und griff nach dem Farn. Ganz normales Grünzeug. Noch einmal blickte Macha in die Höhle. Ihre Laterne stand jetzt zwei Schritt von ihr entfernt und beleuchtete die Grotte dahinter nur ein paar Schritt weit. Sie lauschte ins Dunkel: Pitsch... Pitsch... Pitsch, tropfte es von der Decke. Niemand da! Dann schob Macha die Blätter beiseite und lugte heraus.

Ein Lichtstrahl fiel herein und ein Luftzug wehte den Duft von Blumen und frischem Grün herein. Draußen murmelte der Bach durch ein mit Moos gepolstertes und Blumen gesäumtes Bett. Das Moos! Wenn ich den Arm ausstrecke, komme ich heran. Ich muß nicht nach draußen. Noch einmal ein Blick über die Schulter, dann beugte Macha sich vor.

Pitsch... Pitsch......PATSCH! erklang es hinter ihr. Dann erlosch die Laterne. Macha wirbelte herum. Aus der Schwärze traf sie ein Schlag. Ein harter Stoß vor die Brust warf sie nach hinten. Macha taumelte, ruderte mit den Armen und griff nach den Ranken des Vorhangs. Dann stürzte sie nach hinten. Der Helm schlug hart auf Stein, schwarze Ringe tanzten vor ihren Augen und Wasser schlug über ihrem Gesicht zusammen. Instinktiv sprang Macha auf die Beine, riß das Schwert aus dem Gürtel und führte einen blinden Stoß nach vorne — ins Leere. Sie prustete, schnappte gierig nach Luft und wischte sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Nun kehrte die Sicht zurück. Macha blickte in einen makellosen Himmel. Die Sonne. Wo ist Sonne? Woher kommt das Licht ohne Sonne? schoß es ihr durch den Kopf.

Der Bach, in dem sie stand, sprudelte auch hier aus einer kleinen Felsgruppe und war zu beiden Seiten von üppiger, blühender Vegetation gesäumt. Es ist Sommer hier! Oder ist es Frühling? dachte Macha angesichts der Blüten. Dann sah sie ihren Gegner.

Am Eingang der Höhle, vor dem grünen Vorhang, stand eine Gestalt. Es war ein Krieger in voller Rüstung. Ein strahlender Helm, geziert von einem weißen Federbusch, verhüllte Kopf und Gesicht bis auf zwei blaue Augen. Ein ebenso blanker Plattenpanzer glänzte unter einem reinweißen Wappenrock, auf dem ein kunstvoll gestickter schwarzer Schwan prangte. Ein ebensolcher schmückte auch den silbernen Schild. Die Beine steckten in Stiefeln und Hosen von weißer Farbe und waren von silbernen Schienen geschützt. In der Hand des Fremden ruhte eine gezogene Klinge. Ein schlankes, kunstvoll verziertes Schwert aus silbrig schimmernden Stahl. Macha musterte den Mann, so es einer war, von Kopf bis Fuß. Die imposante Erscheinung ließ ihn größer wirken, als er es tatsächlich war! Die Gestalt war eher zierlich und einen guten Kopf kleiner als Macha.

Der Wächter! fiel ihr ein. Davon, daß sie einen rauswerfen, hat Merissa nichts gesagt. Macha richtete sich auf und hob den Kopf. Wenigstens hin und wieder sollte ich mich wie ein Ritter verhalten.

„Wer seid Ihr und was wollt Ihr? Nennt mir Euren Namen und Euer Begehr!”

„Das sollte meine Frage sein,“ klang die Antwort zurück. „Ihr seid der Fremdling hier!“ Die Stimme war hell und klar, doch zweifellos die eines Mannes.

„Ich bin Junkerin Macha Ni Grainne von Weidenau. Ich bin hier um ein Heilmittel für den Prinzen Edelbrecht zu suchen. Laßt mich vorbei und ich werde den Ort verlassen.“ Verdammt, der Beutel liegt noch drinnen.

„Ich bin Ritter Faladion Morgenrot. Heilung für den Prinzen werdet Ihr hier nicht finden. Ihr habt geschaut, was Ihr nicht hättet schauen dürfen. Ihr könnt nicht mehr zurück!“

Macha fiel keine wohlklingende Phrase mehr ein. „Dann kämpfe ich mir den Weg eben frei!“

„Und werdet selbst bald Heilung brauchen“, kam es selbstsicher zurück.

„Wir werden sehen!“ knurrte Macha leise und griff an.

Mit drei langen Sprüngen war Macha heran. Der Ritter stand reglos da, bis ihre Klinge herunterfuhr. Dann riß er die Parade so schnell hoch, daß Macha der Bewegung kaum folgen konnte. Ihr war, als schlüge sie auf Stein. Die Klinge wurde so abrupt gestoppt, daß sie ihr fast aus der Hand fiel. Die Antwort des Schwanenritters war blitzschnell. Im letzten Moment konnte Macha den Körper zur Seite werfen und nur mit Mühe einen Sturz abwenden. Macha ging auf Distanz und musterte ihren Gegner erneut. Nicht schlecht für so einen kleinen Mann. Mit dem Schild ist er im Vorteil.

Die Gegner umkreisten sich. Dann sprang Faladion vor. Ein wahrer Trommelwirbel von Schlägen prasselte auf Macha nieder. Mit Mühe und Not konnte sie sich erwehren. An einen Gegenangriff war nicht zu denken. Ein Schlag traf den Helm, er glitt ab, riß ihr aber den Helm vom Kopf.

Der nächste Hieb des Fremden fuhr schmerzhaft über Machas Oberschenkel und hinterließ eine tiefe Wunde. Macha stürzte ins Wasser. Rote Schlieren färbten das klare Naß. Macha atmete schwer. Der Ritter ließ ihr Zeit, wieder aufzustehen. Kaum war sie auf den Beinen, griff er weiter an. Schlag auf Schlag fuhr auf Macha nieder, schnell wie Blitzschläge und hart wie der Hammer eines Schmiedes. Macha kam nicht zur Ruhe und blutete aus mehreren kleinen Wunden. Ihr Arm schmerzte, und das Schwert lag immer schwerer in der Hand.

Irgendwann war ein Schlag zu hart und ihr Arm zu schwer. Seine Klinge glitt noch von ihrer ab und prallte mit der Breitseite gegen Machas Brust. Macha flog zurück und krachte schwer gegen einen Felsen. Knochen knackten bedrohlich. Einen Augenblick wurde ihr schwarz vor den Augen. Blut rann von einer Kopfwunde über ihr Gesicht und benetzte Machas Lippen. Sie schmeckte die metallisch salzige Flüssigkeit. Als sich der schwarze Nebel lichtete, blieb ein roter Schleier zurück.

Nun griff Macha an! Kein Schmerz mehr, keine Wunden mehr, das Schwert war leicht wie ein Stöckchen. Macha packte die Klinge mit beiden Händen und drosch einfach drauf los. Den entsetzten Blick in den Augen des Gegners nahm sie ebensowenig wahr, wie ihr eigenes tierisches Gebrüll. Macha schlug weiter zu, bis sie nur noch Rot vor den Augen sah.

Irgendwann erinnerte sich Macha, wie sie sich Blut von den Augen wischte. Sie saß erschöpft auf einem kleinen Fels. Wasser umspülte ihre Knie. Die Hand umkrampfte noch den Schwertgriff. Einzeln löste sie die Finger. Dann fiel sie auf die Knie und tauchte den Kopf unter Wasser. Rote Fäden durchzogen das Wasser, doch Machas Blick klärte sich. Keuchend kam sie wieder hoch und ließ den Blick wandern. Faladions Gestalt lag am Ufer, keine zwei Schritt entfernt. Der Brustpanzer war an mehreren Stellen aufgebrochen, der Helm gespalten. Sie hatte ihn gleich mehrfach erschlagen. Müde taumelte Macha zu ihm herüber. Glasige Augen starrten entsetzt in einen Himmel, über den kein Praiosauge wachte. Macha streute eine Handvoll Erde über seinen Körper. „Möge Boron Dir gnädig sein!“ murmelte sie. Dann schritt sie auf die Höhle zu.

Einige Tage später ritt Macha erneut durch Angbars Tore. Sie kam mit leeren Händen zurück. Kein Heilmittel konnte sie dem Prinzen bringen, nur die Worte einer alten Kräuterfrau. Nach Faladions Tod hatte sie niemand am Verlassen der Höhle gehindert. Sie hatte nur den Beutel mit dem Moos aus der Höhle mitgenommen. Zuviel Blut hatte das Grün vor dem Eingang getränkt, als daß solches Kraut noch jemanden heilen könnte. Merissa hatte sie auf dem Hof gefunden. Zwei Menschen waren bereits gestorben, hatte Merissa gesagt, doch die anderen könnte das Moos vielleicht retten!

Aber Macha hatte nur den Kopf geschüttelt. Nur wenig von dem heilenden Kraut hätte sie dabei, und das bißchen brauche der Prinz. Dann war sie auf ihr Pferd gestiegen und losgeritten. Merissa hatte nichts gesagt, hatte sie nur schweigend angeschaut. Genauso schweigend wie Faladion und wie die Leiche des Bauern, der in dem Raum aufgebahrt war. Merissas Augen schauten Macha auch noch an, als sie längst eine Stunde unterwegs war. Schweigende Augen.

Irgendwann hatte sie den Blick nicht mehr ertragen können. Sie war umgekehrt, zurück zum Hof und hatte Merissa den Beutel mit Moos zugeworfen.

„Macht was daraus!” hatte Macha sie angefahren. „Und wenn ich in zwei Wochen wiederkomme und es hat nicht geholfen, dann jage ich Euch mit der Klinge selbst in dieses verdammte Loch!“

Merissa lächelte. „Wenn dies Kraut Euren Prinzen nun auch nicht heilen wird, so sag ihm doch wenigstens dies: In den Bergen, dort wo ich als Mädchen lebte, erzählen sich alte Frauen von einer heilenden Quelle, hoch im Norden. Diese Quelle soll selbst Leiden, wie das des Prinzen heilen. Indes, der Weg ist beschwerlich und weit und manche Gefahr mag drohen, doch vielleicht liegt Hoffnung und Heilung an seinem Ende. Sagt dies Eurem Prinzen.“

Mehr hatte Merissa nicht zu sagen gewußt, und Macha hatte erneut den Weg nach Angbar eingeschlagen.

Nun, da sie müde und verwundet durch die festen Tore ritt, wußte sie, daß sie versagt hatte. Sie hatte das Leben des Prinzen gegen das einiger Bauern eingetauscht und konnte nichts vorweisen, als ein Altweibermärchen, das den Prinzen vielleicht belustigen, nicht aber heilen würde. Faladion hatte recht behalten. Bei ihm hatte sie keine Heilung für den Prinzen gefunden. Hoffentlich waren andere würdiger gewesen: Macha Ni Grainne hatte versagt.