Entsatz des Rhodensteins
Entsatz des Rhodensteins
Letztes orkisches Heer auf Reichsboden geschlagen
Trallop. Nur mit Mühe hatten die Getreuen den Prinzen zurückhalten können. Edelbrecht vom Eberstamm hatte auf dem Reichskongress von den Siegen zu künden vermocht, welche die Ritter seiner markgräflichen Gemahlin und seine eigenen Gefolgsleute im Finsterkamm und vor Nordhag über die Schwarzpelze errungen hatten. Noch bevor er aus der Hand der Reichsbehüterin den Bronzenen Greifenstern empfing, hatte Prinz Edelbrecht gelobt, den bedrängten Geweihten des Rhodensteins zum Entsatz zu eilen, und dafür eifrig um Unterstützung bei den versammelten Edlen des Reiches geworben. Da wollte mancher mit dem koscher Prinzen die Orken stechen, und sein fürstlicher Vater war nicht der geringste unter ihnen.
Als nun die Schreckensnachricht aus Donnerbach die Runde machte, hätte der Prinz fürwahr gern sein Gelöbnis widerrufen und sich mit den Seinen dem Bruder seines Vaters, Marschall Geldor, angeschlossen. Der jedoch erinnerte seinen Neffen an seine Worte – und wichtiger noch: „Scheitern wir, steht ihr als einziges Heer zwischen Trallop und dem Darpat.“ „Ihr werdet nicht scheitern. Aber ich folge“, war des Prinzen Antwort. So harrten all jene aus, die sich um Fürst und Prinz vom Eberstamm und ihr Kriegsbanner Ondifalors geschart hatten: rund fünfzig Greifenfurter Barone und Ritter und noch einmal so viele koscher Adelige und Schlachtreiter, die des Fürsten Bedeckung gewesen waren, des Prinzen Falkenritter, mehr als ein Dutzend Nordmärker Ritter vom Bund der Koradiner mit nicht weniger als 40 berittenen Waffenknechten, Edle aus Darpatien, dem Bornlande, ein Streiter vom Orden des Bannstrahl und manch Tapferer mehr. Gleichwohl sandte der Prinz vorausschauend den Baron vom Nebelstein gen Nordhag und zwei koscher Recken als Späher zum Rhodenstein. Aus dem Feldbuch des Halwart vom Eberstamm zu Ochsenblut, Falkenritter: Kaum dass die Nachricht von der Überquerung des Rathil Trallop erreicht hatte, befahl Edelbrecht eilends den Aufbruch. Heute empfing mein Vetter den Baron von Sighelms Halm, einen der zurückgekehrten Späher: Der Abtmarschall hat Wort gehalten: Die Mauern des Rhodenstein stehen noch immer und auf den Zinnen trotzen die Geweihten dem Feind.
Bericht Brinjas von Firnharsch, Knappin: Von Nordhag ist der Rhodenstein schneller erreicht als von Trallop, weswegen uns der Baron von Nebelstein in einiger Entfernung von der Ordensfeste auf die übrigen Greifenfurter und die Ritter des Prinzen warten ließ, mit denen wir uns für den Entsatz vereinigen sollten. Den Schutz des befreiten Nordhag hatten wir Weidener Kriegsleuten überlassen. Mit uns gekommen waren die Streiter eines seltsamen Bundes aus der Heldentrutz, die vor Nordhag unsere Waffengefährten gewesen waren: Menschen, Finsterkamm-Zwerge und Elfen gar, geführt vom Waldläufer Grimmwulf dem Grünen. Jener war es auch, der uns einen einigermaßen versteckten Lagerplatz gewiesen hatte, und im Morgengrauen aufgeregt zum Baron von Nebelstein, dem Marschall Greifenfurts, kam: Eine größere Schar Orken war in der Nacht vom Rhodenstein gen Norden geeilt, dem Heer des Prinzen entgegen. Wir machten uns an die Verfolgung.
Zusammenfassung verschiedener Berichte: Der orkische Häuptling blutete aus vielen Wunden. Wenngleich er sieben der Unsrigen gefällt oder verwundet hatte, waren seine Krieger allesamt erschlagen oder geflohen. Beinahe wäre sein perfider Plan aufgegangen: Häuptling Grakwach und die Seinen hatten den Hufschlag der sie verfolgenden Greifenfurter aus Nordhag schon beinahe hinter sich gehört, aber bis zum Abend stets ihren Vorsprung gehalten. Dann aber lauerten die Schwarzpelze ihren Jägern auf. Überraschung und Dunkelheit machten die Unterzahl der Orken mehr als wett. Der Marschall von Nebelstein fluchte, seine Befehle schienen ungehört zu verhallen. Schon musste Grakwach seinen Plan erfüllt sehen: Das kleinere Menschenheer zerschmettert und mit den Zeichen des Sieges geschmückt dem Größeren entgegenziehen. Doch fehlten dem Orkenhäuptling dafür die Krieger. Womöglich hatte er sich eigenmächtig unseren Entsatzheeren entgegengestellt. Der Schamane Ugrashak hatte getobt, als er davon erfuhr, berichteten die Rhodensteiner und der Hammerschlager hernach. Grakwach hatte alles gewagt und alles verloren. Zu früh gelang es dem Nebelsteiner seine Reihen zu ordnen, viel zu früh für Grakwachs finsteren Plan waren die Ritter des koscher Prinzen aus Trallop heran und fällten die verbliebenen Orkenkrieger.
Dem Schamanen konnte Grakwach jetzt nicht mehr gegenübertreten. Er bleckte die Zähne, dann stieß er sich seinen Khurkach tief in den Leib und schleuderte die blutigen Eingeweide den Menschenfürsten entgegen, bevor er tot zu Boden sank.
Bericht Norres von Bjaldorn, Burgsass des Rhodensteins: Der Abtmarschall hatte, wie an jedem Morgen in den letzten vier Monden, seine Position auf der höchsten Zinne der Feste eingenommen, als am Horizont die Banner auftauchten, die Entsatz verhießen. Alte Banner aus der Mark Greifenfurt und aus Weiden waren darunter, Orkenwall, Weißenstein und Weidenfels konnte ich erkennen, doch alle überstrahlte das Banner des fürstlichen Hauses Eberstamm. Gleichzeitig kam Bewegung in die Schwarzpelze zu Füßen der Burg. Ugrashak schien nicht gewillt, sich die Beute, die er sicher glaubte, noch entreißen zu lassen. Der Abtmarschall musste meine Gedanken gelesen haben: „Zeigen wir Ugrashak, dass wir keineswegs so sturmreif sind, wie er zu meinen scheint!“ Während die Schwertbrüder und Schwertschwestern die Wälle besetzten, wie stets wenn der Türmer zum Kampfe rief, war der Schamane der Orks von dem riesigen Wagen gestiegen, von dessen Plattform er vier Monde lang den Sturm auf die Feste befehligt hatte, und hatte mit einem gezackten Opfermesser einen der riesigen Steppenrindbullen geschächtet, der ins Joch des Wagens geschirrt gewesen war. Als das Tier blutend in die Knie brach, trieb der Schamane mit groben Schlägen seiner Knochenkeule einen mächtigen Streitoger vor sich her und bespritzte ihn grob, aber äußerst reichlich mit dem dunklen Blut des Bullen, wozu er einen kehligen Singsang anstimmte. Dieweil war der finale Sturmangriff der Schwarzpelze voll entbrannt. Doch während unsere Geweihten Morgenluft witterten, kämpften die Orks allenfalls mit dem Mut der Verzweiflung, so als wüssten sie, dass der Wille ihres Herrn, so unbeugsam er auch sein mochte, nicht in einem weiteren Angriff zu zwingen vermochte, was in allen Angriffen während über hundert Tagen nicht gelungen war. Waren auf den Wällen auch nur mehr 40 Geweihte verblieben, so ließ ihre Tapferkeit ihre geringe Zahl vergessen. Die Orkkrieger mussten von ihren Anführern mit Peitschen gegen die Wälle getrieben werden, einzig der Oger stampfte, kaum von der Kette gelassen, wie besinnungslos gegen das Tor zur Hochburg vor. Und wahrlich, er musste unter einem dunklen Zauber stehen, denn mag die Kraft dieser Ungetüme auch immens sein, so reicht sie bei weitem nicht, die zyklopischen Tore des Rhodensteins zu sprengen. Dieser Oger aber ließ die Scharniere erklirren und den Torbogen ächzen. Die Stimme meines Herrn vibrierte voll Unwillen, als er sich von seinem Posten löste und mir ein Zeichen gab, ihm zu folgen. „Zu wenig, Ugrashak, und viel zu spät…Wohlan denn, Burgsass, lasst uns diese Farce zu Ende bringen.“ Aus dem Feldbuch Halwarts vom Eberstamm zu Ochsenblut, Falkenritter: Während andernorts in Weiden die Peraineblümlein die Wiesen schmückten, bot sich vor dem Rhodenstein eine Wüstenei dar. Der Weiler verlassen, die Dörfler wohl alle in die Feste oder nach Osten geflüchtet, die Hütten zuvor vorsorglich verbrannt. Und wo einst Weiden standen – keine Spur mehr von Grün, sondern geschändeter Grund. Die Schwarzpelze hatten keine Zeltlager aufgestellt, sondern sich Erdlöcher in den Boden gegraben, hunderte und aberhunderte von Erdlöchern, und in jedem ein Krieger der Zholochai. Wer noch nicht im letzten Orkenzug gefochten, den mochte angesichts dessen ein Schauder überkommen. Die altgedienten Streiter hingegen blieben gelassen.
„Lächerlich“ schnaubte Meister Growin von Ferdok angesichts der Schanzwerke, verließ seine Reisekutsche und schulterte die Axt, bereit schnurstracks auf die Schwarzpelze zuzustapfen. „Es sind ihrer nicht mehr als der Unsrigen, mein Fürst“, meldete der Rittmeister von Hammerschlag, „aber sie scheinen uns nicht einmal recht wahrzunehmen. All ihr Sinnen gilt noch immer der Einnahme der Burg.“ Der koscher Fürst strich sich nachdenklich durch den von der Kettenhaube eingezwängten Bart und blickte zum Burggrafen von Baliho. „Ugrashaks Wahn“, raunte jener und seine Augen funkelten. Dann gab Prinz Edelbrecht das Zeichen und donnernd brachen sich Pferd und Reiter Bahn. Bericht Borckharts von Brauningen-Binsböckel, Herold des Mittnächtlichen Herzogtums: „Die Schwarzpelze, die nicht beim Sturm auf die Wälle unter den Streichen der Geweihten gefallen waren, flohen Hals über Kopf, als die Reiter aus Greifenfurt, dem Kosch und dem Herzogtum Weiden auf breiter Front gegen die Feldschanzen des Orklagers vorpreschten, und weder die Peitschen der Aufseher noch die gebrüllten Flüche des Großschamanen vermochten sie noch zu halten. Was folgte, war ein Massaker, der Beschreibung unwürdig: Kaum verlangsamte das Niederreiten der Flüchtenden den Galopp unserer Pferde, auch nicht die von den Orken gegrabenen Löcher und in die Erde gerammten Pfähle – und nur hier und da sah ich einen der Unsrigen stürzen. Erst als des Prinzen Ritterschar die gesprengte Pforte ins Innere dessen erreichte, was einst der Weiler Rhodenstein gewesen, da zügelte Herr Edelbrecht sein Ross, um dem Burggrafen Avon Nordfalk den Vortritt zu gewähren, vertrat dieser doch an diesem Orte Frau Walpurgen daselbst. Herrn Avons Grenzreiter, die den Ort der Zerstörung zuerst erreicht hatten, umringten dieweil den Schamanen. Doch die Zeit, da der finstre Ugrashak, erbittertster Feind des Herzogtums Weiden und von maßlosen Hass auf Meister Brin erfüllt, die ganze Heldentrutz in Furcht und Schrecken versetzt hatte, war vorbei. Aus unzähligen Wunden blutend, die ihm die Lanzen und Schwerter der Grenzreiter zugefügt, stolperte der einst so Gefürchtete durch den zerwühlten Schlamm seines Feldlagers, während die Schläge seiner Keule nur mehr bloße Luft zerteilten. Dennoch schien er nicht einsehen zu wollen, dass er besiegt war. Ein Ende machte dem unwürdigen Schauspiel der Herr der Feste selbst, denn alsbald öffneten sich die Burgtore, die unter den Schlägen des mächtigen Ogers erzittert, aber nicht geborsten waren, und Meister Brin erschien unter dem Torbogen. In seiner Faust blitzte die rote Klinge des Dominiums Orkenwehr, Lirondyan, geschmiedet aus dem feuerfarbenen Stahl Uhdenbergs. Das tumbe Antlitz des Ogers zeigte fast so etwas wie Verwunderung, als er den in weiß und rot gewandeten Mann raschen Schrittes sich nähern sah, der von seiner Warte aus doch so winzig und harmlos erscheinen musste. Der Ausdruck der Verwunderung stand auch noch auf dem Gesicht des Ogers, als Lirondyan in einer fast beiläufigen Bewegung den Kopf vom Rumpf getrennt hatte und der Körper des Ungetüms donnernd zur Seite gekippt war. Dann gebot der Herr der Feste dem Treiben der Grenzreiter Einhalt. Endlich standen die beiden Gegner, die diesen unseligen Krieg mehr als alle anderen ersehnt hatten, einander Auge in Auge gegenüber. Doch es war keine Befriedigung in den Augen Herrn Brins, und auch der Glanz in den Augen des Orks war zu einem trüben Flackern erloschen. „Bring es zu Ende!“, raunte Ugrashak heiser in gutturalem Garethi, indem er sich schwer auf seine Keule stützte, da seine Beine ihn nicht mehr zu tragen vermochten. Herr Brin jedoch senkte das Schwert und wandte sich ab, zu unwürdig erschien ihm dieser Sieg, als dass er seiner Göttin dies Opfer hätte anbieten können. Schwer zu sagen, ob er es in den entsetzten Mienen Herrn Norres und Frau Rondrianas gelesen, ob er den Windzug gespürt oder das Knirschen sich spannender Muskeln gehört hatte. Ich vermute, dass er schlicht wusste, was passieren musste, weil er seinen Gegner kannte. Schnell war Ugrashak und furchtbar der Hieb seiner Keule, in den er all seinen Hass und all seine Todesverachtung gelegt hatte, doch schneller war Herr Brin, als er herumfuhr, mit einem Hieb die beinerne Keule zersplittern ließ und Lirondyan so tief in Ugrashaks Leben versenkte, dass ein schwärzlicher Blutstrahl hervorschoss. Ein tonloses Lachen entrang sich der Kehle des Schamanen, als er zusammenbrach. Einen Augenblick wälzte sich der Ork noch wohlig stöhnend am Boden, so als genieße er auf obszöne Weise das eigene Sterben, während seine Lippen die Worte „Es ist noch nicht vorbei!“ formten. Dann lag er still. Der Abtmarschall schien eben den Mund öffnen zu wollen, um etwas zu sagen, als ein eiskalter Windhauch durch die Reihen der Ritter wehte, bis an die Stelle, wo der Kriegswagen des Schamanen wie ein weggeworfenes Titanenspielzeug im Schlamm lag. Als der geschächtete Bulle, mit dessen Blut Ugrashak sein letztes finsteres Ritual gewirkt hatte, sich schwerfällig auf seine gespaltenen Hufe erhob, aus gebrochenen Augen zu uns herüberstarrte, und als sein Blick eine Sekunde lang den Blick Herrn Brins einfing, bevor er davongaloppierte, da lächelte der Herr des Rhodensteins. Fast schien etwas wie Anerkennung in diesem Lächeln zu liegen – und Kampfeslust. „Es ist noch nicht vorbei!"
J.-A. L., M.M., F.S. - aus dem Aventurischen Boten