Die Zweite Neufarnhainer Tafel - Morgenmahl

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1033, Neufarnhain

Allmählich hatten die Neufarnhainer auch ihre letzten Frühstücksvorbereitungen abgeschlossen. Nunmehr standen auf dem gesamten Dorfplatz Bänke und Tische, an denen sie gemeinsam mit den hohen Gästen speisen sollten. Edelbrecht hatte im Vorfeld der Planung darauf bestanden, dass auch im Rahmen dieses Festes die Standesunterschiede möglichst wenig zu spüren sein sollten.
Wäre nun noch der allgegenwärtige Nebel gewichen, hätte man in der Tat von einem schönen Frühlingsmorgen sprechen können. Nachdem endlich alle am Frühstückstisch erschienen waren und man gemeinsam ein Tischgebet an die gütige Mutter Travia gerichtet hatte, stärkten sich sowohl Einheimische als auch Gäste.
Roban hielt sich mit dem Essen ein wenig zurück und machte vor allen Dingen einen großen Bogen um den Getreidebrei. Normalerweise war er kein Kostverächter, aber sein ohnehin grummelnder Magen hätte ihm den Verzehr der naturgemäß schleimigen Substanz wohl ziemlich übel genommen. So hielt er sich entgegen seiner üblichen Gewohnheit an trockenes Brot und Wasser, so ziemlich das einzige, was sein Körper nur mit leichtem Rumoren quittierte. Nur bisweilen warf er einen neidvollen Blick auf die anderen, die sich nicht so zurück halten mussten.
Ingramosch hingegen griff bereitwillig zu, während sich Olgosch ins Gedächtnis rief, wie schwer sich die Siedler für dieses Mahl abgerackert hatten. Zu Hause in Neuvaloor tat er wenigstens etwas für sein täglich Brot, hier hingegen hatte er noch nichts für das Überleben der Siedlung getan. Etosch Gabelbart hatte die nachdenkliche Miene seines Freundes bemerkt.
"Was ist los? Schmeckt's Dir nicht?"
"Oh, doch, doch ... ich war nur in Gedanken. Ich bitte um Entschuldigung, aber als rechte Hand Ritter Boromils muss ich soviel mitdenken und -rechnen. Man kommt aus dieser Rolle nicht so leicht heraus."
"Na, lass mal die Gedanken Gedanken sein und stärke Dich! Du wirst nachher noch Deine Kräfte für die Jagd brauchen!"
"Ein wahres Wort!", nickte Olgosch, den sein alter Freund sichtlich aufgemuntert hatte.
Als fast alle Teller und Schüsseln schließlich geleert waren, erhob sich Edelbrecht von seinem Platz und ergriff das Wort: ”Liebe Freunde, es erfüllt mich mit großem Glück, euch an diesem Tage alle an meiner Seite zu wissen. Ihr habt euch in den letzten Stunden alle von den bescheidenen Erfolgen überzeugen können, die wir hier in Neufarnhain gemacht haben, und ich hoffe, mich bald einmal bei euch umsehen und euer Vorankommen bestaunen zu können. In der Tat haben wir wohl alle Anlass zu Freude und Stolz über das im vergangenen Götterlauf Erreichte. So lasst uns denn diesen Tag festlich begehen und einmal unsere Alltagssorgen hinter uns lassen. Bevor wir uns am Abend aber an auserlesenen Köstlichkeiten aus unserer eigenen heimischen Produktion sowie aus Borking und Herbonia erfreuen können, halte ich es für eine gute Idee, wenn wir alle, meine verehrten Gäste, uns auf die FIRungefällige Hatz begeben und unser Menü noch um das ein oder andere Wildbret ergänzen, ist es doch eines Koschers unwürdig, sich ins gemachte Nest zu setzen und darauf zu warten, dass einem die gebratenen Tauben in den geöffneten Schlund flattern.”
”Baroschem, so spricht ein wahrer Koscher!” und Reto hob seinen Becher zum Gruß in die Runde. Die Zwerge klopften mit ihren Bechern zustimmend auf den Tisch.
"Eines Angroscho würdig!" brummte Olgosch anerkennend Etosch Gabelbart zu, der wissend nickte.
Weiteres beifälliges Murmeln tönte dem jungen Borkinger entgegen, als er fortfuhr: ”Damit nun der spielerische Wettbewerb nicht zu kurz kommt, dachte ich mir, jeder der Hohen Herren wählt sich eine Mannschaft und begibt sich mit dieser auf die Jagd. Wer bis zur dritten Mittagsstunde mit der größten Jagdbeute heimkehrt, dem sei dieser bronzene Pokal, der seit Urväterzeiten im Besitz meiner Familie ist, zuerkannt.”
Sprach’s und zog ein Tuch vom Tisch, das während der gesamten morgendlichen Mahlzeit einen Becher verdeckt hatte, welcher mit diversen Bildern geschmückt war. Diese zeigten in schlichten Linien diverse Szenen aus dem Leben eines Adligen des 7. nachbosparanischen Jahrhunderts.
Zwar mochte es sich bei dem Gefäß um kein allzu wertvolles Stück handeln, doch immerhin war es funktional und darüber hinaus ein nettes Erinnerungsstück an den heutigen Tag und so zeigten sich die Gäste mit dem Ansinnen des Gastgebers einverstanden.
Ingramosch Grambart bekam gar leuchtende Augen bei dem Gedanken an den Preis. Das wäre eine herrliche Trophäe! Jetzt würde er sich beweisen können.
”Ein schöner Preis Ritter von Borking, wenn ihr erlaubt, werden Erborn und ich unser Glück allein und auf dem Pferderücken versuchen, weshalb wir das Angebot eines ortskundigen Führers dankend ablehnen. Wir werden uns nach Osten, am Sumpfrand entlang bewegen, die Spuren unserer Pferde werden ausreichend sein, um zurück nach Neufarnhain zu finden. Firun mit euch allen.”
Edelbrecht nickte Reto leicht zu. Nichts anderes hatte er, wenn er ehrlich war, von dem stolzen von Tarnelfurt erwartet. Rasch wurde daraufhin die Morgentafel aufgehoben und die Ritter suchten sich sowohl unter ihrem Gefolge als auch unter den Neufarnhainern den ein oder anderen Begleiter.
”Kann ich mit deiner Unterstützung rechnen?” fragte Roban die Festumer Maga, die das Morgemahl in höflichem Schweigen zugebracht hatte.
”Ihr wünscht meine Begleitung auf dem Jagdausflug, Wohlgeboren?” fragte sie schnippisch. ”Euch ist hoffentlich bewusst, dass der Einsatz von Zauberei den ehernen Gesetzen des eisigen Firun widerspricht?”
”Sicher!” schnarrte Roban ärgerlich. ”Aber erstens kann ich dich nicht guten Gewissens allein hier zurück lassen, und zweitens kennst du dich im Sumpf vermutlich besser aus als die meisten von Edelbrechts Siedler. Und falls und wirklich irgendwelches Viehzeuch auf den Pelz rückt, dass lieber uns verspeisen will als sich selbst verputzen zu lassen ...”
”Ich verstehe, Wohlgeboren?”
Danja säuberte die Finger an einem bereit gelegten Tuch und schien einen Moment zu überlegen.
”Nun, auf Euer Drängen hin könnte ich es tatsächlich in Erwägung ziehen, Euch meiner Begleitung zu versichern.”
Der Ritter knirschte mit den Zähnen. Er HASSTE es, wenn Danja so förmlich mit ihm sprach. Und sie wusste, dass er es hasste.
”Ein Ja oder Nein tut es auch”, brummelte er.
”In diesem Fall ist die Antwort Ja”. Innerlich nahm Danja von dem Vorhaben, die Abwesenheit des Herren von Neufarnhain für einen nicht genehmigten Abstecher zum Steinkreis zu nutzen, Abstand – aber nur einen geringen.
Roban benannte noch die beiden Zwerge Dwarrin und Dorwin als seine Begleiter, auch wenn diese ihn mit einem Blick maßen wie einen verurteilten Schwerverbrecher. Aber seiner Erfahrung nach waren Zwerge zumindest gute Schützen mit der Armbrust, und die konnte er gebrauchen, wenn er nicht mit leeren Händen nach Neufarnhain zurück kehren wollte.
Olgosch nahm sich als älterer gegenüber Ingramosch das Recht heraus, einen Gefährten für die Jagd auszuwählen. Die meisten der Siedler hatten von der Jagd vermutlich keine Ahnung. Außerdem würde jeder, der mit ihnen ging, gleichzeitig bei den täglichen Arbeiten in der Siedlung fehlen. Er wusste nicht, welcher der Zwerge eventuell noch für den Wachdienst eingeteilt war, und wollte nicht Edelbrecht vor die peinliche Situation stellen, sein Wort über die freie Auswahl unter den Siedlern nicht halten zu können.
Innerlich hoffte Olgosch inständig, dass die Zwerge tatsächlich die Siedlung bewachen würden. Schließlich würden viele gute Kämpfer heute hinaus in den Sumpf ziehen... aber einen der jüngeren Menschen - Angrosch, sie waren doch alle jung! - wollte Olgosch auch nicht mitnehmen. Schließlich hatte er bereits den Jungspund Ingramosch, auf den er aufpassen musste, damit dieser nicht zuviele Flausen ausleben würde. Da blieb sein Blick auf Cordo Sauerbrodt hängen. Der war nicht übermütig und hatte den nötigen Respekt vor dem Sumpf.
"Ihr wollt mich als Verstärkung Eurer Jagdgruppe?", fragte Cordo etwas überrascht. "Nun gut, seine Wohlgeboren haben es befohlen. Ihr wisst ja, worauf Ihr Euch einlasst mit mir!", schickte sich Sauerbrodt in sein Schicksal.
"Keine Angst, griesgrämige Begleiter bin ich gewohnt!", hätte der Sohn des Ogrim beinahe geantwortet, besann sich dann aber doch noch eines besseren.
Stattdessen sagte er: "Ich brauche jemanden mit Lebenserfahrung, der nicht erpicht darauf ist, im Sumpf irgendwelche Abenteuer zu erleben."
Zum ersten Mal an diesem Tag schien sich in Cordos Gesicht so etwas wie ein ehrliches Lächeln zu abzuzeichnen.
Der Grimsauer verließ sich ebenfalls auf seine beiden Begleiter, die er mitgebracht hatte. Alma konnte Tierfährten so gut finden, wie den Weg durch den Sumpf. Und sollte eine wildgewordene Bache auf ihn zustürmen, so wollte er niemand anderes als Rambox an seiner Seite wissen, der mit Axt und Armbrust gleichermaßen umzugehen wusste.
Als alle ihre Wahl getroffen hatten, stieß der alte, ehrwürdige Angroschgeweihte Dwarrosch, Sohn des Dwingel, ins Horn und damit zum Aufbruch.