Zwietrutzens Frühling - Wiedervereinigung
Mit Tränen in den Augen schloss Medene Grimm zu Zwietrutz in die Arme. „Endlich! Endlich sehen wir uns wieder.“
„Ich dachte, Du würdest Dich freuen. Und nun weinst Du“, antwortete Grimm, darauf bedacht, seine eigene Rührung zu verbergen. „Es ist nun schon drei Jahre her“, fuhr sie fort und boxte ihm dabei in den Bauch. Deine Nichten sind darauf erpicht, die Burg und den dazugehörigen Herrn kennen zu lernen.
Höflich verneigten sich die 4 Töchter Medenes vor Grimm, bevor er sie einzeln nacheinander in den Arm nahm. „Bei Rondra, was seid Ihr groß geworden.
Ich freu mich wirklich sehr, dass Ihr kommt. Es ist tatsächlich viel zu lange her und im Moment mache ich nichts anderes als mit Edelbrecht und Attalan über den Zahlen zu hängen.“
Grimm berichtete seiner jüngeren Schwester, dass sich der Baron angemeldet habe und er nun für diesen einen Bericht mache, bzw. verstehen müsse, was der Amtmann und der Magister in diesen Bericht schreiben würden.
Mit der plappernden und staunenden Schaar der Mädchen gingen die Zwietrutzes in die Burg und dann im Bergfried in die kleine Kaminstube.
Auf ihren kleinen Bruder wartend, erzählten sich die Geschwister von ihren Erlebnissen der letzten Jahre und tauschten und tratschten über alles, was sie wussten oder gehört hatten. Als Medene voller Stolz über ihre Kinder sprach, hielt sie inne: „Grimm“, sagte sie, halb vorwurfsvoll, halb mütterlich, „Du wirst nicht jünger und das Haus braucht einen Erben“.
„Jetzt fang Du nicht auch noch an“, polterte ihr großer Bruder zurück. „Lass mich doch erst einmal ankommen und das Lehen in Ordnung bringen. Hast Du Dich mit Edelbrecht verbündet? Und außerdem. Du hast doch genug Erbinnen für das Haus – und Eulrich zu Zwietrutz auch!“ „Ach Grimm, Du weißt genau, dass Du nicht nur an Dich denken darfst und Deine Neffen und Nichten sind alle versorgt.“ Grinsend fuhr sie fort: „Du solltest Dich binden. Ich könnte Dir dabei helfen und zufällig habe ich schon jemand im Visier!“
„Wusstest Du, dass ein Ork im Kerker sitzt“, wechselte Grimm das Thema abrupt. Der Sinn stand ihm wahrlich nicht danach, von der eigenen Schwester verkuppelt zu werden.
„Jaja, Grimm, das wusste ich schon“, antwortete sie. „Wo bleibt denn die Eule“, scherzte Grimm. „Er hat mir geschrieben auch heute ankommen zu wollen. Aber sein Weg ist ja nun unweit länger“, beantwortete Medene die Frage Grimms.
Bevor Medene sich zurück auf ihr eigentliches Thema zurückbesinnen konnte, öffnete sich die Tür und ihr Bruder Eulrich betrat den Raum, begleitet von seinen beiden Söhnen samt seiner Ehefrau Lorinai zu Zwietrutz. Medene fing erneut an zu weinen und stürmte auf ihren deutlich jüngeren Bruder zu und nahm ihn in den Arm.
Grimm bemerkte, dass sich Medene und Eulrich offensichtlich des Öfteren gesehen hatten, denn auch seine Frau, „wie hieß sie noch gleich“, und seine Söhne wurden herzlich von ihr begrüßt.
Auch Grimm ging auf sie zu und begrüßte alle herzlich. Eulrich war deutlich jünger als Grimm und die innige Beziehung, wie sie Medene zu ihm hatte, war ihm ob seiner Pagen, Knappenzeit und Ritterzeit verwehrt geblieben. Dennoch freute er sich, ihn wieder zu sehen und war erstaunt, wie reif Eulrich mittlerweile wirkte.
Ein wildes Durcheinander von Umarmungen und Rufen entstand und zum ersten Mal seit Langem trafen alle Teile derer zu Zwietrutz in Gänze, mit Ausnahme von Medenes Mann, zusammen.
Erst als Wolfor zu ihnen stieß und dieser zu seinem Erschrecken aufgefordert wurde, mit den Kindern die Burg zu erkunden, wurde es ruhiger in der Kaminstube.
Die Geschwister suchten sich die gemütlichsten Sitze aus und genossen zunächst die Ruhe, nachdem alle anderen gegangen waren. Dann jedoch erzählte zunächst Eulrich von sich und der Arbeit im Junkergut seiner Frau. Auch Medene berichtete von ihrem Dienst als Ritterin und ihren Aufgaben.
„Du erzählst gar nichts“, forderte Medene ihren großen Bruder auf. „Wie früher schon!“ Derartig aufgefordert beteiligte sich der Burgherr nun ein wenig mehr und berichtete von sich, von seiner Arbeit, den Teilnahmen an Schlachten, von Turnieren und letztendlich vom Lehenseid bei Erzbart.
„Du bist doch selber streng“, neckte Medene ihn, als er über den Auftritt Erzbarts beim Lehenseid sprach. „Du mit Deinem Codex, deiner Korrektheit und Deinen“. Sie hob die Stimme und rümpfte die Nase: „Prioritäten“. „Mir scheint, Ihr seid Euch nicht unähnlich. Du nur jünger und vielleicht mit ein wenig mehr Humor und Liebe.“
Grimm wurde rot. Ob es Wut über diesen Vergleich oder der Gedanke war, dass Medene ihn immer noch wie ein Buch lesen konnte, wusste er nicht einzuschätzen. Aber letztendlich fühlte er sich ein wenig ertappt.
„Naja, lassen wir das“, übernahm er etwas zu schroff das Wort. „Nun habe ich das Erbe angenommen und will es natürlich gut machen“. „Zwietrutz ist vom letzten Heerzug eigentlich verschont geblieben. Dennoch hat kaum ein Lehen im Vergleich mehr junge Leute gegen Haffax verloren als wir. Egal mit wem ich spreche, höre ich das immer wieder, obwohl es zwei Jahre her ist – es ist Trübsal im Lehen“, schloss er nachdenklich.
„Dann mach was Schönes“, setzte Eulrich an, der eine ganze Weile still war und sich wohl erst an die so persönliche Aussprache mit seinen deutlich älteren Geschwistern gewöhnen musste.
„Genau“, nahm Medene die Idee auf. „Ein Fest - das Zwietrutzfest - im Praios – das hat schon mehrere Jahre nicht stattgefunden.“ Medene platzte vor Euphorie. „Wir müssen Einladungen schreiben“, grinste sie, „Ich übernehme das.“
„Wartet!“ Erneut antwortete Grimm deutlich.
„So etwas will durchdacht sein. Man kann doch nicht einfach ein Fest ausrichten. Wenngleich ich das Familienfest auf jeden Fall wiederbeleben will.“
Er dachte kurz nach. Doch dass sich die Idee jetzt schon in die Köpfe der zu Zwietrutzes gepflanzt hatte, war allen dreien deutlich anzusehen.
„Wer ist geladen? Nur das Lehen? – um das geht es doch. Wie viel Geld steht zur Verfügung? Welche Verwandten sind geladen?“, flüsterte Medene vor sich hin.
Eulrich antwortete nun etwas selbstbewusster: „Ich habe mehrfach Feste und Turniere ausgerichtet. Es wird nicht an der Organisation scheitern. Wir wollen ja schließlich keine Hochzeit ausrichten!“
„Noch nicht“, murmelte Medene vor sich hin, bevor sie es übernahm am Schreibtisch nach Angwarts alter Feder zu suchen.
Burg Zwietrutz, am 22. Phex 1041 BF
Am nächsten Morgen bot Grimm nach dem gemeinsamen und insbesondere für Grimm viel zu lautem Frühstück an, die Burg zu begehen.
Sie warteten zunächst auf Edelbrecht und gingen dann als Familie derer zu Zwietrutz durch den Bergfried. Beim anschließenden Besuch der Bastei und des Zwingers erläuterte Grimm gestenreich an allen Gebäuden, welche Änderungen er plane.
Während Eulrich gebannt und fast ein wenig ehrfürchtig den Worten seines Bruders folgte, fing Medene plötzlich an zu lachen: „Wie eh und je. Nichts darf bleiben wie es ist. Alles muss verbessert werden!“
Plötzlich rief sie: „Zwietrutzkinderrat“. Grimm und Eulrich mussten lachen, als sie an ihr Ritual dachten, dass sie als Kinder durchführten, wenn sie sich gegen ihre Eltern oder gegen den Magister verschwören wollten oder sie etwas feiern oder Heimlichkeiten austauschen wollten.
„Ich werde die Eule nicht auf meiner Schulter nehmen“, lachte Grimm, während die Kinder grinsend „die Eule“ nachäfften. „Vielen Dank dafür“, sagte Eulrich gespielt gekränkt, aber lächelnd.
„Im Ernst“, sprach Medene nun ihre Brüder an. „Ich möchte, dass wir gemeinsam einen Rat abhalten. Nein, nein, Grimm, guck nicht so. Ich weiß, dass Du der Lehensherr bist und ich, ähem wir werden natürlich alle Deine Entscheidungen gutheißen.“
Grimm rollte ein wenig mit den Augen, während die Kinder mit Edelbrecht und Eulrichs Frau „wie hieß sie noch gleich“ in den Zwinger und zur Ingerimmkapelle liefen.
„Sprecht mir nach“, forderte Medene ihre Brüder auf. Aufgrund des nun kommenden, kindischen Schwurs, merkte Grimm, wie er erneut rot wurde.
Medene indes war wieder in ihrem Element und plapperte munter los:
„Wir schwören“, sagte sie, ihre Brüder an die Hände nehmend. „Wir schwören“, antworteten diese deutlich aber ohne Medenes Euphorie.
„Dass wir am ersten Sonntag im Praios 1043 das alte Familienfest ausrichten werden, dass wir alle gemeinsam bei der Organisation helfen, dass wir alle gemeinsam möglichst viele Koscher Adelshäuser ansprechen und einladen werden, dass wir ingerimmgefällig Handwerker und Köche für das Fest organisieren und firungefällig die Zwietrutzer Wälder bejagen werden.“
Traditionell mussten die Zwietrutzkinder jedes Wort wiederholen. Doch Medene merkte, dass sie wieder mal so viel und so schnell gesprochen hatte, dass Grimm und Eulrich dies nicht schaffen konnten. In ihre fragenden Gesichter schauend, sprach sie fordernd weiter, dass es reichen würde, wenn sie „Ich schwöre“ sagen würden.
Beide Brüder taten es, da Medene bereits ungeduldig schaute. Erst danach kehrte ihr warmes Lächeln in ihr Gesicht zurück und sie setzte sich, Erschöpfung spielend auf einen.
In diese Familieneintracht hinein, schritt Wolfor mit kräftigem Schritt und einem kleinen, zugedeckten Käfig bewaffnet auf die Gruppe zu.
„Wohlgeboren, ähem, meine Wohlgeborenen. Winne Tiefmoor die Meierin Wogenschlags lässt Euch zu Eurem Antritt folgendes schicken, dass sie gestern selbst beim Kräutersammeln im Endforst gefunden hat.“
In Erwartung eines weiteren Problems, zog Grimm das Tuch ab.
„Was ist das?“, rief er begeistert.
„Das ist das süßeste Ding, das ich jemals gesehen habe“, unterstütze Medene die Begeisterung.
Wolfor schaute sich in der kleinen Gruppe und sagte mit stolzer Stimme: „Winne hat gestern einen echten Valpodinger gefangen, sie nennt ihn „Hornbär!“
„Am Tag, als wir unsere Wiedersehen feierten. Wenn das kein gutes Omen ist, freute sich Medene. Und setzte sie lachend hinzu: „Und jetzt habe ich auch einen Namen für das Fest: Zwietrutzer Panoptikum!“