Zwietrutzens Frühling - Regen in Wogenschlag
Wogenschlag, 24. des Phex 1041
Bereits jetzt war Grimm bis auf die Haut durchnässt. Ein kalter Phexregen tobte durch das Lehen. Er ritt mittlerweile im Trab, um endlich Wogenschlag zu erreichen. Von der Burg aus ging es dem mehr schlecht als recht ausgebauten Weg sanft bergan und hinter dem Krähenberg mit dem Burgmannenhaus wurde der Weg von den ersten Feldern gesäumt, die im waldreichen Lehen zum großen Teil am Barlbach lagen, der wiederum ebenfalls von Wogenschlag bis fast zur Burg reichte.
Anfangs hatte es Grimm etwas gemütlicher angehen lassen und freute sich auf den Ausritt, der ihn für einen Tag weg von der Lehensverwaltung und dem Bericht für den Baron brachte. In den letzten Tagen hatte er einen guten Überblick über das Lehen, über die Einnahmen, die Ausgaben und die Probleme aus Sicht seines Verwalters Edelbrecht erhalten.
Nun galt es, sein Versprechen einzulösen und die Menschen im Lehen kennen zu lernen und ihre Probleme zu verstehen.
Die Bauern, die eifrig auf den Feldern arbeiteten, grüßten ihn mit allem gebührenden Respekt, aber bei dem Wetter ohne große Freude. Auch kam zu seiner Verwunderung keiner auf ihn zu. „Es passt zu meinem Gefühl“, dachte er, als er den Wehrmühlenhof passierte, der auf halber Strecke lag und von dem ein Wegweiser den gabelnden Weg in den Morden und in den Südwesten nach Wogenschlag wies.
In seinen Gedanken vertieft an den Bericht für den Baron, an die Ideen seiner Schwester und an viele, viele Zahlen, erreichte er schließlich die ersten Häuser Wogenschlags, das mit nur 130 Einwohner dennoch die größte Siedung im Lehen darstellte. Der erste Eindruck des Ortes war trotz des immer noch peitschenden Regens gut.
Die Fachwerkhäuser im Koscher Stil, die wie die Zwietrutzburg mit dem grünen Stein des hiesigen Steinbruchs versehen waren, gaben dem Ort ein ganz eigenes, aber auch anheimelndes Aussehen. Der Ort war sauber und Grimm konnte auch keine großen Schäden erkennen. Seine Laune stieg. In Gedanken hatte er sich aufgrund der Erzählungen und auch seiner Begrüßung ausgemalt, dass sein Lehen tatsächlich verfallen würde.
Nun ritt er langsam durch den Ort und suchte die Trutzhalle, das größte Gebäude des Ortes, neben dem, so wies ihn Edelbrecht an, das Haus der Meierin Winne Tiefmoor zu finden sei. Emsiges Treiben ging im kleinen Ort um und Grimm konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies wohl eher seinem Besuch geschuldet war als solch dringenden Aufgaben, die man auch nach dem Regen hätte angehen können.
Neben der Trutzhalle, in dessen Eingang neben einem Ingerimm auch ein Traviaschrein zu finden war, stand ein kleines Häuschen mit einem Kräutergarten rund um eine große Esche.
Dies musste das besagte Haus der Winne sein. Behände sprang Grimm von seinem Pferd und band es an der Esche fest. Dann ging er zur Tür des kleinen Hauses. Die Tür öffnete sich und Grimm vernahm ein direktes „Was meint Ihr Wohlgeboren, wird Euer Pferd mit meinem Kräutergarten machen, wenn Ihr es mitten in seiner Speisentafel anleint?“
„Oh, dachte Grimm, „gelungener Auftritt“. Er überlegte kurz und entschied sich, die wenngleich indirekte Forderung der Vasallin nicht als Verletzung der Etikette auszulegen. Eigentlich mochte er die direkte Art. Aber er würde aufpassen müssen, dass es ihm nicht als Schwäche ausgelegt wird.
Schnell ging er die paar Schritte zurück und band seinen Hengst wieder ab. Er schaute sich um und beschloss, ihn nun an der Trutzhalle fest zu machen.
Anschließend ging er wortlos zurück zum Haus der Meierin.
„Den Zwölfen zum Gruß Wohlgeboren“, begrüßte ihn die ältere Frau herzlich. Die Aufforderung, sein Pferd woanders anzuleinen schien bereits jetzt vergessen.
„Tiefmoor“, grüßte der Ritter zurück. „Habt Dank für Eure Begrüßung!“
Er trat ein und wurde in die gute Stube geführt. Hier brannte ein kleines Feuer, dass wahrscheinlich nur für ihn entzündet wurde. Nach dem kalten und nassen Ritt nahm er dies jedoch gerne an. Er legte seinen Überwurf in die Nähe des Kamins und setzte sich dann auf dem ihm zugewiesenen, besten Platz der Stube.
Winne Tiefmoor kam mit zwei dampfenden Bechern in die Stube und reichte einen davon ihrem Lehensherrn. In Erwartung eines heißen, wärmenden Tees nahm Grimm einen tiefen, tiefen Schluck. An den weit aufgerissenen Augen der Meierin erkannte er jedoch bereits vor dem Schmecken, dass sein Getränk dafür wohl nicht gedacht gewesen sei.
Er schluckte das Getränk und erhielt als Dank fast zeitgleich ein brennendes Echo aus seinem Hals. Zwar musste er das Getrunkene nicht ausprusten, doch Tränen schossen ihm in die Augen.
Nach einigen Sekunden des verzweifelten Luftholens durch die Nase sprach er in das grinsende Gesicht der Tiefmoor: „Das ist wahrlich ein wärmendes Tröpfchen.“ Er hustete verhalten.
„Verzeiht mein ungebührliches Grinsen, Wohlgeboren, aber unser Barlatzwässerchen wird zumeist in kleinen Schlückchen getrunken. Ganz besonders, wenn es erhitzt ist.“
Nun musste auch Grimm lächeln und nach dem ersten Erschrecken begann der sehr starke Kräuterschnaps nun seine wärmende und gute Laune verbreitende Arbeit. „Nun gut, Tiefmoor, ich bin ab jetzt gewappnet.“
„Aber zunächst möchte ich mich bedanken, dass Ihr mir den Hornbären geschickt habt. Ich habe mich erkundigt. Es ist bislang niemanden bekannt und selbst Attalan glaubt, dass es sich um einen echten Valpodinger handelt.“
„Ich hielt es für ein gutes Omen, dass es ausgerechnet am Tag Eures Lehenseides zum ersten Mal in meine Hand gekrochen kam, antwortete Winne Tiefmoor. „Ich wollte es Euch übergeben, damit Ihr die Hoffnung Eures Lehens spürt, die mit Eurem Antritt einhergeht.“
„Habt Dank dafür“, antworte der Ritter kurz.
„Edelbrecht hat mir alles aus Sicht des Amtmannes gesagt, was mein Lehen angeht. Nun möchte ich Eure und die Sicht meiner Vasallen hören. So habe ich es versprochen und so soll es geschehen.“
Winne schenkte noch einmal großzügig das Barlatzwässerchen nach, setzte sich dann und begann nach einem tiefen Seufzen zu sprechen.