Zwietrutzens Frühling - Antritt im Lehen
Die Scheibe des Praios stand bereits hoch, als Grimm zu Zwietrutz und Wolfor von Roder über den Rittersteig in südliche Richtung gen Trolleck ritten.
Grimm hatte er am Vortag beim Baron von Bärenfang vorgesprochen und den Lehnseid gesprochen, der ihn nun zum neuen Stammherrn des Hauses zu Zwietrutz und des gleichnamigen Lehens machte.
Nach der Übernachtung im „Zwietrutzhaus“ in Drabenburg und der jetzigen Anreise folgte heute der Antritt und die Besitznahme der Burg Zwietrutz. Seit längerer Zeit war er nicht mehr in der Burg gewesen, dessen Namen er stets mit Stolz getragen hat.
Von seinem Lehensherrn hatte er die Frist erhalten, in 2 Wochen einen Überblick über das Lehen zu erarbeiten.
Vor der verwalterischen Arbeit hatte er wenig Angst. Nicht, dass Grimm nach seiner Lehrzeit noch viel damit zu tun gehabt hätte, aber er hatte verfolgt, dass der alte Verwalter seines Onkels, Edelbrecht von Schattenau, noch immer der Amtmann in Zwietrutz war. Überdies hatte er es geschafft, dass ihm auch der Magister, der die Zwietrutzkinder schon vor 20 Jahren gelehrt hatte, nach Zwietrutz folgte.
Sein kleiner Hausstand dürfte schon gestern oder vorgestern angekommen sein. In zwei Wagen wurde dieser von den wenigen Personen begleitet, die ihn nun nach Zwietrutz folgten. Einer der Wagen allein wurde dabei allein schon vom Hausstand des Magisters Xarladas Attalan benötigt. Und Teile von Xarladas waren sogar noch in dem zweiten Wagen gelagert.
Der Magister war ein alter Freund seines Vaters Helmfried. Mit ihm habe er so manche „Expedition“ getätigt, wie sein Vater immer sagt. Nach dieser „Expeditionszeit“ hatten sich die beiden nie aus den Augen verloren und als er und seine Geschwister geboren wurden, wurde Xarladas ein Teil der Familie und unterrichtet die Zwietrutzkinder als Lehrer. Nach dem Tod von Grimms Eltern 1027 BF blieb Xarladas und übernahm die Aufsicht der Zwietrutzes.
Neben seinen Vertrauten freute sich Grimm aber besonders darüber, dass ihn seine Geschwister, Madene und Eulrich ebenfalls zu seinem Antritt besuchen wollten.
Am nördlichen Grenzmenhir waren Grimm und Wolfor bereits vor einiger Zeit vorbeigekommen, als sie den schmalen, aber gut befestigten Weg erreichten, der zur Burg und ins Lehen führte.
Grimm hoffte, die Burg gegen Mittag zu erreichen, denn schnellstmöglich wollte er sich einen Überblick über sein Lehen verschaffen. Nach dem Heerzug im vergangenen Sommer, dem er als Ritter im Heer Barons Stanniz angehörte, hatte er gehört, dass das Bärenfanger Bergbanner als aufgerieben galt. Dies, so fürchtete er, würde auch in Zwietrutz nicht spurlos vorbei gegangen sein.
Der Weg führte nun langsam Bergauf und der majestätische Blick auf das Trolleck mit seinen drei gegenüberliegenden Burgen war bereits möglich, als Grimm und Wolfor bemerkten, dass sie auf eine Menschenansammlung zuritten.
Angespannt ritten sie weiter. Für einen Überfall war die Gruppe wohl zu groß und am helllichten Tag einfach auf dem Weg zu stehen sprach wohl auch nicht dafür.
Als sie näher kamen nahmen die beiden Ritter eine große Anzahl Frauen, Männer und Kinder wahr, die sich offensichtlich in ihre feinsten Kleider geworfen hatten, als wenn es galt, den Praiostempel zu besuchen. Als sie in Hörweite kamen hörte Grimm Jubelrufe. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, denn mehr noch als vor seinem Lehenseid hatte er Angst davor, dass die Bevölkerung Zwietrutzes ihn ablehnen würde und er interne Kämpfe führen müsse.
Sie trabten auf die Gruppe zu und hielten dann an. Als eine ältere Frau auf ihn zukam, stieg er vom Pferd und nahm die ihm gereichte Hand an. „Ich bin Winne, Euer Wohlgeboren,“ sprach sie ihn ohne große Nervosität an, „die Schulzin Wogenschlags.“ Grimm grüßte herzlich zurück und bedankte sich für den Empfang durch die Zwietrutzer, die offensichtlich eine von Grimm nicht geplante Rede erwarteten. Zögerlich fing er an: „Zwietrutzer, lange ist es her, dass ich in Zwietrutz oder sogar in Wogenschlag war. Nun ist meine Zeit als Dienstritter vorbei und ich habe den Eid geschworen, alles mir mögliche für Zwietrutz und den Kosch zu tun.“
Hoffnungsvolle Blicke ruhten auf Grimm und ebenso auf Wolfor. Winne schien ebenfalls hoffnungsvoll, wollte sich aber offenbar nicht mit dem Gesagten zufrieden geben.
„Ihr stimmt uns glücklich und unsere Hoffnung ruht auf Euch, Euer Wohlgeboren“, antwortete sie auf Grimms Rede. „Die letzten zwei Jahre waren hart für Eure Zwietrutzer. Das Bergbanner und Helme Haffax haben unsere besten genommen und wir alle haben schwere Verluste zu ertragen“, fuhr sie fort und in ihrem Gesicht war zu lesen, dass auch sie jemanden betrauerte.
Berührt von der in den Gesichtern ablesbaren harten Zeit erwiderte Grimm: „Zwietrutzer, ich verspreche Euch eins. Der Frühling kehrt nach Zwietrutz zurück. In der kommenden Zeit werde ich mir von Euch alle Probleme schildern lassen und anschließend alles mir mögliche tun, Euch zu helfen.“ Für diese Worte erntete Grimm Applaus und er sah, dass seine Untertanen Mut daraus schöpften.
Er versprach Winne, in den nächsten Tagen nach Wogenschlag zu kommen und dankte nochmal für seinen Empfang, bevor er aufsaß und mit Wolfor an der zwergischen Schmiede vorbei zur beginnenden Anhöhe zur Burg weiterritt.
„Der Frühling kommt zurück, alle Probleme werde ich lösen. Wer und was bist Du? Ein Kaufmann oder ein Ritter?“ Frotzelnd machte Wolfor Grimm nach und schaute ihm verschmitzt an. „Kann ich noch aussteigen?“, fragte er weiter.
„Nein, Du gefühlloser Lump“, antwortete Grimm lächelnd. „Dafür ist es zu spät. Du bist ja schließlich der, der den Frühling zurück bringen muss“, schloss Grimm seine Antwort.
„Das hatte ich gefürchtet“, antwortete der ältere Krieger.
„Wenn gleich ich eben vielleicht etwas in die Minne verfallen bin, alter Freund, sage ich Dir eins“, sprach Grimm nun deutlich ernster. „Ich habe den Eid nicht geschworen, um ein kaputtes Lehen zu haben. Da werden wir uns wohl etwas einfallen lassen müssen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, gab Grimm seinem Pferd einen Klaps und begann den Aufstieg zur Burg.