Wenn Roban eine Reise tut 7 - Der vierte Blasius

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Lutrun in der Baronie Bragahn, vor einigen Tagen.

Grimwulfs Blick wanderte immer wieder über die Straße, die zur Flussfähre führte. Es waren immer wieder Reisende angekommen, zu Fuß, zu Pferd, mit dem Fuhrwerk. Aber kein Roban.
Der Baron biss sich auf die Lippen. Wo steckte der Junge nur? Er glaubte nicht, dass seinem Jüngsten etwas zugestossen war. Roban war zäh genug, um Stiefel aus ihm zu machen. Er fürchtete eher, dass er beim Zählen der Tage durcheinander gekommen und noch gar nicht aufgebrochen war. Womöglich setzte er sich erst in Bewegung, wenn sie längst auf Burg Adlerstein angekommen waren.
„Hochgeboren?“
Unwillig wandte Grimwulf sich um. Einer der Mietlinge stand hinter ihm. Die südländischen Namen konnte er sich nicht merken – Alonzo? Alfanzo?
„Der Fährmann kann nicht länger warten. Er bitte Hochgeboren, an Bord zu kommen.“
Grimwulf schürzte kurz die Lippen. An sich hätte er dem Fährmann anständig einheizen können – andererseits hatte der gute Mann recht. Er wollte nicht Dutzende anderer Reisender warten lassen, nur weil sein Filius unpünktlich war. Also nickte er schließlich und folgte dem Mietling zur Fähre.

Gleicher Ort, einige Tage später

Roban hielt die Augen geschlossen.
Das Holz knarrte unter seinen Füssen und schwabberte leicht im Wasser. Wellen schlugen glucksend gegen die Wand des flachen Kahns, den man im Fährbetrieb eingespannt hatte. Die Seile, an denen man das Gefährt hin und her zog, ächzten beharrlich unter der Last.
Und all diese Geräusche nährten seine Überzeugung, dass dieser vermaledeite Kahn absaufen würde, vermutlich dort, wo der Fluss am tiefsten war!
„No, Ihr fahrt wohl net gern auf´m Boot!“ sprach ihn einer der Mitreisenden an.
„Doch!“ krächzte Roban. „Wieso?“
Neben ihm hatte sich ein Krambold an die niedrige Reling gestellt.
„Na, weil ihr hier so steif steht wie die Statuen an der Heldentreppe. Aber seid unbesorgt – unser vierter Blasius wird uns schon heil rüberbringen!“
Roban blinzelte unwillkürlich und blickte den Mann an.
„Wieso vierter Blasius? Unser guter Fürst ist, so weit ich weiß, der erste Provinzherrscher dieses Namens!“
Der Krambold lächelte verschmitzt.
„Ja, der gute Herr Fürst ist wohl der erste, und bleibt uns hoffentlich noch lang erhalten. Aber der Kahn hier“, er klopfte mit dem Wanderstab an die Reling, „das is schon der vierte dieses Namens, seit der Herr vom Eberstamm auf dem Fürstenthron sitzt!“
Roban schluckte. Eigentlich wollte er es ja gar nicht wissen…
„Was ist denn…mit den andern dreien passiert?“ fragte er trotzdem.
„Tscha, was soll schon passiert sein? Abgesoffen, einer nach dem anderen. Den ersten hat es in der Flussmitte erwischt. War wohl überladen, oder falsch beladen. Auf jeden Fall kam da eine Welle, die etwas höher war und – Platsch! – landete die ganze Ladung im Bach. Fünf Mann sind zu Efferd gegangen, und zwei Rindviecher.“
Robans Herz verzog sich in die Hose.
„Den zweiten haben die Würmer zernagt. Das is jetzt so gute zwanzig Sommer her. Kurz nach dem Ablegen brach die Fähre einfach auseinander. Wieder lag alles im Wasser, aber zum Glück so nah am Ufer, dass es nur ein paar Ziegen erwischt hat. Aber der dritte Blasius, ja, das war ne ganz schlimme Sache!“
Roban hätte dem Kerl am liebsten das Maul gestopft, ihn über Bord geschmissen, samt Stock und Kiepe.
„Bei dem is das Seil gerissen, als er unterwegs war. Is dann flußabwärts getrieben, auf die Felsen, seht ihr, da drüben, wo das Wasser schäumt. Is daran zerbrochen, und Mann und Maus sind damit versoffen. Elf Seelen hat der Herr Efferd geholt, und sämtliche Viecher, da drauf waren. War vor, hmmm, dreizehn Sommern, glaube ich.“
„Dreizehn Sommer“, wiederholte Roban. „Und seitdem…“
„Seitdem versieht der vierte Blasius hier redlich und wacker seinen Dienst“, bestätigte der Krambold. „Und hat sich doch gut gehalten! Nich so gut wie unser lieber Fürst, aber doch ganz ordentlich!“
Das flaue Gefühl im Magen hatte sich mit jedem Wort verstärkt. Seit dreizehn Sommern eierte dieser Kahn an seinem Strick schon über den großen Fluß! Unzählige Wellen hatten an dem Holz genagt, von den Würmen ganz zu schweigen, ungezählte Kähne waren über das Schleppseil hinweg gefahren, wenn es schlaff im Wasser lag, und noch viel ungezähltere Leute, Viecher und Fuhrwerke hatten sich darauf von einem Ufer zum anderen schippern lassen. Und ausgerechnet im verfluchten dreizehnten Jahr stellte er seinen Hintern auf diesem schwimmenden Selbstmordvehikel ab!
Und es war immer noch so elendig weit bis zum nächsten Ufer.
„Aber all diese Unglücke waren noch lange nichts gegen den Tag, als sie ‚Heilige Elida‘ hier ihre letzte Fahrt machte…“
Robans Faust ruckte nach oben, der Kopf des Krambolds reflexartig nach hinten. Erst im zweiten Moment bemerkte er die silberne Münze zwischen den Fingern des Ritters.
„Nimm sie, verschwinde und halt für den Rest der Fahrt die Klappe!“ krächzte Roban. Der Krambold schien erst nicht zu verstehen, um dann zu beschließen, dass er es gar nicht verstehen musste, nahm die Münze, zog freundlich den Hut und trollte sich.
Roban atmete durch und versuchte, nicht an morsches Holz, nagende Würmer und marode Seile zu denken, und auch nicht an die missbilligenden Seelen ertrunkener Flußschiffer, die nur zu gern noch ein paar Lebende zum Spielen gehabt hätten.
Als die Fähre endlich knirschend am Ostufer des Großen Flusses auflief, mussten einige der Reisenden zur Seite springen. Manch ein Edelmann hatte es wohl schon eilig gehabt, über den Fluss zu kommen, aber dass er im gestreckten Galopp ans Ufer sprengte, jubelnd wie jemand, der gerade dem sicheren Tod entronnen war, dass passierte doch eher selten.