Wenn Roban eine Reise tut 8 - Zu spät und doch zur rechten Zeit

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Mühsam quälten sich die Fuhrwerke den Roterzpass empor. Mehr als einmal hatten die Begleiter schon in die Speichen der Räder packen müssen, wenn ein Buckel oder ein Schlagloch in der Straße zu überwinden war. Die Pausen, die man den Zugtieren bei aller Eile gönnen musste, waren häufiger geworden.
Dennoch, Baron Grimwulf war zuversichtlich, Burg Adlerstein noch vor Anbruch der Nacht zu erreichen. Die sommerliche Hitze trieb allen den Schweiß auf die Stirn, nur seine Idumelda saß so stolz und schön wie eh und je auf dem Kutschbock und schien all die Strapazen gar nicht zu bemerken.
Zumindest so lange nicht, bis ein weiteres Schlagloch auftauchte. Erneut musste der Fuhrknecht die Tiere anspornen, erneut die Waffenknechte zupacken, und erneut überwand man das Hindernis.
Zumindest beinahe.
Als das Rad gerade über die Kante rollen wollte, schien die Zugochsen die Kraft zu verlassen. Ruckartig rumpelte der Wagen zurück, und mit einem hässlichen Geräusch brach die Radnabe, kippte das gesamte Fuhrwerk zur Seite. Die Ladung rutschte nach links, und nur die Geistesgegenwart des Fuhrmanns bewahrte Idumelda von den Silberfällen vor einem Sturz auf die Straße.
„Zum Donnerwetter noch eins!“ schimpfte Grimwulf, nachdem der erste Schrecken überwunden war. „So kurz vor dem Ziel auch das noch!“
„Es wäre sicherer, den Wagen zurück zu lassen, mit Bewachung natürlich, Hochgeboren“, schlug der Anführer der Söldlinge nach kurzer Überlegung vor.
„Wir können ihn morgen bergen, wenn wir Euch und Eure Gattin in Sicherheit wissen.“
„Ausgeschlossen“, antwortete Idumelda an Stelle ihres Gemahls. „All unsere besonders geliebten Habseligkeiten befinden sich auf diesem Wagen. Eher lasse ich den Hausrat zurück, als jene Gegenstände, an denen das Herzblut hängt!“
Grimwulf seufzte innerlich. Natürlich hatte Idumelda recht. Alles von ideellem Wert befand sich auf diesem einen Wagen, und sie würden den Gehörten tun, ausgerechnet diesen zurück zu lassen, und sei es nur für eine Nacht.
„Wir laden die Wagen um“, entschied er, auch wenn er wusste, dass dies ein ziemliches Stück Arbeit und weiteren Zeitverlust bedeutete. Die Miene des Söldlings zeigte auch überdeutlich, was er von dem Plan hielt.
„Ich vergüte euch die Arbeit mit zwei Silberlingen extra“, schob Grimwulf ärgerlich nach.
„Wie Ihr befehlt, Hochgeboren“, meinte der Mietling und instruierte seine Leute. Einen schickte er auf den dritten Wagen, jenen, den sie nicht würden entladen müssen, um von dieser erhöhten Position die Umgegend im Auge zu behalten. Die anderen machten sich gemeinsam mit den Fuhrleuten daran, den Hausrat vom zweiten Wagen abseits der Straße vorsichtig zu stapeln, damit man ihn später würde holen können.
Sie waren erst einige Minuten zugange, als der Wachposten einen Pfiff ausstieß.
„Ein Reiter auf dem Pass“, meldete er. „Nähert sich ziemlich schnell, und scheint bewaffnet zu sein!“
„Nur einer?“ hakte der Söldnerführer nach.
„Ich sehe nur den einen, aber der sieht ziemlich verlottert aus. Vielleicht ein Kollege von uns!“
Der Wachposten grinste etwas dämlich.
„Oder eine Ablenkung“, meinte sein Anführer misstrauisch. „Macht euch vorsichtshalber mal kampfbereit. Wenn der Kerl einfach nur vorbei zieht oder helfen will, soll es uns recht sein. Falls nicht…“
Auch Grimwulf trat zur Vorsicht neben den Kutschbock und zog den dort liegenden Streitkolben ein Stück nach vorn. Sicher war sicher, selbst für Barone.
Aber während die Anspannung der Mietlinge stieg, je mehr sich der Reiter näherte, fiel die eigene schließlich ab wie ein unnützes Kleidungsstück.
„Lasst die Eisen stecken und ladet weiter ab“, befahl er, während er dem Reiter entgegen ging.
„Von diesem Mann droht uns kein Ungemach. Eher ihm von mir!“
Grimwulf ging energischen Schritten auf den Reiter zu, der in respektvollem Abstand aus dem Sattel stieg und sein Tier am Zügel weiterführte.
„Wo kommst du denn jetzt her?“ herrschte er seinen Jüngsten an, als käme dieser mitten in der Nacht mit einer Bierfahne und einer fremden Frau nach Hause.
Robans Blick irrte umher, als suche er abseits der Passstraße nach einer Ausrede.
„Von…da unten?“ schlug er schließlich vor und deutete bergab.
„Eine noch blödere Antwort fiel dir wohl nicht ein“, seufzte Grimwulf resigniert. „Gute Götter, Roban! Wenn du einmal pünktlich sein sollst…aber lassen wir das! Du bist zu spät, und trotzdem zur rechten Zeit eingetroffen.“
Ohne weitere Erklärung kehrte Grimwulf zum Wagen zurück, seinen Sohn im Gefolge. Natürlich musste der auch die weitaus herzlichere Begrüßung durch seine Mutter über sich ergehen lassen – und die obligatorische Kritik an seinem äußeren Erscheinungsbild.
Erst danach fand Grimwulf Gelegenheit, seinem Sohn die Lage zu erklären.
„Euer Wagen hat Schlagseite“, stellte dieser fest, noch ehe der Baron wirklich berichtet hatte.
„Blitzmerker“, erwiderte Grimwulf ärgerlich. „Wir hätten umladen müssen – müssen wir wohl immer noch – aber da du jetzt hier bist, wirst du uns vorausreiten und von Adlerstein aus Hilfe holen. Du musst nur der Straße folgen und zur ersten Burg auf der linken Seite gehen. Bekommst du das hin?“
Roban hob die Schultern. Er hätte wohl zur gleichen Zeit blind, wahnsinnig und beinahe tot sein müssen, um das nicht zu schaffen.
„Sicher!“ antwortete er. „Ist ja nicht so schwer!“
„Bei dir weiß man nie“, brummte Grimwulf. „Und du wirst das Wertvollste mitnehmen, das wir dabei haben, und wohlbehalten abliefern, klar?“
Jetzt hob Roban die Brauen.
„Na, jetzt bin ich aber gespannt!“

Der Tag eines Rondrolf Grobhand von Koschtal war stets arbeitsreich. Das war er eigentlich schon immer gewesen, schon auf Hohenbirn, auch wenn eine ganze Baronie natürlich etwas völlig anderes war als ein kleines Rittergut. Aber Rondrolf arbeitete gern mit Büchern, Zahlen und Griffeln. Sein kleines Zimmer im Südturm war bei den Bediensteten schon als „Rechenerker“ bekannt, und der Sohn des Barons genoss den nicht unverdienten Ruf eines strengen, aber nicht ungerechten Verwalters beim Gesinde und dem einfachen Volk.
Im Moment musste er aber nicht nur für die Verwaltung Sorge tragen, sondern seinen Vater direkt vertreten, und zugleich alles für die baldige Ankunft vorbereiten. Schon seit Tagen waren Küche und Dienerschaft gewissermaßen auf dem Sprung, denn jede Stunde konnte der Herr der Baronie mit seiner Gemahlin vor dem Tor stehen. Ach ja, und mit Roban natürlich!
Rondrolf fiel ein, dass er dem Gesinde noch keine diesbezügliche Anweisungen erteilt hatte. Allzu leicht hätte ein Unwissender den Ritter mit einem Stallknecht verwechseln können, und Roban hasste es, wenn man ihn trotz seines unstandesgemässen Äußeren nicht sofort als Edelmann erkannte.
Als Rondrolf sich gerade anschickte, den Dienern entsprechende Instruktionen zu erteilen, hörte er laute Stimmen vom Tor. Er verdrehte die Augen und änderte die Richtung. Vermutlich hatten sich Erzerich und Kalmun mal wieder in die Haare gekriegt. Die zwei altgedienten Wächter konnten sich über alles streiten, sei es die Farbe des Himmels, die Haltbarkeit der Torangeln oder die Zusammensetzung des Mittagessens. Meist stritten sie leise, doch manchmal verlor einer von beiden die Beherrschung, und dann konnte es etwas lauter werden.
Ungebührlich laut, fand Rondrolf nicht zum ersten Mal. Wenn Vater ausgerechnet jetzt vor dem Tor auftauchte…nicht auszudenken!
Aber beim Näherkommen hörte er eine Stimme, die ihn veranlasste, seinen ohnehin raschen Schritt noch einmal zu beschleunigen, und die kurz darauf gebrüllten, überaus phantasievollen Kraftausdrücke beseitigten auch noch die letzten Zweifel. Vom Torhaus kam der jüngste Wachmann angerannt, als müsse er dringend Verstärkung holen.
„Herr Rondrolf“, keuchte er, „ein fremder Strauchdieb begehrt Einlass! Er hat eine Dame bei sich, bestimmt eine Edelfrau! Ihr hattet doch angewiesen, besonders auf derlei Gesindel zu achten, und…“
„Lass gut sein, Linnert! Komm einfach mit und halte dich mit Worten wie Strauchdieb und Gesindel tunlichst zurück, so du nicht die härteste Backpfeife deines Lebens kassieren willst!“
Der Wachmann tat, wie ihm geheißen, auch wenn er wohl nicht ganz verstand, warum er eine Backpfeife erhalten könnte. Rondrolf pflegte Untergebene nicht körperlich zu züchtigen, er präferierte Lohnkürzungen und Extra-Arbeit, so profitierte die Baronie wenigstens davon.
Bei dem Mann, der da mit der Wache stritt, sah die Sache schon anders aus, und wäre er allein gewesen, die Wachmänner hätten wohl längst mit blutigen Nasen am Boden gelegen. Rondrolfs Eintreffen ließ den unerwarteten Gast aber sichtbar aufatmen.
„Rondrolf, na endlich! Verklicker deinen Plattfüßen, wen sie vor sich haben!“
Rondrolf verdrehte kurz die Augen und tat erst einmal das, was für ihn von vorrangigem Interesse war: er half seiner Mutter aus dem Sattel, die den Streit am Tor mit peinlich berührtem Schweigen verfolgt hatte.
„Nehmt Haltung an, Männer – vor euch steht Idumelda von den Silberfällen, Gemahlin des Barons von Roterz!“ erklärte er feierlich, und sofort bemühte sich die Wachleute, dem Befehl Folge zu leisten.
„Was man so Haltung nennt!“ knurrte Roban angesichts dieser Bemühungen überkritisch.
„Und auch wenn er nicht so aussieht“, fuhr Rondrolf schmunzelnd fort, „ist dieser Herr hier der Sohn besagter Baronin. Und somit auch besagten Barons.“
Die ohnehin nicht allzu blendende Haltung der Wachen verlor schlagartig noch mehr an Straffheit. Roban grinste finster, als plane er, einen von ihnen als Abendmahl zu verspeisen. Dann wandte er sich an seinen Bruder.
„Vater wartet auf dem Pass auf uns. Einer der Wagen hat einen Achsbruch. Du sollst die passenden Leute zusammen trommeln und dich auf die Socken machen, um den Karren wieder flott zu kriegen.“
Rondrolf nickte beiläufig. Das erklärte zumindest, warum Roban und seine Mutter allein gekommen waren.
„Gut, dann…“, begann er und strich über seinen Bart. „Erzerich, du führst die Baronin ins Haupthaus und gibst dem Gesinde Bescheid, dass wir dem Baron zur Hilfe eilen. Sie sollen Ihre neue Herrin gut versorgen. Kalmun, du holst sämtliche Stallknechte hierher zum Tor. Sie sollen feste Stricke und den Zugochsen mitbringen. Linnert, du eilst in die Stadt und holst den Zimmermann, der den Reisenden schon mal die Fuhrwerke flickt, mitsamt seiner Gesellin. Sag ihm, dass ich ihm seine Arbeit gut bezahlen werde. Und die Torwache soll den beiden nachher die Mannpforte öffnen, unentgeltlich. Wir treffen uns an der Weggabelung. Roban, du reitest am besten zurück und gibst Vater Bescheid, dass wir auf dem Weg sind.“
Roban nickte knapp und schwang sich wieder in den Sattel.
„Bin schon weg!“

Es wurde reichlich spät, bis Baron Grimwulf samt Gefolge und Gepäck auf Adlerstein eintraf. Dennoch war die Stimmung gut. Man hatte den Transport bewältigt und auch die letzte Hürde relativ problemlos genommen. Das Gesinde entlud die Wagen, während die Edlen sich ein spätes Abendessen zu Gemüte führten und sich kurz vor Mitternacht um das knisternde Kaminfeuer im Rittersaal versammelten.
Roban ließ den Blick durch das Halbdunkel schweifen und dachte an seine Kate in Moorbrück. Man hätte sie in diesen Saal stellen können, samt Dach und Bewohnern.
Grimwulf streckte sich behaglich in seinem Sessel aus, seine Pfeife in der Rechten, einen Bierkrug in der Linken, und lächelte in die Runde.
„So, da wären wir endlich alle daheim!“ seufzte er zufrieden. „Und jetzt erzähl mal, Roban – ist irgendwas passiert auf deiner Reise nach Hohenbirn, dass deine Verspätung erklärt?“
Roban verkniff sich ein schiefes Grinsen. Wenn er jetzt berichtete, was ihm alles widerfahren war, würde man ihn für einen Aufschneider halten. Und seinen Umweg um den Angbarer See würde man ihm wohl abkaufen, aber keinesfalls gutheißen. Also zuckte er nach kurzem Überlegen die Schultern.
„Also, wenn ich ehrlich bin…nein. War einfach zu spät dran!“