Wengenholmer Geister - Nach Ilmenheide

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Ilmenheide, Ende Firun 1041

Am nächsten Morgen brach der Trupp Richtung Ilmenheide auf. Den gestrigen Tag hatten die Mitglieder der Gruppe mit Erkundigungen und Vorbereitungen für die Weiterreise genutzt. Wenngleich sich noch kein klares Bild ergab zweifelten sie mittlerweile alle daran, dass eine harmlose Erklärung für das Verschwinden Harrad ausreichte. Immerhin war nicht nur er und seine Begleiter verschwunden, sondern auch ein Geweihter. Das Erscheinen eines vogelfreien Ritters zur gleichen Zeit war sicher mehr als ein reiner Zufall. Man hatte sich also entschlossen nach Ilmenheide aufzubrechen und sich mit Algunde von Runkelfels und ihren Söldnern zu treffen. Wenn diese die letzten Tage am Rande des Borrewalds verbracht hatten wussten sie vielleicht mehr.
Die Pferde ließ man in Auersbrück unter Aufsicht von Halmars Waffenknecht Bodar zurück und hatte stattdessen zwei kleine Schlitten mit Vorräten und Ausrüstung beladen. Die Adligen kamen nicht darum herum die Schlitten selbst durch den Schnee zu ziehen, aber man kam ganz gut voran. Man hatte sich den Weg nach Ilmenheide beschreiben lassen und würde dort wohl heute Abend ankommen.
Ein kalter Wind sorgte dafür, dass sie nur kurze Pausen machten, wollte doch niemand länger als unbedingt nötig in dieser Kälte ausharren. So erblickten sie Ilmenheide bereits am frühen Abend. Es handelte sich um wenig mehr als einen großen Bauernhof, der einsam am Rand des Borrewaldes lag. Eine kleine Rauchwolke stieg aus dem Kamin auf und zeigte an, dass jemand zu Hause war. Als die Gruppe dem Gehöft jedoch näher kam erschienen vier Bewaffnete, richteten ihre Armbrüste auf die Gruppe und riefen: „Halt! Bleibt stehen und erklärt euch. Was wollt ihr hier mitten im Winter und schwer bewaffnet.“
„Mein Name ist Halmar von Sindelsaum, ich und meine Gefährten sind auf der Suche nach Viburn von Rohenforsten und seinem Gefolge. Sie verschwanden hier in der Gegend. Wer aber seid ihr, dass ihr uns hier bewaffnet gegenüber tretet?“ Während Halmar mit den beiden Bewaffneten sprach hatte der Rest der Gruppe einen Kreis geformt und ein jeder hielt seine Waffen bereit. Wir um ihre Befürchtungen zu bestätigen tauchten links und rechts jeweils vier Kämpfer aus einer Vertiefung auf.
„Wir sind Söldner der Munteren Breitäxte und wir suchen unseren Peraine-Geweihten und die Bewohner dieses Gehöftes. Gestern wurden wir von einem Trupp angegriffen, da war auch ein Zwerg dabei.“ Dabei deutete der Sprecher auf Tharnax.
„Wenn ihr tatsächlich Söldner der Munteren Breitäxte seid, wo ist dann Angunde von Runkelfels. Eure Hauptfrau ist mit meinem Vater bekannt.“ Erklärte Halmar.
Der Söldner wirkte etwas verlegen „Sie ist gestern gefallen. Wir haben einige Verluste beim Gefecht gegen unsere Angreifer hinnehmen müssen.“
Langsam traten die beiden Gruppen näher aneinander heran und tatsächlich fasste man langsam Vertrauen zueinander, waren die Adligen doch Aufgrund ihrer Kleidung, ihrer Siegelringe und ihrer hochwertigen Bewaffnung als Adlige und nicht als Wegelagerer zu erkennen. Auch mussten die Söldner zugestehen, dass es wohl ein anderer Zwerg gewesen war der sie gestern angegriffen hatte.
Die Söldner geleiteten sie zum Hof. In der Scheune lagen vier Tote, darunter auch ihre Hauptfrau. Der Boden war zu hart um sie derzeit zu beerdigen. Im Bauernhaus lagen drei weitere Söldner mit teils schweren Verletzungen.
Einer der Söldner, wohl ihr Sprecher berichtete „Wir kamen hier vor ein paar Tagen an und mussten feststellen, dass nicht nur der Perainegeweihte fehlte, sondern auch sämtliche Bewohner des Hofes. Von ihren Vorräten fehlte auch viel, aber nicht alles. Am Hof selbst konnten wir keine Schäden erkennen, ganz so als wollte man keine Aufmerksamkeit erregen. Gestern dann, einige von uns waren gerade auf Patrouille, wurde der Hof und Angunde mit einigen Söldnern von einem Trupp Bewaffneter und einem Zwergen angegriffen, dabei kamen drei von uns ums Leben und einer von ihnen. Nach einem kurzen Kampf zogen sie sich zurück. Vielleicht wollten sie die restlichen Vorräte holen, oder sie wollten uns einfach aus der Gegend vertreiben. Wer weiß das schon. Sie schien unsere Anwesenheit eher zu überraschen, denn sie zogen sich zurück, obwohl sie Überhand zu gewinnen drohten.
Eigentlich war es hier seit dem Tod Goros ruhig geworden, aber damit scheint es jetzt ja auch schon wieder vorbei zu sein.“ An dieser Stelle seufzte der Söldner vernehmlich „Jedenfalls haben wir vier Leute nach Auersbrück geschickt um Verstärkung zu holen. Wir harren hier aus, denn unsere Verwundeten würden die Reise nicht überstehen.“
Tharnax seufzte, holte ein flaches, aus gehämmertem Metall bestehendes Fläschchen von unterhalb seines Mantels hervor und reichte es dem ersten Soldaten.
“Mein Beileid. Auf die Hauptfrau und eure Kameraden.” Dann deutete er mit dem Zeigefinger auf den nächsten Soldaten und nickte, um sicherzustellen, dass die Flasche weitergereicht wurde. “Trinkt, ihr braucht es dringender als ich.”
An seine Gefährten gerichtet senkte er die Stimme, er klang ernst und doch bedacht. „Kann sich einer von euch die Verwundeten ansehen. Ich gehe gerne zur Hand, doch verfüge ich nicht über genügend fundiertes Wissen? Danach sollten wir beraten wie wir weitermachen.“
„Ich mache das“, brummelte Roban und ließ sich neben dem ersten Verwundeten in die Knie sinken. In den nächsten Minuten scheuchte er deren unverletzte Kameraden hin und her, nach heißen Wasser, sauberen Tüchern und diversen anderen Dingen. Offenbar waren es nicht die ersten Verwundeten, die er versorgte, auch wenn er selbst zugab, kaum mehr als Flickschusterei zu betreiben.
Nur beim dritten Verwundeten schüttelte er nach einer kurzen Untersuchung den Kopf.
„Die arme Sau hat einen Bolzen in die Lunge bekommen“, erklärte er so leise, dass der röchelnde Mann ihn nicht hören konnte – falls er in seinem Dämmerzustand überhaupt noch etwas mitbekam.
„Mit jeder Sekunde läuft ihm mehr Blut in die Brust. Wir bräuchten schon einen Heilmagier, einen Heiltrank oder einen Schwung Einbeeren, sonst ist er bis heute Abend an seinem eigenen Blut erstickt!“
Halmar nickte langsam. Nichts von dem, was Roban aufgezählt hatte, hatten sie bei sich, es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis Golgari ihn holen würde.
„Und was tun wir dann?“ fragte er ebenso leise. Roban hob die Schultern.
„Wir können ihn zumindest noch mit Schnaps abfüllen. Wenn er gut besoffen ist, spürt er den Schmerz nicht und dämmert mit ein bisschen Glück sanft über das Nirgendmeer. Besser als qualvolles Krepieren bei vollem Bewusstsein!“
Tharnax, welcher Roban bei seiner blutigen Arbeit schweigsam zur Hand gegangen war nickte grimmig. „Ich habe getrockneten, grauen Mohn dabei. Ich mische ihn mir bei Beschwerden hin und wieder unter das Kraut, welches ich in die Pfeife stopfe. Aber nur ganz wenig. Es lindert Schmerzen und lässt einen in höherer Dosierung recht schnell bewusstlos werden soviel ich weiß.“
Halmar nickte Tharnax zustimmend zu. Es tat ihm um den Mann leid, aber sie konnten wirklich nichts für ihn tun. Im tiefsten Winter würden sie sicherlich auch keine Einbeeren im Wald finden. Stattdessen machte er sich auf den Weg zu der Scheune in der die Toten lagen, um sich den getöteten Angreifer anzusehen. Vielleicht würde er ja solcherart etwas herausfinden, vielleicht gehörte er ja zur gleichen Schar der auch Alphak von Steinklos angehörte, auch wenn dieser zu der Zeit in Auersbrück gewesen war.
Der Zwerg hingegen blieb bei dem Todgeweihten zurück. Er stopfte seine Pfeife und gab eine gute Portion Mohn hinzu. Als das Kraut entzündet war und der Rauch langsam aufstieg, setzte sich Tharnax neben den tödlich verwundeten und hielt ihm die Pfeife unter die Nase, so dass er den Linderung bringenden Dunst einatmete und sorgte damit für ein sanften hinübergleiten.
Tharnax hasste was er tat, aber er ein würdevoller Tod ohne die Leiden und Schmerzen des Lebens war allemal besser, als das elendige Krepieren, was ansonsten unausweichlich gewesen wäre. Bereits in einer weit zurückliegenden Zeit seines Lebens, im Kampf gegen die Schwarzpelze hatte er deswegen einen moralischen Zwist mit sich selbst ausgetragen, doch an diesem Tag tat er einfach was getan werden musste. „Schöne Scheiße!“ Roban klopfte dem Zwerg kameradschaftlich auf die Schulter und folgte Halmar nach draußen. Jetzt verreckten die guten Leute schon wieder in der eigenen Heimat. Dafür hatte er im Osten wahrhaftig nicht jahrelang den Arsch hingehalten, um den Kosch jetzt vor der eigenen Haustür gegen irgendwelche Schlagetots verteidigen zu müssen. Wenn er die Bagage in die Finger bekäme…ein paar Stricke und solide Äste würden sich schon finden lassen!
Durch leichtes Schneetreiben schloss er zu Halmar auf. Mit etwas Glück kamen sie weiter, wenn sie die Leichen der Angreifer filzten, auch wenn ihm der Gedanke nicht behagte, einem Toten die Taschen umzudrehen. Wer weiß, ob die nicht in der Nacht wieder aufstanden, um sich bei ihm zu revanchieren?
„Dann müssen wir wohl die Leiche fledern.“ Halmar wirkte ähnlich begeistert wie Roban, aber die beiden machten sich an die unangenehme Arbeit die Kleidung des Toten zu durchsuchen. Roban zog dem Kerl sogar die schäbigen Stiefel aus und tastete den Gürtel ab. „Da ist doch was“ murmelte der Koschtaler und begann den Gürtel mit seinem Dolch aufzuschneiden. Einige Golddukaten und zwei seltsame eiserne Münzen kamen zum Vorschein.
„Andrataler,“ murmelte Roban mehr zu sich.
“Also vermutlich Andergaster”, schloss Halmar, nachdem der Koschtaler ihm eine der Münzen zugeworfen hatte. “Oder sie waren kürzlich erst in Andergast – ist ja beinahe um die Ecke. Was denkst du? Söldner?” Roban schürzte kurz die Lippen und stieß einen der jetzt herum liegenden Stiefel mit dem Fuss an.
“Wenn es normale Räuber waren, dann sehr erfolgreiche. Die Kleider sind gut, kaum geflickt, die Stiefel nur wenig abgetragen. Weißt du, wo man ihre Waffen abgelegt hat? Normales Räuberpack erkennt man vor allen Dingen an den miserable Eisen, mit denen sie oft genug herum fuchteln. Ein guter Söldner wird wohl besseres Meuchelwerkzeug sein Eigen nennen.”
Die Söldnerin, welche die beiden Adligen begleitet hatte führte sie zurück zum Haupthaus und zeigte ihnen einen ordentlichen Tellerhelm, ein gut gepflegtes Kettenhemd, sowie einen Schild, einen Dolch und eine Streitaxt. Die gesamte Ausrüstung wirkte gut gepflegt und von ordentlicher Qualität. Der Schild selbst war lediglich mit Leder bezogen und nicht bemalt worden und auch ansonsten gab nichts genauen Aufschluss über die Herkunft des Söldners. Die Schmiedeabzeichen auf Dolch und Axt waren jedenfalls allen Anwesenden unbekannt und daher sicher nicht koscher, aber was hieß das schon.
Der sterbende Söldner hatte es mittlerweile hinter sich und wurde zu seinen Kameraden in die Scheune gelegt. Beim Abendessen herrschte bedrückte Stille. Nach einer Weile zog sich die adlige Reisegesellschaft zurück um zu beraten.
Der Bergvogt zeigte zunächst eine harte, grimmige Miene und hatte die breiten Arme vor der Brust verschränkt, als sie zusammenkamen. Er machte keinerlei Anstalten sich zu setzen. Die anderen sahen nur zu deutlich, dass ihm die vergangenen Stunden bei dem Sterbenden angefressen, mitgenommen hatten. Der würzige Geruch den die Pfeife in seinem Mundwinkel verbreitete hatte eine leicht süßliche Note. Aber auch Tharnax kam nach und nach mehr ins Grübeln, wie weiter zu verfahren wäre. Die Diskussion hatte keine eindeutige Richtung und vor allem bisher auch noch kein Ergebnis zu Tage gefördert. Gedankenverloren kratze er sich den Bart, als sein Darm Mal wieder zu rumoren begann. Der Bergvogt verzog vor Unbehagen das Gesicht und pfurzte hörbar, was ihm sichtbar Erleichterung verschaffte. Das dabei gesprochene, „was gäbe ich für eine duftende Höhlenspinnensuppe anstatt diesem Fraß“, war wohl nur Ausdruck eines Selbstgespräches, war dafür aber zu laut gewesen. Als er bemerkte, dass die anderen ihn ansahen räusperte sich Tharnax.
„Was?“ Er breitete die Arme in einer fast entschuldigenden Geste aus. „Mir bekommt euer Essen nicht. Warum schauen wir uns nicht einmal in den Wäldern um“, wechselte er schnell das Thema. „Ich kann zwar lediglich die Spuren von Goblins und Orks unterscheiden, aber im Schnee dürfte man relativ schnell etwas finden, das heißt wenn etwas da ist.“
„Klingt nicht dumm“, pflichtete Roban bei. „Dabei könnte man auch gleich nach Spuren von zweibeinigem Wild suchen. Wenn die Angreifer die Anwesenheit der Breitäxte gestört hat, heißt das, dass sie sich nicht allzu weit von hier verkrochen haben. Sie mussten zumindest damit rechnen, dass man ihre Anwesenheit auf einer Patroullie bemerkt oder Spuren von ihnen findet. Und wenn uns Herr Firun dazu noch einen Rehbock oder eine Wildsau vor die Bögen treibt…Höhlenspinne wäre nämlich nicht so mein Fall!“
Mit einem herzhaften, tief dröhnenden Lachen quittierte der Bergvogt die Anspielung auf die zwergische Küche. „Ihr wisst ja gar nicht was euch entgeht! Seid versichert, der Gesichtsausdruck meiner menschlichen Handelspartner, wenn ich ihnen derartige Speisen vor dem Abschluss von Lieferverträgen auftische, sind mit Gold nicht aufzuwiegen.“ Nochmals lachte Tharnax.
„Also, wer kommt mit uns?“
Von den Anwesenden Adligen wollte freilich niemand hintenanstehen und so beschloss die Gruppe am nächsten Morgen aufzubrechen. Falls man im Wald nicht fündig werden würde ließen sie sich aber auch den Weg nach Bärenstieg beschreiben.